Jodel: Die App, die Rettungsdienste schickt

Depressionen und negative Gedanken nehmen seit Ausbruch der Corona-Pandemie zu. Eine Smartphone-App und deren User schreiten mit Hilfe der Polizei und Rettungsdienste ein.

Seit über vier Monaten herrscht in weiten Teilen Deutschlands der Ausnahmezustand. Mitte März verkündeten die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, SPD-Oberbürgermeister von Hamburg Peter Tschentscher und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder Schulschließungen, gefolgt von Shutdowns der Länder und Ausgangsbeschränkungen. Rund eine Woche später erließ Kanzlerin Merkel noch ein Kontaktverbot. Die Bürger des Landes fühlten sich in ihrer persönlichen Freiheit eingeengt, die Zahl der Corona-Infizierten schellten in die Höhe und zahlreiche Bürger gingen nicht mehr zum Arzt. Viele Kliniken stellen den Betrieb um, sodass zahlreiche Intensivbetten zur Verfügung stehen.

Diese Vorsichtsmaßnahmen haben Auswirkungen. Ein in Berlin im Messezentrum eingerichtetes Notfall-Krankenhaus wurde nicht benötigt, ein weiteres soll immer noch errichtet werden. Rund 50.000 Krebs-Operationen wurden verschoben und Medizin-Experten können sich vorstellen, dass die Aufschiebung von Behandlungen und Operationen insgesamt mehr Menschenleben kosten als die von Corona verursachten Todesfälle. Bislang ist die Bundesrepublik Deutschland gut durch die Corona-Krise gekommen, während in Deutschland nur noch um die viereinhalb bis fünftausend aktiv Infizierte gemessen werden, schießen die Zahl der Erkrankten und Todesopfer in weiteren Teilen außerhalb Europas immer noch – rund vier Monate nach den ersten Einschränkungen in Europa – in die Höhe.

Das Kontaktverbot und die Ausgangsbeschränkungen zeigen inzwischen negative Folgen. Es häufen sich die Berichte, dass vermehrt Personen an Depressionen erkranken. Seit dem Ausbruch der Corona-Krise ist der Absatz und der Konsum pro Kopf an Alkohol massiv gestiegen. Nicht nur das, auch Binge-Watching und der stetige Griff zum Handy im Frühjahr während man alleine in der Wohnung sitzt, förderten die negativen Gedanken. Das Unwohlsein kommt auch in der digitalen Welt an. Die hyperlokale App Jodel, die von mehreren Millionen Menschen in Deutschland genutzt wird, verzeichnete einen Anstieg der Suizidgedanken von über 25 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Das soziale Netzwerk teilte Quotenmeter mit, dass die App nicht ganz anonym ist. „Wir haben auf Jodel keine öffentlichen Profile, dadurch erleichtern wir die Kommunikation und ermöglichen es ohne Vorverurteilung zu diskutieren“, schrieb die Pressestelle. „Über die vergangenen Jahre haben wir aus Erfahrungen im Umgang mit Suizidankündigungen die Zusammenarbeit mit Polizei und Rettungskräften immer weiter optimiert und sind inzwischen im engen Austausch mit Sicherheitsbehörden um im Ernstfall das Leben unserer Nutzer zu schützen.“

Sollte ein User bei dieser App negative Gedanken äußern, können die übrigen User den Beitrag zur Überprüfung einsenden. „Gemeldete Posts werden unmittelbar von unseren Mitarbeitern geprüft. Die Nutzer erhalten dann eine Nachricht von uns mit einem Hinweis auf die Telefonseelsorge und einem Hilfechat“, so das Berliner Startup, das sich inzwischen durch Werbung finanziert. Dennoch ist diese Aktion der Hilfestellung nicht alles: „Parallel bitten wir bei Härtefällen die Polizei um ihre Einschätzung. Wenn diese ebenfalls eine Gefährdung von Leib und Leben erkennen kann übermitteln wir zur Identifikation notwendige Daten an die Polizeidienststellen, die die Person dann aufsuchen und falls notwendig in medizinische Obhut übergeben.“ Dies ist möglich, indem die Telekommunikationsbetreiber, die Polizei und Jodel zusammen arbeiten und die Handydaten orten und den Rettungskräften zur Verfügung stellen.



Diese Kooperation bringt zwar viele Vorteile, wie uns Jodel mitteilt. „In der Vergangenheit haben sich Nutzer ausschließlich positiv geäußert, nachdem sie eine Nachricht mit Hinweisen auf die Telefonseelsorge erhalten haben oder sogar von der Polizei aufgesucht wurden. Jodel ist nicht nur ein hyperlokales Netzwerk sondern eine große Community, daher ist dies eher als Beweis für die gegenseitige Rücksichtnahme anzusehen. Einige Nutzer haben sich nach deren Suizidankündigungen bei uns gemeldet und sich für unser Handeln bedankt.“ Das große Aber: In dieser vernetzten Welt können Handydaten mit Algorithmen missbraucht werden.

Der chinesische Staat schränkt mit Hilfe seines Sozialkredit-System beispielsweise Reisen von Systemkritikern ein. Wer in einem autoritären Staat über Corona-Symptome klagt, bekommt die Gesundheitsbehörde nach Hause geschickt. Sollten autoritäre Kräfte an die Macht kommen, ließe sich die Vernetzung zur Unterdrückung ausbauen. Dennoch: Der offene Umgang mit Depressionen und Suizidgedanken führte in den vergangenen 40 Jahren zu einer kontinuierlichen vorsätzlichen Selbstbeschädigung, wie das Statistische Bundesamt mitteilt. Trotzdem dürfen sich die Staaten nicht ausruhen und sich auf die Schulter klopfen. Dieses System muss zur Notfallrettung unabhängig von den Regierungen bleiben. Nur Rettungsdienste dürfen die Daten und deren Inhalt bekommen.

Bei Jodel wird Datenschutz groß geschrieben, denn ausschließlich spezielle Mitarbeiter des Unternehmens haben auf die Konten der App-Nutzer Zugriff. Die kurzen Wege führen auch dazu, dass von der Meldung eines Posts bis zur Übermittlung an die Polizei weniger als eine Stunde vergehen. Bislang bekommt die Funktion positives Feedback: „Die Community macht sich meist große Sorgen um das Wohlbefinden der Nutzer die über ihre Gedanken auf Jodel posten und sind froh, wenn wir ihnen mitteilen können, dass sich professionell und medizinisch um die Mitglieder der Community gekümmert wird.“
17.07.2020 19:00 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/119870