Ein Teenager unter Mordverdacht – eine Familie an der Grenze. Ungewissheit. Über ein unterschätztes Projekt eines unterschätzten Anbieters.
Der Schuljunge Ben wird tot in einem Park aufgefunden. Erstochen. Drei Stiche. Schnell gibt es mehrere Tatverdächtige. Ein Perverser, der früh in der Serie zu sehen ist, weil er ein Foto einsteckt. Und auch Jacob gerät ins Visier der Ermittler. Jaeden Martell, den man schon aus «Es Kapitel 2» kennt oder noch früher aus Showtimes «Masters of Sex» brilliert in der Rolle dieses verschlossenen Jungen, dem der Zuschauer von Episode zu Episode mehr zutraut, seinen Mitschüler, der ihn über Monate hinweg mobbte, wirklich abgestochen zu haben. Hat er es? Oder war doch alles ganz anders?
Ob Jacob nun der Mörder des jungen Ben ist, erfahren die Zuschauer nicht. Ganz bewusst haben sich die Macher dagegen entschieden, wirklich aufzuklären, was am Tatmorgen wirklich passierte. Klar ist nur: Die Version, auf Grund derer das Gericht Jacob freisprach, ist falsch. Der Mann, der sich per Abschiedsbrief schuldig bekannte, wurde unter Waffengewalt genau dazu gezwungen und später umgebracht. So sauber, so perfekt, dass niemand die Geschichte des Selbstmordes anzweifelte. Bis auf Andy, der die Verbindung zu seinem Vater und dessen Handlanger herstellt. Die TV-Serie übrigens lässt das Ende der Serie noch mehr offen als das zu Grunde liegende Buch. Denn wirkliche Zweifel an Jacobs Unschuld und die zunehmende psychische Zermürbung werden vor allem bei einem Weihnachtsurlaub in Mexiko deutlich, als das Mädchen, mit dem Jacob aus war, verschwindet und erst nach Tagen wieder auftaucht. Deren Freund hätte sie festgehalten, heißt es in der TV-Serie. In der Buchvorlage aber stirbt dieses Mädchen – und wieder weiß keiner, wer der Mörder ist.
Von Episode zu Episode gewinnt die Serie nicht nur Spannung, sondern auch an Tiefe und Atmosphäre. Ebenso wie die Familie Barber wird auch der Zuschauer in den Strudel der Ereignisse und in diese amerikanische Kleinstadt hineingezogen. So intensiv war amerikanisches Serienfernsehen schon lange nicht mehr. «Defending Jacob» hat fast alles, um Ende 2020 als die Serie zu gelten. Nur hat das Format vermutlich zu wenig Aufmerksamkeit, denn AppleTV+ ist in den Köpfen der Menschen rund um den Globus noch lange nicht da angekommen, wo Netflix, Prime, Disney+ und Co. bereits sind. Immerhin: Der Apfel-Konzern teilte mit, die Miniserie sei das zweitstärkste Format – direkt nach «The Morning Show». Ein verdienter Erfolg, wenngleich unklar ist, auf welchem Zahlen-Niveau.