«Undine»: Wassergeist im entzauberten Berlin

Christian Petzold zeigt Paula Beer als Frau, die einen alten Fluch fürchtet, und sich (zunächst) an einer neuen Liebe klammert.

Filmfacts «Undine»

  • Regie und Drehbuch: Christian Petzold
  • Produktion: Florian Koerner von Gustorf, Michael Weber
  • Cast: Paula Beer, Franz Rogowski
  • Kamera: Hans Fromm
  • Schnitt: Bettina Böhler
  • Laufzeit: 90 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Eine gefühlte Ewigkeit ist es her: Auf der Berlinale stellte Regisseur Christian Petzold seinen neusten Film vor. Nach dem DDR-Drama «Barbara», dem Nachkriegsdrama «Phoenix» und «Transit», Petzolds in die Gegenwart verlagerte Adaption eines im Zweiten Weltkrieg spielenden Romans, greift der Filmemacher darin ganz, ganz weit zurück – um auch diesen Stoff ins Heute zu transportieren. Motive des «Undine»-Mythos lassen sich bis in die griechische Mythologie zurückverfolgen, durch posthum veröffentlichte Schriften von Paracelsus erlangte die Sage im 16. Jahrhunderten neue Popularität, die bis ins Heute reicht. Die Geschichte eines zur menschlichen Frau gewordenen Wassergeistes, dessen Liebe ein Vertrag mit hochdramatischen Sanktionen ist, inspirierte Achim von Arnim, wurde von Goethe referenziert und von Friedrich de la Motte Fouqué adaptiert – und seine Adaption wiederum diente als Vorlage für Opern von E .T. A. Hoffmann sowie Albert Lortzing. Oscar Wilde ließ sich davon beeinflussen, Richard Wagner und Peter Tschaikowski ebenso, aber auch Genesis und Regisseur Neil Jordan.

Die wohl bekannteste Neuinterpretation des «Undine»-Mythos stammt aber von Hans Christian Andersen, der von ihm beeinflusst "Die kleine Meerjungfrau" erschuf, ein Wasserwesen, das zum Menschen wird und teuer bezahlt. Die Disney-Zeichentrickstudios machten daraus den 1989 gestarteten Kinoerfolg «Arielle, die Meerjungfrau» – eine wesentlich frohere Version des Stoffes. Schon 1961 verfasste Ingeborg Bachmann mit "Undine geht" eine feministische Antwort auf den oft schweren Stoff über eine Frau, die Spielball eines Fluches und der Umstände ist. Diese Version blieb Petzold besonders in Erinnerung – und nun gelangt seine Antwort auf diesen ganzen mythologischen Komplex endlich regulär ins Kino:

Die Berliner Historikerin Undine (Paula Beer) lebt in einer kleinen Wohnung und führt ein einfaches, unauffälliges Dasein – und ihr Herz scheint schwer zu sein. Das hat einen mystischen Grund: Als sich ihr Freund Johannes (Jacob Matschenz) von ihr trennt, warnt sie ihn, dass sie verflucht ist, einen Mann, der sie verrät, töten zu müssen, um sich danach in ein Gewässer zurückzuziehen. Jacob beschwichtigt Undine, sie solle mit der alten Mär aufhören – und auch sie selbst fühlt sich vom Fluch erdrückt. Weder will sie jemanden umbringen, noch will sie ihr unscheinbares, von ihrer Arbeit geprägtes Leben hinter sich lassen. Unmittelbar, nachdem Undine verlassen wurde, erscheint in Form des Industrietauchers Christoph (Franz Rogowski) ein Hoffnungsschimmer: Undine verliebt sich schlagartig und glaubt, ihren Fluch so überlisten zu können. Schnell werden sie zu einem Paar, das intensive, unvergessliche Zeit miteinander verbringt – und doch wiegt Undines Herz weiter schwer, und Christoph erahnt, dass seine Freundin ihm etwas verheimlicht …

Petzolds «Undine»-Mär ist eine bittersüße, in nachdenklichem Tempo erzählte Emanzipationsgeschichte voller Zerbrechlichkeit. Diese, und Teile der Bildsprache, sind dem französischen Impressionismus entliehen, etwa von Manet und seinen gebrochenen Lichtern. Die Unterwasserszenen wiederum sind so gefilmt und aufgebaut, als würden wir die entzauberte Bundesrepublik der Gegenwart verlassen und in die Bildwelt von Richard Fleischers Disney-Klassiker „20.000 Meilen unter dem Meer“ abtauchen. Eine ungewöhnliche Kombination, zumal weite Strecken der Berlin-Szenen von einer bewussten Banalität geprägt sind.

Doch diese Vermischung passt formidabel zu dem Paar, um das sich Petzolds «Undine» dreht: Paula Beer spielt Undine von der Arbeit, die fast ihr ganzes Leben einnimmt, erschöpft, jedoch zugleich begeistert. Und sie spielt sie als Frau, die von ihrem letzten Beziehungsaus und der Erwartungshaltung einer fatalen Reaktion desillusioniert ist und innerlich brodelt. Ist sie mit Christoph zusammen, hat sie eine geisterhaft-verträumte Aura, und doch macht Beer mit geneigtem Kopf und schwerem Gestus klar, dass Undine oft nicht vollauf bei der Sache ist, sondern sich große, belastende Gedanken macht. Christoph dagegen wird von Franz Rogowski als einfacher, hingebungsvoller Mann angelegt, der aber auf eine Art und Weise klammern kann, dass sich die Frage aufdrängt, ob er Undine vorwirft, ein Leben vor ihm gehabt zu haben.

Dieses "Sie sind ein schönes, inniges Paar, und doch (sinnbildlich und wortwörtlich) aus zwei Welten, obwohl sie das Wasser eint"-Element wird durch die besagte Bildsprache Petzolds und seines Kameramanns Hans Fromm («Hirngespinster») unaufdringlich und doch unmissverständlich verdeutlicht. Doch mehr noch als die Bildästhetik und das atmosphärische Klangdesign ist es nun einmal Paula Beer, die diesen Film trägt: Ihr gelingt es, mit wenigen Worten diese Undine als alte, misstrauische Seele in einem jungen Körper anzulegen, die sich modernisieren will. Die leise-dramatische, thematisch-brennende Frage ist: Ist es Undine endlich vergönnt, aktiv zu werden, statt von den Wellen des Schicksals getrieben zu werden?

«Undine» ist ab dem 2. Juli 2020 in deutschen Kinos zu sehen.
01.07.2020 12:59 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/119429