«Troop Zero» - gute Laune mit einem zarten Arthaus-Anstrich

Die eigenen Grenzen überwinden: Das Kino liebt Geschichten über Außenseiter, die durch ihr Handeln Großartiges vollbringen. Christmas Flint ist die klassische Außenseiterin. Ein Mädchen aus einer ärmlichen Siedlung, der niemand etwas zutraut. Und das davon träumt, dass ihre Stimme zu den Sternen aufbricht.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Mckeena Grace (Christmas)
Viola Davis (Miss Rayleen)
Jim Gaffigan (Ramsey Flint)
Allison Janney (Miss Massey)
Charlie Shotwell (Joseph)
Milan Ray (Hell-No Price)
Johanna Colón (Smash)
Bella Higginbotham (Anne-Claire)
Mike Epps (Dwayne)

Hinter der Kamera:
Regie: Bert & Bertie
Drehbuch: Lucy Alibar
Studios: Amazon Studios, Big Indie Pictures, Espace Artists

94 Minuten
Die eigenen Grenzen überwinden: Das Kino liebt Geschichten über Außenseiter, die durch ihr Handeln Großartiges vollbringen. Christmas Flint ist die klassische Außenseiterin. Ein Mädchen aus einer ärmlichen Siedlung, der niemand etwas zutraut. Und das davon träumt, dass ihre Stimme zu den Sternen aufbricht.

Wir schreiben das Jahr 1977. Jeden Abend liegt Christmas (Mckenna Grace) mit ihrer kleinen Taschenlampe auf der Terrasse ihres kleinen, heruntergekommenen Hauses irgendwo vor den Toren einer Stadt in Georgia, und schickt ihrer Mutter Lichtbotschaften in den Himmel. Christmas glaubt fest daran, dass diese Nachrichten irgendwann ihre Mutter erreichen werden. Und wenn nicht, so wird das Licht doch für alle Zeiten daran erinnern, dass irgendwo auf dem Planeten Erde ein kleines Mädchen mit einer großen Hoffnung in ihrem Herzen gelebt hat. Das All jenseits seiner irdischen Grenzen ist Christmas' Sehnsuchtsort: Der plötzlich in Reichweite gelangt als ihre Schule die Chance erhält, eine Nachricht für jene goldene Schallplatte aufzunehmen, die die NASA mit der Voyager-2-Sonde als Botschaft an fremde Intelligenzen ins All zu senden gedenkt. Für Christmas' Schuldirektorin steht fest, dass ihre Pfadfinder-Mädchen diese Nachricht aufnehmen sollen. Aber so einfach ist das nicht, denn die Mädchen sollen nicht einfach bestimmt werden. Sie müssen vorher auf einem Pfadfinderinnenwettbewerb beweisen, dass sie wirklich für diese Aufgabe geeignet sind. Für Christmas steht fest, dass sie an diesem Wettbewerb teilnehmen muss. Da sie niemals in die Gruppe aufgenommen wird, muss sie eine eigene Gruppe gründen.

Kleine Mädchen sind unheimlich


«Troop Zero» ist ein Gute-Laune-Film mit einem Touch Arthaus-Kino. In der Bildsprache bedienen sich die Regisseurinnen Bert & Bertie gerne in der Wes-Anderson-Schublade oder bei Filmen vom Schlage „Little Miss Sunshine“, der Humor bleibt jedoch eher harmlos bis liebenswürdig. Was keinesfalls als negative Kritik zu verstehen ist. «Troop Zero» liebt seine Figuren dafür einfach viel zu sehr als dass dies zu bemängeln wäre. Und «Troop Zero» ist voll von liebenswerten Figuren.

Im Mittelpunkt steht natürlich Christmas, ein Mädchen, das bei jedem Wetter rote Gummistiefel trägt und deren Optimismus einfach umwerfend ist – obwohl sie es nicht einfach hat. Seit ihre Mutter verstorben ist, bekommt ihr Vater (Jim Gaffigan) sein Leben nicht mehr in den Griff. Ramsey, der seine Tochter stets Boss nennt und sich selbst daher den Bossman, ist Anwalt. Aber leider ist er nicht nur der erfolgloseste Anwalt der Stadt, er ist auch viel zu gutmütig und nett für seinen Job, weshalb er es seinen Mandanten viel zu oft durchgehen lässt, dass sie ihn nicht bezahlen können. Dass Miss Rayleen (Viola Davis) überhaupt noch für ihn arbeitet, ist ein Wunder. Die ehe- und kinderlose Mittvierzigerin ist eine Ausgeburt an schlechter Laune, was vor allem ihrem gnadenlosen Realismus geschuldet ist. Da jede Pfadfinder-Gruppe allerdings von einer Gruppenmutter geführt werden muss, die praktischerweise nicht zwingend eine tatsächliche Mutter zu sein hat, verpflichtet Christmas' Vater Miss Ramsey diesen Job zu übernehmen. „Ich habe mit Brandstiftern, Mördern und Staatsanwälten zu tun, kleine Mädchen sind mit unheimlich“, lehnt sie die Verpflichtung folgerichtig ab. „Außerdem darf man sie nicht mehr schlagen. Die Gesetze wurden geändert.“ Doch was tun, wenn der Chef das will und irgend jemand auf Christmas' aufpassen muss? Denn mag Ramsey noch so ein lieber Kerl sein, so sehr überfordert ihn seine Rolle als alleinerziehender Vater.

Die Gruppe Null


So also findet sich nach und eine Gruppe („Troop“) zusammen. Mit Joseph (Charlie Shotwell), Christmas' besten Freund, der von allen nur Mädchenjunge genannt wird, weil er lieber Cheerleader als Footballspieler wäre, Hell No-Price (Milan Ray), einem Mädchen, das gerne eine Gang anführen würde und ein leichtes Aggressionsproblem hat, ihrer Freundin Smash (Johanna Colón), die nie etwas sagt, aber gerne Sachen kaputt macht, und schließlich der einäugigen Anne-Clair (Bella Higginbotham), die jede Entscheidung, die sie trifft, erst mit Jesus absprechen muss und noch nie Freunde hatte.

Netflix vs. Amazon


Der große Unterschied zwischen den Eigenproduktionen von Netflix und Amazon ist der, dass das, was Netflix produziert auf Netflix bleibt. Während Netflix Scorseses „The Irishman“ wenigstens einen ganz, ganz kleinen Kinostart spendierte, um ihn für die Oscars aufhübschen, wurde bei der 150-Mio-Dollarproduktion „6 Underground“ ganz darauf verzichtet. Ob man den Film mag oder nicht: Kinobilder produziert er im Sekundentakt. Amazon derweil möchte die gesamte Verwertungskette bedienen. Amazon produziert fürs Kino, Amazon-Produktionen finden ihren Weg auf den Heimkinomarkt und auch die Lizenzierung von eigenen Titeln fürs Free-TV gehört dazu. Um so erstaunlicher, dass «Troop Zero» als Amazon-Original direkt auf Prime ausgewertet wird, ohne zuvor einen größeren Umweg übers Kino genommen zu haben.

Zu diesbezüglichen Spekulationen lädt die Premiere des Filmes ein: Im Januar 2019 wurde die Amazon-Produktion auf dem Sundance Film Festival aufgeführt; an sich der beste Aufführungsort einer dem Arthaus zugeneigten Coming-of-Age-Geschichte und eine gute Werbung für jedes Filmplakat. Aber, von einigen kleineren Festival-Auffürhungen abgesehen, war es das – und ziemlich genau ein Jahr nach Sundance landet der Film auf Prime. Dabei ist «Troop Zero» jene Art von Film, die in Arthaus-Kinos ihr Publikum finden. Ein Film, der durchaus in seinem kleinen Rahmen am Ende Verleiher und Produzenten zufrieden stimmen kann. Kaum eine Kritik – einschließlich dieser – kommt etwa ohne Vergleiche mit Wes Anderson oder „Little Miss Sunshine“ aus, Namen und Filmtitel, die gerade bei einem Publikum Interesse erzeugen, das dem Blockbuster getriebenen Mainstream skeptisch gegenüberstehen mag, aber dennoch sehr kinoaffin ist.

Marketing-Kalkül?


In den USA ließe sich solch eine exklusive Streaming-Auswertung vielleicht mit dem Namen Viola Davis erklären. Viola Davis ist in den USA ein große Name. Nicht nur wegen ihrer erfolgreichen Serie „How to Get Away With Murder“. Sie ist die erste Afro-Amerikanerin, die zur Gruppe der „Triple Crown of Acting“ gehört, jenen Schauspielerinnen und Schauspielern, die sowohl einen Oscar, einen Emmy- als auch einen Tony-Award gewonnen haben. Damit steht sie in einer Reihe mit Namen wie Al Pacino, Ingrid Bergman, Helen Mirren und Jeremy Irons. Im hart umkämpften Streaming-Markt schadet Exklusivität nicht – da bietet sich in den USA «Troop Zero» durchaus als exklusiver Aufmerksamkeitsbringer an und ein Kinostart fällt halt aus. Doch außerhalb der USA?

Das schmälert den Gute-Laune-Faktor des Filmes nicht. Sicher lässt sich bemängeln, dass die britischen Regisseurinnen Amber Finlayson (Bert) und Katie Ellwood (Bertie) es im letzten Drittel hier und da etwas arg melodramatisch werden lassen, ganz so, als würden sie der leichten Hand, mit der sie die Geschichte bis zu diesem Punkt inszeniert haben, nicht mehr ganz vertrauen. Doch das sind Nuancen, die sich kaum negativ auf den Gesamteindruck des Filmes auswirken.

Fazit: Was den Gesamteindruck betrifft, bleibt am Ende des Gefühl, gerade etwas Schönes gesehen zu haben. Einen Film, der seine schrägen Helden, das Träumen, die Freundschaft und das Leben in all seinen unterschiedlichen Schattierungen feiert. Auch dann, wenn es mal schwer wird.

«Troop Zero» gibt es seit 17. Januar 2020 bei Amazon Prime.
20.01.2020 09:14 Uhr  •  Christian Lukas Kurz-URL: qmde.de/115179