Die Kritiker: «Kommissar Dupin – Bretonisches Vermächtnis»

So hat sich Kommissar Dupin den Start in den Tag sicher nicht vorgestellt. Er sitzt in einem Café, möchte nur einen Kaffee trinken und zack, fällt ein Mann von einem Balkon genau vor seine Füße. Dupin kommt ihm noch zu Hilfe, doch der Mann stirbt in seinen Armen. War es ein Unfall?

Cast & Crew

  • Darsteller: Pasquale Aleardi, Jan Georg Schütte, Christine Hecke, Annika Blendl, Tatja Seibt, Hans-Uwe Bauer, Amy Benkenstein, Peter Benedict, Julika Jenskins, Johannes Klaußner, Michael Hanemann, Doris Buchrucker, Stefan Morawietz.
  • Regie: Bruni Grass
  • Drehbuch: Eckhard Vollmar (nach einem Roman von Jean-Luc Bannalec)
  • Kamera: Hendrik A. Kley
Im achten Spielfilm der ARD-Kriminalfilmreihe «Kommissar Dupin» führen die Ermittlungen Dupin-Darsteller Pasquale Aleardi in die Vergangenheit eines angesehenen Arztes. Pierre Chaboseau lautet der Name des Mannes, der in Dupins Armen stirbt. In der Stadt ist er beliebt gewesen. Angesehen. In der Wohnung des Opfers trifft Dupin dessen Ehefrau Maelle (Karin Giegerich), die einen weggetretenen, desorientierten Eindruck macht. Schlaftabletten hat sie genommen. Erst langsam versteht sie, was gerade geschehen ist. Ihr Mann soll nicht mehr leben? Ergibt das einen Sinn?

Es sind Details, die Dupin in der Wohnung des Verstorbenen ins Auge fallen und die keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass er das Opfer eines Verbrechens geworden ist. Doch die Ermittlungen verlaufen schwierig. Es gibt nämlich schlicht und ergreifend kein Motiv für einen Mord. Chaboseau war ein Mann ohne Feinde. Zur Ruhe wollte er sich setzen, seine gut laufende Praxis hatte er de facto längst seinem Sohn übertragen... Da ist lediglich eine Sache, die nicht ganz ins Bild des Saubermannes passen will. Der so ehrwürdige Arzt hatte eine Affäre mit der Ehefrau seines Geschäftspartners Jodoc Luzel (Peter Benedict). Was normalerweise ein wunderbares Motiv abgäbe. Allein: Jodoc weiß von dem Verhältnis. Es gab eine Absprache der beteiligten Parteien. Die Affäre wurde diskret gehandhabt. Eine Scheidung hätte allen Parteien nämlich sehr teuer werden können. Teurer als das Fortführen von Ehen, die in Wahrheit nur noch auf dem Papier bestehen. Chaboseau, Luzel und ein dritter Mann im fortgeschrittenen Alter, Brecan Priziac (Hans-Uwe Bauer), haben in den letzten 30 Jahren nämlich ein kleines Vermögen durch den Kauf beziehungsweise die Planung von Immobilien in der bretonischen Hafenstadt Concarneau angehäuft.

Concarneau, bretonisch Konk-Kerne, gelegen an der Ostküste der Baie de La Forêt, hat etwas mehr als 19.000 Einwohner. Wenn man der Kriminalfilmserie «Kommissar Dupin» jedoch Glauben schenken darf, handelt es sich bei Concarneau um einen der gefährlichsten Orte der Fünften Republik, denn Mord und Totschlag scheinen in der ansonsten beschaulichen Gemeinde zum Alltag zu gehören. Seit 2014 ermittelt Kommissar Dupin in der kleinen Stadt, seit er aus Paris - nicht ganz freiwillig - in die Provinz versetzt worden ist. Musste er sich in seinem ersten Fall «Bretonische Verhältnisse» (mehr dazu hier) mit dem Mord an einem alten Kunstliebhaber auseinandersetzen, sind es nun drei Herren, die durch Immobiliengeschäfte zu einem beachtlichen Vermögen gekommen sind und von denen einer nun nicht mehr lebt - weshalb sie nun in den Fokus von Dupins Ermittlungen geraten.

Bieder und brav


«Bretonisches Vermächtnis» ist ein brav inszenierter Kriminalfilm. Oh, auf der visuellen Ebene bietet er eine herausragende Arbeit von Hendrik A. Kley, der immer wieder durch ungewöhnliche Perspektiven und eine sehr dynamische Kameraarbeit für Bewegung sorgt. Allerdings ist die Kamera so ziemlich das einzige, was sich in diesem Film bewegt. Ansonsten folgt die Dramaturgie brav der Arbeit des Kommissars. Er spricht mit Menschen, die in diesen Fall etwa durch familiäre Zugehörigkeit zum Opfer involviert sind. Oder er instruiert seine Assistenten, Namen und Zahlen zu recherchieren, die mit Chaboseaus Tätigkeit als Baulöwe zu tun haben. Das alles ist so bieder und vorhersehbar, dass man glauben möchte: Hier wird der Zuschauer einfach auf eine vollkommen falsche Fährte geführt. Es kann doch kein Zufall sein, dass die ärztliche Tätigkeit des Opfers vollkommen ignoriert wird?! Und Immobilien bieten sich für ein solches Ablenkungsmanöver doch wunderbar an. Ein Immobilienbesitzer wie Chaboseau kann halt nicht einfach durch eine Arztpraxis, Fleiß und vielleicht ein gutes Näschen für gute Geschäfte so wohlhabend geworden sein. Das Publikum mag den Gedanken, dass Leute wie Chaboseaus Dreck am Stecken haben, weil da natürlich auch ein bisschen Neid mitschwingt: Wenn der das alles erreicht hat, dann nur, weil er nicht sauber gespielt hat. Der Gedanke gefällt. Aber hier geht es nichts ums Gefallen. Hier geht es darum, den Zuschauer, wie bereits geschrieben, nur auf falsche Fährten zu locken, denn ansonsten wäre das doch alles etwas sehr einfach und ein bisschen sehr viel Klischee.

Oder?
Oder???

Dienst nach Vorschrift


Es ist ein Trauerspiel, wie die Inszenierung gar nicht erst versucht, tatsächlich falsche Fährten zu legen oder so etwas wie Spannung zu erzeugen. Chaboseau hat Immobilien, er treibt es mit der Frau eines Freundes, was der akzeptiert: Ach ja, diese Bourgeoisie.

Nach der Hälfte der Spielzeit vom «Bretonischen Vermächtnis» steht auf jeden Fall für erfahrene Kriminalfilmgucker fest, wer hier einen Mord begangen hat. Obwohl zu diesem Zeitpunkt kaum verwertbare Informationen über Chaboseaus vorliegen, erahnt man mit ein bisschen Filmkenntnis, wer den Arzt über das Balkongeländer schubste. Und obwohl es zu diesem Zeitpunkt nicht einen einzigen Hinweis auf ein Motiv gibt, lässt es sich erraten, da die von jeder Spannung und Überraschung befreite Handlung kaum Hoffnung verbreitet, die Geschichte mit einer überraschenden, krachenden Wendungen zur Auflösung zu führen. Nein, dieser Fall von Kommissar Dupin verläuft streng nach Vorschrift des Handbuches „Kriminalfälle von der Stange: Eine Einführung.“

Spielort ist ohne Belang


Nun gelingt es Regionalkrimis oft durch lokales Flair ein bisschen Atmosphäre zu erzeugen und von Schwächen in der Dramaturgie oder Handlung abzulenken. Doch leider muss man konstatieren, dass es ziemlich egal ist, ob dieser Film an der rauen Atlantikküste von Concarneau spielt oder am Ufer des Dortmund-Ems-Kanals in Castrop-Rauxel-Henrichenburg. Regionale Eigenarten (und seien sie nur hübsch verpackte Klischees) spielen ebenso wenig eine Rolle in der Geschichte wie landschaftliche Besonderheiten. Der Spielort ist so egal... Da bekommt sogar die vorzügliche Kameraarbeit von Hendrik A. Kley einen schalen Nachgeschmack. Ist sein Spiel mit Perspektiven, ist die Dynamik, mit der er die Kamera bewegt, ist die vorzügliche Lichtsetzung nur ein Ablenkungsmanöver? Soll die Kamera kaschieren, dass die Geschichte arm an Kulissen ist? Arm an Schauplätzen? Arm an der reinen Anzahl handelnder Schauspieler?

Sollte man da mit der produzierenden Degeto mal übers Budget sprechen? Sind die (wenigen) Außendrehs in der französischen Provinz etwa so teuer (da man das ganze Film-Equipment schließlich von weither in die Küste transportieren muss), dass am Ende die Rechnung mit einem solch spitzen Bleistift unabdingbar ist, dass für etwas Ambiente, etwas Flair, etwas Aufwand – kein Geld mehr bleibt?

Ohne Flair, spannungsarm, überraschungsfrei. Der achte Spielfilm der «Kommissar Dupin»-Reihe ist auf ganzer Linie eine Enttäuschung. Was um so irritierender wirkt, bedenkt man, dass die Spielfilmreihe ein internationaler Lizenzhit für die Degeto darstellt, die die Fälle des Kommissars aus der bretonischen Provinz in 40 Länder verkauft. Darunter China, Indien und, man höre und staune, auch nach Frankreich.

Das Erste zeigt «Kommissar Dupin - Bretonisches Vermächtnis» am Donnerstag, 14. Mai 2020 um 20.15 Uhr.
13.05.2020 13:01 Uhr  •  Christian Lukas Kurz-URL: qmde.de/118225