«Narziss und Goldmund» - Genre trifft Klassiker

Stefan Ruzowitzky stammt eigentlich aus dem harten Genrekino. Seine Wahl als Regisseur für den Hermann-Hesse-Klassiker «Narziss und Goldmund» wirkt aber nur auf den ersten Blick ungewöhnlich und erweist sich im Laufe des knapp zweistündigen Mittelalter-Dramas als absolut naheliegende Wahl.

Filmfacts: «Narziss und Goldmund»

  • Start: 12. März 2020
  • Genre: Drama
  • FSK: 12
  • Laufzeit: 110 Min.
  • Kamera: Benedict Neuenfels
  • Musik: Henning Fuchs
  • Buch: Stefan Ruzowitzky, Robert Gold
  • Regie: Stefan Ruzowitzky
  • Darsteller: Jannis Niewöhner, Sabin Tambrea, Emilia Schüle, Kida Khodr Ramadan, Johannes Krisch, André Hennicke, Jessica Schwarz
  • OT: Narziss und Goldmund (DE 2020)
Stefan Ruzowitzky erlangte deutschlandweite Bekanntheit durch seinen Psychothriller «Anatomie», der hierzulande derart erfolgreich war, dass kurze Zeit später sogar ein zweiter Teil folgte. Bis heute gehört der erste Teil zu den kassenstärksten Genrefilmen aus nationalen Gefilden. Anschließend zog es den Filmemacher ins Ausland, wo er neben dem Schneewestern «Cold Blood» auch den Zombiehorror «Patient Zero» inszenierte. Sogar seine Kinderbuchverfilmung «Hexe Lilli: Der Drache und das magische Buch» ließ Ruzowitzkys Wurzeln als Genrefilmer erahnen. Ihn nun mit der Arbeit an Hermann Hesses Dramaklassiker «Narziss und Goldmund» zu betrauen, wirkt da auf den ersten Blick unkonventionell bis mutig, macht aber im Detail absolut Sinn. Zwar steht in der Geschichte die liebevolle Freundschaft zwischen zwei Männern im Fokus, doch das von Pest, Gewalt und Tod gezeichnete Umfeld, in dem sich ebendiese Freundschaft zu inniger Liebe entwickelt, könnte wohl kaum einer besser inszenieren als der mit der Materie vertraute Ruzowitzky.

Freunde für's Leben?


Nachdem er von seinem gewalttätigen Vater in ein Kloster abgeschoben wird, gibt sich der junge Goldmund (Jannis Niewöhner) ganz dem Glauben hin. Der gleichaltrige Narziss (Sabin Tambrea) nimmt sich hinter den Mauern von Mariabronn dem jungen Schüler an. Die harten Lehrjahre und die regelmäßigen Schläge der Lehrer schweißen die beiden Jungen eng zusammen. Diese Freundschaft wird auch dann noch bestehen, als sich Goldmund dazu entschließt, die Klostermauern zu verlassen und die Welt zu entdecken. Während Narziss weiter dem Glauben an Gott frönt, begibt sich Goldmund auf die Suche nach seiner Mutter und lernt in der großen weiten Welt Frauen, die Liebe und seine Leidenschaft für bildende Künste kennen. Doch das Schicksal treibt die beiden Männer einander immer wieder gegenseitig in die Arme…

Zu Beginn von «Narziss und Goldmund» reißt der auch für das Skript verantwortliche Ruzowitzky im Eilverfahren die Kindheitsjahre der beiden titelgebenden Hauptfiguren ab. Schon in diesen wenigen Minuten hält er mit der hinter den Klostermauern vorherrschenden Gewalt nicht hinterm Berg. Mangelnder Gehorsam wird mit Prügel gestraft, bis Rücken und Beine der jungen Buben von Blutstriemen nur so übersät sind. Das ist für eine deutsche Literaturverfilmung mitunter sehr hart anzusehen. Und diesen Kurs des bisweilen kaum Ertragbaren fährt Ruzowitzky in den folgenden knapp zwei Stunden weiter, sodass es uns nicht wundern würde, sollte der Film letztlich gar eine FSK-Freigabe ab 16 erhalten. Wir sehen von Pest-Blasen übersäte Leichen, im Detail am Opfer ausgeübte Folter und dazwischen immer wieder nackte Haut. Auch die Kulissen wirken stets alles andere als aufgeräumt, sondern schmutzig und belebt. Und das ist insbesondere für eine deutsche Literaturverfilmung, in der ja schon gern mal alles ein wenig nach Theater aussieht, alles andere als selbstverständlich.



Man hat hier und da sogar das Gefühl, den Gestank der Straßen mitsamt ihrer Menschen auch im Kinosaal riechen zu können. Es ist der exakten Regieführung Ruzowitzkys zu verdanken, dass bei so viel Gewalt und Schmutz die Intimität der Freundschaft zwischen Narziss und Goldmund nie auf der Strecke bleibt.

So detailliert und mitunter schwer verdaulich die Szenerie von «Narziss und Goldmund» auch wirkt, so gut gelingt es den Verantwortlichen auch, nie den Blick für das Wesentliche zu verlieren. Über die 110 Minuten Laufzeit verfolgen wir vorwiegend Goldmund auf seiner Reise vom jungen zum gereiften Mann, die er Narziss in ausführlichen Rückblenden erläutert. Vor allem Goldmunds Liebschaften spielen eine nicht unwichtige Rolle. Doch es ist allen voran die Frage nach dem Sinn des Lebens, die die Männer umtreibt. Schließlich haben die Freunde ihr Leben einst auf gleiche Weise begonnen eh sie beide auseinandergedriftet sind. Die philosophischen Dimensionen der Geschichte reißt der fertige Film zwar nur an, doch zu der Erkenntnis, dass es keinen optimalen Lebensweg für jeden gibt, sondern das Glück individuell und für jeden anders aussieht, kommt man im Anschluss an «Narziss und Goldmund» trotzdem. Die Jugendlichen, die diese Verfilmung des nur zu gern im Schulunterricht verwendeten Stoffes schauen dürfen, haben auf jeden Fall sehr viel Glück.

Fazit


In dieser Spielfilm-Interpretation von Hermann Hesses «Narziss und Goldmund» prallt eine warmherzige Männerfreundschaft auf ein dreckig-ungeschöntes Umfeld. Genau dieser inszenatorische Kontrast macht Stefan Ruzowitzkys Arbeit so reizvoll.

«Narziss und Goldmund» ist ab dem 12. März in den deutschen Kinos zu sehen.
12.03.2020 10:00 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/116547