Die Kritiker: «Unterleuten»

Nichts ist deutscher als ein Streit um Windkraftanlagen und vielleicht ist kein Dorf deutscher als das Unterleuten aus dem gleichnamigen Bestseller von Juli Zeh. Das ZDF hat ihn nun als Dreiteiler verfilmt. Unsere Vorab-Kritik:

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Thomas Thieme als Rudolf Gombrowski
Hermann Beyer als Kron
Miriam Stein als Linda Franzen
Rosalie Thomass als Jule Fließ
Ulrich Noethen als Dr. Gerhard Fließ
Charly Hübner als Schaller
Bettina Lamprecht als Kathrin Kron-Hübschke
Bjarne Mädel als Wolf Hübschke
Dagmar Manzel als Hilde Kessler

Hinter der Kamera:
Produktion: Network Movie Film- und Fernsehproduktion GmbH und ZDF
Drehbuch: Magnus Vattrodt
nach dem gleichnamigen Roman von Julie Zeh
Regie: Matti Geschonneck
Kamera: Theo Bierkens
Produzenten: Reinhold Elschot und Silke Pützer
Windkraftanlagen sind ein Schibboleth. An ihnen entscheidet sich, wer (wie ihre Befürworter) zum kosmopolitischen, weltoffenen, chancenergreifenden Bürgertum gehört, und wer (wie ihre Gegner) zu den engstirnigen zurückgelassenen Verlierern von Globalisierung und Kapitalismus. So lässt sich zumindest die Figurenkonstellation des ZDF-Dreteilers «Unterleuten» deuten, wenn auch – klugerweise – nur auf den ersten Blick.

Im titelgebenden brandenburgischen Dorf ist drei Jahrzehnte nach der Wende zwar immerhin die Versorgung mit Leitungswasser vorerst gesichert; die zivilisatorische Errungenschaft der Kanalisation hat sich im ostdeutschen Hinterland aber immer noch nicht durchgesetzt. Um die Gruben leer zu pumpen, kommt deshalb einmal im Monat der „Scheißewagen“ auf die Grundstücke, wo bei weitem nicht (nur) die tatterigen Hinterwäldler leben, wie man sich das im Prenzlauer Berg oder in Ottensen vorstellen mag: Tür an Tür mit dem tief im Ort verwurzelten Bürgermeister (Jörg Schüttauf) und dem Eigentümer des einzigen nennenswerten Betriebs (Thomas Thieme) lebt auch ein dreißigjähriger struwweliger Ex-Berliner Programmierer mit seiner Freundin Linda (Miriam Stein) in einem alten Gutshof, auf dem sie bald ein Reitzentrum errichten will, das die Arbeiter im Ort und die aus München im Jaguar angereisten Investoren gleichermaßen als Ponyhof abkanzeln. Oder der ebenfalls aus dem großstädtischen Trubel geflohene Soziologe Dr. Fließ (Ulrich Noethen), der mit seiner deutlich jüngeren Öko-Frau (Rosalie Thomass) in der sauberen Luft mit selbst angebautem Gemüse und Ingwertee seine Tochter großziehen will. Der Kreis der Akademiker wird erweitert um die Gerichtsmedizinerin Kathrin Kron-Hübschke (Bettina Lamprecht), Tochter eines altkommunistischen Dorfureinwohners mit zwielichtiger Vergangenheit und Ehefrau eines erfolglosen Schriftstellers (Bjarne Mädel), der immer Rasen mäht, wenn er bei seinem neuen Stück nicht weiterweiß und demzufolge fast den ganzen Tag im Garten zubringt.

In dieser vordergründigen Idylle ist der angedachte Windpark die Zündschnur, mit der sich das unerkannte Pulverfass zielsicher in die Luft jagen lässt. Weil der öffentliche Haushalt maßlos überschuldet ist und einzig von einem dahinsiechenden Landwirtschaftsbetrieb am Leben gehalten wird, hat der gütige, aber realistische Bürgermeister keine andere Wahl, als mit voller Kraft für das Windparkvorhaben eines Heuschrecken-Konsortiums zu werben. Doch nicht nur für die Eingeborenen ist das Projekt ein rotes Tuch. Auch Umweltschützer Dr. Fließ ist sofort erbitterter Gegner – wenn auch nicht als prinzipientreuer Fundamentalopponent, sondern vielmehr als das, was Amerikaner Nimby nennen: not in my backyard. Schließlich würden ihm die einhundert Meter hohen Ungetüme die schöne Aussicht buchstäblich verbauen. Das Aluhut-Elektrosmog-Gefasel seiner Frau nimmt er dagegen, wenn auch gut kaschiert, nicht für voll.

Auch Pferde-Linda wettert bei der Dorfversammlung entschieden gegen die Konzern- und Rathauspläne, allerdings weniger aus einer inhaltlichen Ambition heraus, sondern vielmehr, um sich der Dorfgemeinschaft gewogen zu machen, was beim Aufbau ihres Reitzentrums von großem Nutzen sein dürfte.

So stellt der Dreiteiler schon sehr früh – und ziemlich intelligent – heraus, dass niemand in der Windkraftdebatte (und der damit einhergehenden Frontstellung im Dorf) ausschließlich oder auch nur primär von ehrbaren und aufrichtigen Motiven geleitet wird. Ebenso klug lässt er diese Fronstellungen nicht allein entlang der Grenze „Zugezogene versus Ureinwohner“ laufen, auch wenn er den Stadt-Land-Gegensatz bisweilen überbetont. Denn durch den allzu plakativen Rückgriff auf Extreme – die Öko-Hipsterin aus Berlin samt IT-Anhang als Vertreterin der kosmopolitischen „entwurzelten“ Urbanität auf der einen Seite, und aggressive, bisweilen pöbelnde und fast immer ziemlich verwahrlost aussehende Landmaschinenbediener als Repräsentanten der lokalbetonten „verwurzelten“ zurückgelassenen Peripherie auf der anderen – wirkt dieser Dualismus zu einfach und antiquiert.

Dabei orientiert sich die Dramaturgie der Filme eng an der inhaltlich-thematisch interessanten Romanvorlage von Juli Zeh und verzettelt sich deshalb schnell in der Erzählung vom Aufbrechen alter Dorfintrigen, von DDR-Altlasten und Dreiecksbeziehungen, anstatt weiter von der eigentlich spannenden Grundbeobachtung aus konzentrische Kreise zu ziehen: Auf dem Land, wo die gesamte wirtschaftliche Existenz an einem Betrieb hängt, der nicht mal mehr genug Polen bezahlen kann, um die Ernte einzufahren, wo es keine Kanalisation gibt, und wo der schleichende, aber konsequente Abbau von medizinischer Versorgung, Bildungsmöglichkeiten und öffentlicher Verkehrsanbindung die Menschen an ihre Resignation gewöhnt hat, ist Nachhaltigkeit keine Kategorie – vor allem nicht, wenn sie von betont Big-Business-mäßig auftretenden Leuten aus Hannover oder Ingolstadt beworben wird. Hieran entzündet sich der Konflikt zwischen gesellschaftlichen Gruppen, die der britische Journalist David Goodhart – freilich in einem viel zu vereinfachenden Gedankengang – die Anywheres und Somewheres nennt: zwischen dem weltoffenen liberalen Bildungsbürgertum, dessen Vertreter in Brandenburg genauso wie in Berlin, heute in Schweden und morgen in Kenia leben können, und einem wirtschaftlich weniger potenten, kulturell weniger offenen Neo-Proletariat, dessen geografischer Radius aufgrund seiner Lebenswirklichkeit engen Grenzen unterworfen ist.

Mit seiner Verweigerung einer Entweder-Oder-Haltung hinsichtlich der Zuordnung seiner Figuren zu diesen Gruppen, den Überschneidungen ihrer Interessen und ihren mitunter kontraintuitiven Haltungen hat dieser Stoff viel richtig gemacht. Doch leider bleibt er damit über drei von viereinhalb Stunden lang in der Etablierung hängen und dringt erst spät zur Durchführung vor – bedingt durch die ebenso langweilige wie ausführliche Betrachtung der alten Wendeseilschaften und die detaillierte Schilderung der kruden Landtauschgeschäfte der Dorfbewohner. Mit Blick auf das starke Figurenpersonal und die kluge Betrachtung des ostdeutschen Dorflebens in Zeiten von Internet, Telearbeit und Windparks ist das ein vernachlässigbarer Schönheitsfehler – aber eben einer, der mit Blick auf die Macher dieses Dreiteilers besonders wurmt:

Denn an die besonders einnehmende Figurenführung seiner herausragenden Erfolge – das eindringliche Drama «Das Zeugenhaus», die sensible Tragikomödie «Ein großer Aufbruch» und die großartig beobachtete Komödie «Südstadt» – kann das Regie- und Drehbuch-Duo aus Matti Geschonneck und Magnus Vattrodt mit diesem Dreiteiler leider nicht anknüpfen. Trotzdem scheint auch in den schwächeren Momenten von «Unterleuten» ihr besonderes Talent durch, ihr Darstellerensemble glänzen zu lassen: Jörg Schüttauf gibt sich als Dorfbürgermeister staatsmännisch im Kleinen, der wieder einmal enorm präsente Thomas Thieme ist herrlich als altertümlicher Intrigant, Miriam Stein lässt ihre berechnende Idealistin niemals zur Parodie auf weltfremde Großstadttussis verkommen und Rosalie Thomass ist wunderbar nervtötend und doch irgendwie sympathisch.

Das ZDF zeigt die drei Teile von «Unterleuten» von Montag, den 9. März, bis Mittwoch, den 11. März, täglich um 20.15 Uhr.
09.03.2020 06:03 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/116492