Die Radiosprechstunde: Wie Lady Gaga die Musik im Radio revolutioniert hat

Alles Gaga oder was? Radioberaterin Yvonne Malak erklärt, wieso sich bei den größten Radiostationen der Welt nur um die 250 Songs abwechseln. Sie spricht über den Burn bei Charthits und die Streitfrage: 80er oder nicht?

Sie ist eine der bekanntesten deutschen Radio-Beraterinnen. Yvonne Malak arbeitet seit Mitte der 80er Jahre im Radio. Sie wurde bekannt als Co-Moderatorin von Arno in der 104.6 RTL Morningshow im Berlin, wechselte dann als Programmchefin zu Radio Ton und als Programmdirektorin zu BB Radio. Seit 2006 berät sie diverse Radiostationen, darunter viele Marktführer wie rt.1 in Augsburg, und Radio Hamburg im Norden.

Sie macht weit über 70 Prozent eines Radioprogramms aus und ist daher einer der Top-Einschaltgründe im deutschen Radio: Die Musik. Entsprechend fließen von den deutschen Stationen große Summen an Marktforscher für Musiktests und perfekte Musikplanung. Dabei gilt vor allem für die Musik, dass sie ständig im Fluss ist. Das weiß auch Radioberaterin Yvonne Malak, die die Szene seit über drei Jahrzehnten verfolgt und weiß, wie sich der Musikgeschmack in Deutschland verändert hat. „Mein Kollege John Mönninghoff spricht von der Gaga-isierung“, sagt sie mit einem Lachen und meint die drastischen Veränderungen, die mit den ersten Hits von Lady Gaga vor rund einem Jahrzehnt einhergingen. Gab es früher hohe Zustimmungswerte der Radiosender für rockige Titel und deren Bands wie etwa Nickelback, sei momentan vor allem Rhythmic-Sound prägend. Selbst Künstler wie Maroon 5, die einst mal für Rock standen, seien in ihren Hits immer rhythmischer geworden. Dieser Wechsel im Geschmack, der sich auch in den Playlists aller Mainstream-Sender ablesen lässt, war zugleich eine Chance für neue Stationen. „Weil natürlich immer noch nicht jeder diese Musikfarbe mag, ist es auf Rock fokussierten Radiostationen wie etwa Radio Bob gelungen, ihre Reichweiten so ganz massiv zu steigern.“

Fakt ist: Die Musik eines Senders muss passen – und bei der Musikplanung gibt es etliche Tücken. Die großen Sender des Landes wollen eine breite Masse an Menschen ansprechen. Den Großstädter meist genauso wie das Landei, die Abiturientin ebenso wie den seit 30 Jahren Berufstätigen. Entsprechend spielen die großen Stationen zumeist nur Hits, die bei möglichst vielen Leuten aus ihrer Zielgruppe auf Zustimmung stoßen. „Das sind oft nur wenige hundert Songs“, sagt Malak. Die größten Stationen dieser Welt, etwa KIIS FM in Los Angeles oder Capital FM in London würden nur Hits aus den letzten drei bis fünf Jahren spielen, da käme man auf nicht mehr als vielleicht 250 Songs in der Rotation.

Neue Titel verbrennen immer schneller


Wer Musikchef einer Jugendwelle ist, muss sich ebenso beschränken. „Wenn ich den 20-Jährigen als Zielgruppe habe, dann nutzt es nichts, wenn ich einen Hit aus dem Jahr 2009 spiele, weil mein Hörer dazu keine Bindung hat,“ sagt Malak. „Die jungen Menschen wollen die Hits hören, die im Club gespielt werden und in ihrer Peer Group gerade angesagt sind,“ sagt die Radioberaterin. Auch das sei aber keine Vielzahl an Hits. Richtig ist aber, dass es in den zurückliegenden Jahren den Trend gibt, dass neue Titel immer schneller verbrennen. Dies hat unter anderem mit der Qualität der veröffentlichten Songs zu tun. Es gäbe derzeit nur wenige Songs und Interpreten, die für viele Jahre im Hörergeschmack bestehen könnten, wie zum Beispiel einige Hits von Ed Sheeran oder Adele. Der Dance Sound von heute sei oft nur eine Saison hot, ein Jahr später oft Schrott und verbrannt.

Radiomacher nennen dieses Verbrennen Burn – der Burn zeigt an, wann ein Titel so ausgelutscht ist, dass er einer gewissen Hörerschicht auf die Nerven geht. Malak mahnt beim Betrachten dieser Forschungszahlen aber immer zur Ruhe. „Stellen wir uns vor – wir haben einen aktuellen Titel. Über diesen Titel sagt ein Drittel meiner Hörer, dass es sein absoluter Lieblingshit ist. Weitere 45 Prozent sagen, dass die ihn immer noch sehr gerne hören, 20 Prozent aber sagen, sie können ihn wirklich überhaupt nicht mehr hören. Dann schlage ich immer vor, dass der Titel in der Rotation bleibt.“ Zu viel Austausch und zu viel Nachschieben von neuem Material berge ein großes Risiko. Dann müssten vollkommen neue und noch ungetestete Hits ins Programm kommen und man finde eben auch nicht ausreichend geeignetes neues Material, das dann auch Bestand hat.

Wie ein gespielter Hit von Sender A dem Sender B helfen kann


Zudem gelte: Ein Song, den ich spiele, der kann dem Image des Senders schaden. Ein Hit, den ich nicht spiele, der schadet garantiert auch nicht. Wie kompliziert die Hit-Planung eines großen Senders sein kann, zeigt Malak am Beispiel ihrer Heimat Bayern auf. Es könne nämlich durchaus passieren, dass das Spielen von bestimmten Songs gar nicht auf den eigenen Sender einzahlt, sondern sogar die Konkurrenz beflügelt. „Nehmen wir ein Hitradio in Bayern, das für Rhythmic- und Dance-Sound steht und bisher bewusst auf Deutschpop-Songs von Johannes Oerding und Mark Forster verzichtet hat. Wir wissen, dass solche Songs polarisieren. Im Markt dieses Hitradios sind diese Songs außerdem vor allem mit Antenne Bayern assoziiert.“ Würde dieses Hitradio die entsprechenden Künstler in seine Playlist aufnehmen, könnte es passieren, dass diese eher Antenne Bayern zugeschrieben werden und damit dem Hitsender sogar Schaden zufügen, weil sie nicht den Erwartungen der Hörer, also Dance und rhythmischen Sounds entsprechen. Der Sender spielt also Musik gegen die Erwartungen der Hörer an das Produkt.

Zudem könnte ein und der gleiche Sender in verschiedenen Teilen eines Bundeslandes unterschiedlich wahrgenommen werden. „Antenne Bayern hat es da sicher besonders schwer. In ländlichen Regionen Bayerns gilt der Sender sicherlich als DAS Hitradio. In Regionen wie Augsburg oder gar München wird er vermutlich eher als breites AC Format wahrgenommen, aber nicht als der Lieferant für die neusten, angesagten Hits, dafür stehen dort dann andere Sender wie z.B. Gong München oder rt1 in Augsburg.“

Gretchenfrage: 80er – ja oder nein?


Man muss sich anschauen, wer die Konkurrenz ist und für wen ich Radio mache. Wer greift mich wo an und gegen wen kämpfe ich?
Radioberaterin Yvonne Malak
An einem weiteren Thema der Musikplanung scheiden sich in diesen Tagen die Geister. Gehören zu einer Mainstream-Welle noch Hits aus den 80er Jahren? Die meisten Popwellen spielen Hits aus diesem Jahrzehnt noch, aber es werden weniger. Eine klare Antwort für alle Stationen hat Malak nicht. Was für den jeweiligen Sender richtig sei, hänge von der eigenen Sendehistorie, vom Markt und von der Konkurrenz ab. „Man muss sich anschauen, wer die Konkurrenz ist und für wen ich Radio mache. Wer greift mich wo an und gegen wen kämpfe ich?“ Wer als absolute Zielgruppe die 14- bis 49-jährigen Hörer habe und im Bereich der Hits angegriffen wird, brauche in seinen Playlists zumeist keine Hits aus den 80ern mehr. Ein Gegenbeispiel kommt aus Baden Württemberg: einige Sender setzten dort bewusst auf 80er als Schwerpunkt gegen SWR1, wie zum Beispiel Das neue Radio Seefunk seit eineinhalb Jahren – diese Sender spielen aber dafür keinerlei aktuelle Hits und begeben sich dadurch nicht in Konkurrenz zu SWR 3, das dort seit Jahren als Hitsender wahrgenommen wird. „Man muss sich also entscheiden, mit welchem Schwerpunkt man gegen welchen Wettbewerb in den Kampf um die Hörer ziehen will."

Im Juni widmet sich Yvonne Malak bei Quotenmeter.de jeden Dienstag einem anderen Thema. Vergangene Woche ging es um Wort im Radio. Kommende Woche widmet sie sich dem Geheimrezept Morning-Show.
09.06.2020 14:28 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/118503