«Noch nie in meinem Leben» gab’s so viel Humor

Devi möchte eigentlich nur ein ganz normales Leben führen. Allerdings hat Devi ein Problem. Sie ist 15 Jahre alt und gehört an ihrer Schule zu den Uncoolen. Wie soll man da ein ganz normales Leben führen können? «Noch nie in meinem Leben» ist die Wiedergeburt der klassischen Teenie-Komödie. Mit einigen Updates.

Cast & Crew

  • Darsteller: Maitreyi Ramakrishnan, Darren Barnet, Ramona Young, Richa Moorjani, Lee Rodriguez, Poorna Jagannathan, Sendhil Ramamurthy, John McEnroe
  • Showrunner: Mindy Kaling, Lang Fisher
  • Produktion: Mindy Kaling, Lang Fisher, Howard Klein, David Mine, Tristam Shapeero
  • Regie: Tristram Shapeero, Linda Mendoza, Kabir Akhtar, Anu Valia
  • Entstehung und Daten: USA 2020, 10 Episoden á 22 bis 30 Minuten
«Never Have I Ever» lautet der Originaltitel der von der amerikanischen Schauspielerin und Autorin Mindy Kaling erdachten Serie. Mindy Kaling heißt eigentlich Vera Mindy Chokalingam, was an sich nicht sonderlich von Interesse wäre, in diesem Fall aber Parallelen zur Hauptfigur ihrer Serie erahnen lässt. Mindy Kaling wurde 1979 in Boston als Tochter aus Indien stammender Eltern geboren. Ihr Vater ist ein tamilischer Architekt, die Mutter Ärztin. Mindy Kaling ist demnach einerseits Kind von Einwanderern, gleichzeitig wurde sie in die durchaus gehobene Mittelklasse der amerikanischen Vorstadt hineingeboren. Und nun darf man einmal raten, ob in ihre Serie möglicherweise eigene Erfahrungen eingeflossen sein mögen, denn ihre Heldin Devi heißt mit vollständigem Namen Devi Vishwakumar und ist Tochter eines indischen Architekten und einer indischen Gynäkologin, die 2001 in die USA eingewandert sind, ein Jahr, wie Devi bemerkt, das für Einwanderer aus dem Heimatland ihrer Eltern nicht unbedingt ideal war, um einen Neustart zu beginnen...

Die UN an der Mittelschule


Mindy Kaling hat als eine der maßgeblichen Autorinnen der Serie «The Office» bewiesen, dass Humor aus vielen Situationen entstehen kann. Aus äußeren Umständen. Aus Missverständnissen. Ja sogar aus einer Dramatik heraus, die überhaupt keinen Anlass bietet zu erwarten, das die kommende Geschichte äußerst humorvoll werden könnte. Und so beginnt auch «Noch nie in meinem Leben» alles andere als amüsant. Devi nämlich verliert ihren Vater. Es ist ein Schulkonzert, an dem Devi teilnimmt. Sie spielt die Harfe. Stolze Eltern sitzen im Publikum. Dies ist der gehobene Mittelstand der amerikanischen Vorstadtgesellschaft aus dem Bilderbuch. Adrett hätte man ihr Auftreten einst genannt. Dann passiert es. Einfach so. Devis Vater fasst sich an die Brust und bricht zusammen. Mohan Viswakumar, ihr Vater, ein attraktiver Mittvierziger, stirbt.

Kurze Zeit später landet Devi im Rollstuhl. Niemand kann erklären, warum dies geschieht. Es ist ihre Psyche, die sie an den Rollstuhl fesselt. Und dann zieht auch noch Kamala, Devis indische Cousine, in ihr Haus ein. Kamala, die Medizin studiert, meint es eigentlich nur gut. Sie möchte Devi und ihrer Mutter Nalini beistehen. Aber Kamala ist auch so absolut perfekt...

So wirklich heiter klingt das alles nicht. Keine Frage, es ist wirklich genau das Gegenteil. Doch dieser lange, die Geschichte einleitende Prolog endet mit dem ersten echten Lacher. Auf einem Supermarktparkplatz erblickt Devi Paxton Hall-Yoshida, den heißesten Jungen ihrer Schule. 16 Jahre. Schwimmer. Der Typ, dem auch die eher nerdigen Mädchen gerne mal hinterherschauen. Das Problem: Devis schmachtende Blicke werden durch ein Hindernis gestört, weshalb sie aus ihrem Rollstuhl kurz aufstehen muss.

Ein Wunder? Auf jeden Fall steht Devi, die selten eine schlechtere Note als eine glatte 1 schreibt, nun in der Schule endgültig als Freak da. Diesen Ruf hatte sie allerdings auch vorher schon. Ihre besten Freundinnen sind nämlich Fabiola, ein Roboternerd. Und Eleanor, die fest davon überzeugt ist, eines Tages eine große Schauspielerin zu werden und das ganze Leben als eine Bühne betrachtet. Da Fabiola die Tochter eines weißen Vaters und einer afroamerikanischen Mutter ist, Eleanor derweil Tochter chinesischer Eltern, wird ihre kleine Gruppe auch UN genannt – irgendwie repräsentieren sie die halbe Welt. Dass UN eigentlich etwas anderes bedeutet... erfährt Devi erst später.

Sex and the Pubertät


«Noch nie in meinem Leben» bewegt sich in den Fußspuren bekannter Teenie-Komödien. 15 Jahre alt zu sein, das ist eine Strafe. Vor allem für die Außenseiter wie Devi, Fabiola und Eleanor. So spielt natürlich Sex eine wichtige Rolle für sie. Oder eben auch nicht Sex. Denn kein Junge möchte mit den drei Mädchen etwas zu tun haben. Was zwar auch nicht so stimmt – aber wenn man ein Außenseiter ist, sieht man die Realität vielleicht etwas... anders!

Auf jeden Fall will Devi ihre Jungfräulichkeit verlieren. Der Plan steht. Und sie weiß auch, wer für diesen Plan als Partner in Frage kommt: Paxton. Als der auch noch in ihre Klasse strafversetzt wird, nutzt sie die Gelegenheit, sich Paxton regelrecht als Sexgespielin an den Hals zu werfen. Jedoch passiert etwas Unerwartetes. Paxton, der zunächst „ja“ sagt, entpuppt sich als weitaus komplexerer Charakter als gedacht. Er mag in dem Ruf stehen, ein Bad Boy zu sein. Aber was bedeutet es schon – einen Ruf zu haben? Mit der Realität muss das nicht zwingend korrespondieren. Und so passiert nichts. Bis auf die Kleinigkeit, dass sich das Gerücht verbreitet, es wäre etwas passiert. Was nun immer wieder Teil der folgenden Handlung wird. Man kennt das: Eine kleine Lüge hier, eine kleine Lüge da. Irgendwann bekommt man diese nicht mehr wirklich eingefangen.

Humor auf vielen Ebenen


Was «Noch nie in meinem Leben» so sehenswert macht, sind die vielen Ebenen, auf denen hier der Humor stattfindet.

Er ist sehr situationsgebunden. Da ist eben eine kleine Lüge, die sich verselbstständigt und nun eine Spirale der Absurditäten in Gang setzt. Klassische Situationskomik eben, in der nicht selten das Nicht-Gesagte zu groteskeren Momenten führt als das, was gesagt wird.

Manchmal aber ist der Humor direkt und derb. Dies sind in der Regel jene Momente, in denen Devi auf Ben trifft. Ben Gross, Sohn eines bekannten Anwalts, arrogant, hochnäsig. Vor allem aber ist er Devis Nemesis, denn er ist ebenso intelligent wie sie. Devi ist an sich das, was man als nett bezeichnen würde. Devi möchte niemanden etwas Böses antun. Aber wenn Ben in einem Test, in dem es 100 Punkte zu erreichen gibt, 99 erreicht und Devi nur 98: Dann herrscht Krieg. Ihre Gefechte erinnern in ihren besten Momenten an klassische Screwballkomödien. Da sitzt jeder Dialog, da sitzt jede Pointe.

Die dritte Ebene ist die des Clash of Cultures. Devis Mutter Nalini mag zwar sehr amerikanisch in ihrem Auftreten wirken. Aber da ist eben auch die Inderin, die ihre Tochter eines Tages mit einem guten indischen Jungen verheiratet sehen will - und die Devis Cousine Kamala schätzt, weil die nicht nur wunderschön ist und aus einem Bollywoodfilm entsprungen sein könnte – sondern eben auch die Traditionen ihrer Herkunft in der Fremde nicht vergisst. Man kann Themen wie „Herkunft“ und „Identität“ im Rahmen eines Sozialdramas thematisieren. Oder man wählt den Weg Mindy Kalings und unterlegt auch die eher ernsten Momente stets mit einem Augenzwinkern.

Und dann ist da John McEnroe. Ja, der John McEnroe. John McEnroe ist der Erzähler der Geschichte, die Stimme aus dem Off, die immer wieder Devis Handeln kommentiert, hier und da eine Situation im Kontext einordnet – und einfach großartig ist. Schon als Tennisspieler war McEnroe eben nicht nur ein Sportler, sondern immer auch ein Showman, der die Konfrontation mit Schiedsrichtern auch suchte, um seinen Ruf als Bad Boy des Tenniszirkus zu manifestieren. Warum ausgerechnet McEnroe als Erzähler fungiert? Nun, da gibt es durchaus einige Parallelen zu Devi. Auch Devi kann sehr aufbrausend sein und gerade der Humor der Serie basiert immer wieder darauf, dass Devi – wenn es emotional wird – erst handelt und dann denkt. Sie ist impulsiv. Was sie definitiv mit McEnroe gemeinsam hat. Vor allem aber ist McEnroes Rolle einfach eine abgefahrene Idee, auf die man erst einmal kommen muss. Leider geht in der deutschen Fassung ein wenig von seinem schnoddrigen Erzählton verloren. Aber Netflix bietet bekanntlich die Möglichkeit, Serien im OmU zu schauen.

Kein Cheerleader-Girl


Das Update für die Teenie-Komödie besteht natürlich einmal darin, dass es da Devis familiären Hintergrund gibt. Devi ist eben kein Cheerleadergirl, wie es Kirsten Dunst 2000 in der wunderbaren Komödie «Girls United» dargestellt hat. Sie ist aber auch keine so klassische Außenseiterin, wie sie dies in ihrer Selbstwahrnehmung zu sein glaubt. Eigentlich ist Devi ein ganz normales Mädchen. Nur dass sie halt manchmal wie ein Depp verhält – eine Rolle, die normalerweise im Genre der Teeniekomödie den Jungs vorbehalten ist.

Nun steht und fällt die gesamte Geschichte mit ihr Hauptdarstellerin, schließlich ist Devi der Dreh- und Angelpunkt der gesamten Handlung, nur eine Handvoll Szenen kommen ohne ihre Auftritte aus. Maitreyi Ramakrishnan heißt die 19-jährige Hauptdarstellerin und die hat zuvor noch nie vor einer (Profi-)Kamera gestanden. Mindy Kaling hat für die Besetzung der Hauptrolle ein ungewöhnliches Casting veranstaltet. Sie bat interessierte Mädchen indischer Herkunft um Bewerbungsvideos. Ob dies der Serie einfach bereits im Vorfeld Aufmerksamkeit einbringen sollte und eher als Werbecoup zu verstehen ist – oder ob sie einfach keine geeignete Darstellerin in den USA fand? Darüber kann man diskutieren. Maitreyi Ramakrishnan ist dann auch Kanadierin tamilischer Herkunft. Ihr erstes Bewerbungsvideo nahm sie in der Bücherei ihrer Heimatstadt Mississauga (Ontario) auf. Ein erstes Video, dem auf Bitten des Besetzungsbüros vier weitere folgten, bis sie zu einem echten Casting eingeladen wurde.

Maitreyi Ramakrishnan Timing ist schlichtweg erstaunlich. Vor allem unter der Prämisse, dass sie weder eine ausgebildete Schauspielerin ist noch eine Comedienne mit Bühnenerfahrung. Dass sie dann auch noch in den ernsten Momenten den richtigen Ton trifft, sei nur der Vollständigkeit wegen erwähnt.

Am Ende aber hat man irgendwie alle Hauptfiguren von «Noch nie in meinem Leben» ins Herz geschlossen. Sie alle haben ihre kleinen und großen Macken, ihre kleinen und großen Probleme. Vor allem aber sind sie allesamt zutiefst menschlich. So sehr, dass es traurig ist, sie nach zehn Episoden auch schon wieder ziehen lassen zu müssen.

Die Serie ist via Netflix abrufbar.
16.05.2020 14:23 Uhr  •  Christian Lukas Kurz-URL: qmde.de/118215