Popcorn und Rollenwechsel: Die Auswahl ist da

Die Kinos haben geöffnet, die Filmauswahl ist breit: Es ist die beste Zeit für Blockbuster-Verweigerer, die sich sonst von der Existenz ihrer Hassfilme verwirren lassen.

Es galt schon lange: Die ständigen Klagen von Kulturpessimisten, "es laufen ja nur noch Superhelden im Kino" sind Schwachfug. 2018 etwa kamen 576 verschiedene Filme in die deutschen Lichtspielhäuser – davon waren nur ein Bruchteil Superheldenstoffe oder ähnliche Actionkreationen. Aber lustigerweise lassen sich oft die, die das Zielpublikum großer, tönender Actionfilme als dumm titulieren, enorm von der Existenz solcher großer Produktionen ablenken, so dass es ihnen unmöglich wird, selbst die auch in Multiplexen geparkten, kleineren Filme zu finden. Geschweige denn die Titel, die auch im Arthouse nur in einer Programmnische laufen.

Nun, in Zeiten von Corona, in denen sich die Hollywood-Studios mit Neustarts extrem zurückhalten, fehlen solche Ablenkungen. Die Breite des Kinoangebots brüllt dem Publikum aktuell ins Gesicht. Aktuell laufen unter anderem: Die Politsatire «Irresistible – Unwiderstehlich» mit Steve Carell, Mackenzie Davis und Rose Byrne, der Teenie-Horror «Follow Me», die Drag-Queen-Dramödie «Stage Mother» mit Jacki Weaver und Lucy Liu, die Romantikkomödie «Der göttliche Andere», der US-Überraschungs-Horrorhit «The Witch Next Door», das kunstvolle Biopic «Marie Curie – Elemente des Lebens» mit Rosamund Pike und der Actionthriller «Unhinged – Außer Kontrolle».

Außerdem startet die deutsche Drama-Produktion «Die Rüden» von Connie Walther, in der vier junge Gewaltstraftäter in einer Arena aus dunklem, vernarbtem Beton auf drei kampflustige Hunde mit metallenen Maulkörben treffen. Und auf Lu, die angstfreie, hochkonzentrierte Hundetrainerin, die sich der Herausforderung stellt, Feuer mit Feuer zu löschen. Ein Filmstoff, der sonst im deutschen Kino völlig untergehen würde, ist nun einer der auffälligeren Neustarts der Woche.

Und dann zeigen einige Kinos in diesen Tagen bereits als Vorpremieren-Special «XConfessions Night», einen Erotik-Anthologiefilm von den Machern einer unter anderem in der Netflix-Dokuserie «Hot Girls Wanted: Turned On» behandelten Erotikwebseite, die sich darauf spezialisiert hat, aus von Fans eingeschickten Fantasien hochästhetische Nacktfilmchen zu machen. "Ebenso explizite wie poetische Filmkunst - stets mit einem Auge für sexpositive Erotik", lautet die Ansage, der offizielle Kinostart ist am 24. September 2020 – und wenn man bedenkt, dass vor 50 Jahren noch tumbe Softcore-Erotik in Deutschland die Kassen hat glühen lassen, wäre es doch sehr spaßig, wenn nun in Zeiten des körperlichen Abstandhaltens eine visuell gekonnt inszenierte Antwort auf diese Filme ebenfalls für gute Ticketverkäufe sorgen würde.

Und wem das zu viel blanke Haut ist: Es starten auch noch die tiefgreifende Mixtur aus Künstlerporträt und Deutschlandkommentar namens «Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien» sowie der förmlich einmalige Kinotrip «Die obskuren Geschichten eines Zugreisenden». Also, wer sonst immer moserte, es würde ja nur Hollywood-Bumm-Zack-Krach laufen: Hoch mit dem Hintern und ab ins Kino. Wenn nämlich am Ende die Blockbuster die Kinos retten, habt ihr sonst keine Argumente, weshalb auch kleineres Material laufen sollte.
20.08.2020 10:12 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/120751