«Messiah»: Der angebliche Wunder-Mann von Netflix

Stell dir vor, der leibhaftige Sohn Gottes kehrt in unsere heutige Welt zurück: In der neuen Netflix-Serie «Messiah» passiert genau das. Stoff für eine spannende Serie?

Kaum hat die neue Dekade begonnen, da verkündet jemand bei Netflix das Wort Gottes. In «Messiah» haben wir es mit Al-Masih (Mehdi Dehbi, «A Most Wanted Man») zu tun, der prophezeit, dass die Geschichte bald Vergangenheit ist. Dass der Krieg im syrischen Damaskus bald ein Ende haben wird, dass Gott höchstpersönlich dafür sorgen wird. Und tatsächlich: Durch einen gewaltigen Wüstensturm werden die letzten Überbleibsel des IS weggefegt. Ist der Prediger sowas wie ein Heiliger? Mit Gewissheit kann das keiner sagen, aber Tausende Freiwillige folgen ihm alsbald quer durch die Wüste. In sehr kurzer Zeit hat der Fremde mit Jesus-Frisur eine gewaltige Anhängerschaft aufgebaut.

Die Wunder gehen noch weiter: Der von Außenstehenden auch gerne mal als Wunder-Mann bezeichnete Al-Masih kann sich in Gedanken der Protagonisten hacken, weiß intime Details anderer Menschen, verschwindet plötzlich spurlos und kann sogar Leute auferstehen lassen. Zumindest ist es das, was seine Anhänger sehen (wollen). Al-Masih hat zudem für praktisch alles eine spirituelle Antwort auf Lager – auch wenn die ein oder andere ziemlich abgegriffen daherkommt. Gott ist immer mit dir, Gott hat einen Plan mit uns. Ob der angebliche Messias wirklich der ist, für der er sich ausgibt, ist der Dreh- und Angelpunkt der Serie. Blöd nur, dass sich gleich in den ersten Episoden so viele unglaubliche Ereignisse überhäufen, das es mitunter durchaus schwer fällt, noch daran zu glauben, Al-Masih könne ein Betrüger sein. Hier hätten weniger Wunder bestimmt für mehr Spannung gesorgt.

Die CIA-Agentin Eva Geller (Michelle Monaghan, «True Detective») hat den vermeintlichen Messias von Anfang an auf dem Radar: Sie traut dem mysteriösen Mann nicht über den Weg. Ist er etwa nur ein riesiger Schwindler vor dem Herrn? Oder wird er gar zu einem neuen Anführer einer terroristischen Organisation? Fragen, die die Ermittlerin herumtreiben. Man kommt einfach nicht drumherum, hier Parallelen zu «Homeland» zu ziehen. Arbeit geht bei Geller immer vor, obwohl sie sich gesundheitlich in einem sehr schlechten Zustand befindet. Hinzu kommt ein gestörtes Verhältnis zu ihrem Vater. Allzu viele Emotionen sollte man von ihr generell nicht erwarten. Später kommt noch der israelische Ermittler Aviram Dahan (Tomer Sisley) dazu, der seine ganz eigenen Ermittlungsmethoden hat und ebenfalls mit emotionalen Problemen zu kämpfen hat. Dahan und Geller funktionieren dabei nicht gut als Team, ein stereotypischer Konflikt scheint hier vorprogrammiert zu sein.


«Messiah» behandelt einige der großen Fragen der Menschheit. Die offensichtlichste: Was würde passieren, wenn der Messias in der Welt von heute auftaucht? Wie verändert sich dann der Glaube der Menschen? Kommt es zu Unruhen oder finden die Menschen allmählich wieder zueinander? Ist alles, was passiert, durch Schicksal – durch Gott – vorherbestimmt? «Messiah» gibt darauf keine endgültige Antwort, das wäre auch vermessen. Die Serie gibt lediglich Impulse zum Nachdenken und zeigt, wie die Figuren mit diesen Fragen umgehen.

«Messiah» fällt trotzdem weniger durch spektakuläre Folgen auf, sondern eher damit, dass im Netz damit einige Gemüter erhitzt werden: Serienmacher Michael Petroni werden respektloser Umgang mit Religion sowie anti-islamische Propaganda vorgeworfen. Ebenfalls im Fokus der Kritik ist, dass der Name Al-Masih ad-Dajjal im islamischen Glauben so viel wie „falscher Messias“ bedeutet, der wiederum vergleichbar mit dem Antichristen ist. In einer Online-Petition sprechen sich bereits an die 5.000 Menschen gegen die Netflix-Produktion aus (Stand: 05.01.2020).

«Messiah» könnte eigentlich eine hochspannende Angelegenheit sein, wären da nur nicht die zahlreichen Nebenplots um die Ermittler und andere Personen im Umfeld, die weniger interessant sind und vom großen Ganzen ablenken. «Messiah» legt ohnehin ein sehr behäbiges Erzähltempo an den Tag. Wirkliche Überraschungen bleiben größtenteils aus. 2020 beginnt demnach nicht mit einem großen Knall bei Netflix.
05.01.2020 12:30 Uhr  •  Daniel Sallhoff Kurz-URL: qmde.de/114802