Die Rolle des Buches im Zeitalter der Bilder – Zwischen «Das Literarische Quartett» und «Game of Thrones»

Einst das weltweite Fiktionsaushängeschild und heute von zahlreichen „Mitbewerbern“ abgehängt? Ist das Medium „Buch“ schon am Ende? Mitnichten! Seine Rolle hat sich nur verändert.

Es ist endgültig nicht mehr zu leugnen: Wir leben im Zeitalter der Bilder! Man muss sich nur ansehen, welche Sozialen Medien – vor allem bei den ganz Jungen – einst angesagt waren und welche heute das Maß aller Dinge sind. Wer das tut, ist nämlich direkt im Besitz des gewichtigsten Argumentes, mit dem diese These gestützt werden kann. Den Begriff „Facebooker“ gibt es schließlich bis heute nicht, aber „YouTuber“ oder „Instagrammer“ schon beziehungsweise spricht man ja mittlerweile hauptsächlich von „Influencern“. Ob Videos oder Fotos, ob „in Bewegung“ oder statisch, das Bild steht so sehr im Fokus wie nie zuvor – auch dank all der Prominenten-Accounts, die natürlich die größte Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Allgemein hat in der Welt der Unterhaltung eine spürbare Verschiebung stattgefunden:

Filme finden nach wie vor ihr Publikum, allerdings – so ehrlich muss man sein – zumeist nur noch die vielbeworbenen Blockbuster mit gigantischen Budgets, denen es letztlich auch zu verdanken ist, dass die Branche weiterhin in der Form bestehen kann, wie sie es tut. Dass man jedoch Lösungen finden muss, um wenigstens nicht noch mehr an Boden zu verlieren, hat bei den bekannten Ketten wie auch bei kleinen Programmkinos, von denen zahlreiche bereits die Segel streichen mussten, längst zielorientierte Denkprozesse in Gang gesetzt. Eine in diesem Zusammenhang vielfach geäußerte Erkenntnis: Der Kinobesuch muss wieder ein Erlebnis sein, im Idealfall ein echtes Event – und das gilt – wie gesagt – für die kleinen wie auch für die großen Lichtspielhäuser gleichermaßen.

Ein lange belächelter „Contender“ ist die Videospielindustrie. Spätestens als diese aber erstmals mehr umsetzte als das so erfolgsverwöhnte Hollywood, kam man nicht mehr umhin, Games nach all der Zeit ernst zu nehmen. Denn inzwischen existieren so viele „Zocker-Generationen“ nebeneinander wie nie zu vor, die wiederum selbst ganz unterschiedliche Konsolen präferieren. Sprich: Es handelt sich hierbei nicht nur um einen temporären Trend, sondern vielmehr um einen mittlerweile etablierten Zweig der Entertainment-Welt – mit enormem Wachstumspotenzial. Und dies bedeutet, dass – Stand heute – nicht auszuschließen ist, dass sich das Kräftegleichgewicht im Unterhaltungsbereich in Zukunft noch weiter verschieben wird.

Vom Gaming lässt sich relativ leicht zum Internet überleiten – oder besser gesagt: zunächst einmal zu den weiter oben schon angesprochenen Sozialen Medien. Denn deren Rolle im Kontext der Verbreitung von beispielsweise fiktionalen Inhalten ist von enormer Bedeutung und kann über Millionengewinne oder eben Millionenverluste maßgeblich mitentscheiden. Einerseits war es nie so einfach, Gleichgesinnte zu finden, um sich über seine Vorlieben auszutauschen, gleichzeitig hat andererseits eine neue Form der – überaus wohlwollend formuliert – „Kritikkultur“ dazu geführt, dass Neuerscheinungen der unterschiedlichsten Art so schnell wie nie zuvor zu Flops abgestempelt werden respektive dass im Falle von Filmen und Serien bereits falsche Entscheidungen in Bezug auf einzelne Trailer „Shitsorms“ mit weitreichenden Folgen auslösen können. Umgekehrt kann ein starker Trailer auch dazu beitragen, dass ein Hit schon offiziell zum Hit erklärt wird, noch bevor überhaupt ein genauer Veröffentlichungstermin feststeht.


Dass jede PR gute PR ist, wäre mit diesen Ausführungen auch widerlegt. Klar, das Phänomen „Trash-Hype“, das Tele5 mit seinen „SchleFaZ“-Abenden befeuert hat, wäre ein Gegenargument, doch tatsächlich ist das Publikum – gerade an den Kinokassen – sehr wählerisch geworden, weshalb auf der großen Leinwand in Summe primär die Abendfüller genossen werden, die bereits weit vor ihrem Release für unzählige Klicks, Likes und viel Traffic in den Kommentarspalten sorgen. Zumal hier nicht nur der finanzielle Aspekt von Belang ist, sondern auch der Faktor Zeit. Schließlich ist insbesondere der jüngeren Generation wenig so heilig wie ihre Freizeit. Es kommt nicht von ungefähr, dass „Netflix & Chill“ längst den „Geflügeltes Wort“-Status erreicht hat. Sich vom heimischen Sofa (oder sogar vom Bett aus) in fiktionale Welten entführen zu lassen, garantiert eben ein Höchstmaß an Komfort und ist im doppelten Wortsinn bequem sowie (im Verhältnis) ziemlich kostengünstig. Seit Videospiele immer häufiger nur noch heruntergeladen werden und Services wie der sogenannte „Game Pass“ existieren, gilt dies quasi auch für den Gaming-Bereich. Angesichts dieser Fakten ist es nicht verwunderlich, dass das Wort „Buch“ bislang nur in der Überschrift beziehungsweise im ersten Absatz aufgetaucht ist. Ein so traditionelles Medium hat schließlich keine Chance gegen solch moderne Mitbewerber …oder etwa doch?

Wer jüngst im Oktober auf der Frankfurter Buchmesse, der größten und wichtigsten der Welt, war, konnte in jedem Fall reichlich Argumente sammeln, mit denen man den Skeptikern gut gerüstet entgegentreten könnte. Diese hat nämlich 2019 noch einmal deutlich mehr Besucherinnen und Besucher angezogen als im Jahr zuvor und diese ihrerseits haben sich an dem nicht allein den Fachbesucherinnen und Fachbesuchern vorbehaltenen Wochenende mit zahlreichen Neuheiten eingedeckt, Autorenlesungen beigewohnt, sich untereinander ausgetauscht, bei den Verlagsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern informiert oder sich schlicht treiben lassen. Das Interessante: Trotz der Fülle an Menschen herrschte nie Hektik, sondern stets eine gewisse Ruhe und Gelassenheit vor. Eher ungewöhnlich für Veranstaltungen dieser Größenordnung – zumal Vertreterinnen und Vertreter jeder Altersklasse zugegen waren. Doch die Menschen, die es an diesen Ort zieht, ticken offenbar wirklich etwas anders. Vielleicht auch deswegen, weil kaum etwas so sehr für Entschleunigung steht wie das Lesen.

Wie oft wird davon gesprochen, wie schnelllebig unsere Zeit geworden ist – und der Medienwandel hat daran einen erheblichen Anteil. Wie schon ausgeführt, sind die Sekunden, Minuten und Stunden, in denen wir machen können, wonach uns gerade ist, das wahre Luxusgut der Gegenwart. Und angesichts dessen ist es sogar durchaus plausibel, warum primär zu den im Vergleich zum Buch (vermeintlich) leichter konsumierbaren Unterhaltungsalternativen gegriffen wird. Denn Lesen bedeutet nicht nur Entschleunigung, es bedeutet vor allem auch, sich voll und ganz auf diesen zwischen zwei Buchdeckeln eingefangenen Kosmos einzulassen. Sprich: Dabei handelt es sich um eine bewusste Entscheidung, eine für ein Medium und gegen viele andere. Als Leserin oder Leser geht man so gesehen eine Art exklusive Beziehung mit dem Medium seiner Wahl ein. Kein Smartphone, generell kein Second Screen, nur Werk und Rezipientin respektive Rezipient. Wer das Handy nicht weit genug weggelegt respektive auf lautlos gestellt hat und trotzdem schwach wird, lernt schnell, dass man zwar nebenbei lesen kann, sich dann allerdings die Frage stellt, wie viel man so eigentlich mitbekommt.



Dennoch ist selbst für diejenigen mit einer enormen Selbstdisziplin der Griff ins Bücherregal inzwischen längst nicht mehr so selbstverständlich, wie er es vielleicht einmal war. Wenn der durchgetaktete Alltag gepaart mit einer Abnahme der Aufmerksamkeitsspanne einhergeht, ist es nur logisch, dass das gedankliche Abschalten umso schwieriger wird, je weniger Sinne involviert sind – und beim Lesen ist es eben nur einer. Berücksichtigt man all diese Faktoren wird deutlich, wie viel ein Roman theoretisch heute leisten muss, um wenigstens als lohnenswerte Option im Fiktionswettbewerb angesehen zu werden. Das Aufkommen der E-Books mag dabei auf den ersten Blick zu einer Verbesserung der Ausgangsvoraussetzungen geführt haben, auf den zweiten erkennt man aber bereits, dass wohl lediglich das digitale Schmökern auf einem Reader verhindern könnte, dass (wie beim Nutzen eines Tablets) direkt fünf Tabs gleichzeitig offen wären. Obwohl weltweit „Electronic Books“ immer populärer werden, hat man gerade in Deutschland das Gefühl, dass nach wie vor für viele Buch und Haptik untrennbar zusammengehören – womit man wieder beim Erlebnis wäre. Die Chance darauf, sich einprägen zu können, wo man sich den Höhepunkt welcher Geschichte erstmals zu Gemüte geführt hat, ist deutlich höher, wenn man sich Seite für Seite durch einen bestimmten Titel gearbeitet hat und nie versucht war, in den eher überfliegenden „PC-Standard-Lesemodus“ zu verfallen, wozu einen ein Bildschirm sicherlich verleiten würde. Manchmal erinnert man sich dann selbst daran, dass die Stelle, die einen nachhaltig beeindruckt hat, rechts oben zu finden war, und dass das neue Kapitel gerade erst begonnen hatte. Und dass man den Helden bei seinem sensationellen Triumph unterstützt hat, während man im Urlaub in Land X im Jahr Y in Begleitung von Z am Strand gelegen hat.

Lesen Sie auf der nächsten Seite alles über den ersten großen Fantasy-Hype Anfang des neuen Jahrtausends.


Dass der Großteil einer Generation über mehrere Jahre zahlreiche solcher „Leseerinnerungen“ parallel sammelt, ist äußerst selten. Dass ein solches Szenario allerdings eintreten kann, hat eine gewisse Joanne K. Rowling – ihres Zeichens Erfinderin von Harry Potter, dem jungen Zauberer, der innerhalb kürzester Zeit zu einer Bekanntheit gekommen ist wie kaum ein anderer Buchcharakter jemals zuvor – eindrucksvoll bewiesen. Unvergessen sind die nicht nur hierzulande inzwischen geradezu legendären Lesenächte, die erstmals unmittelbar vor dem Veröffentlichungstag von „Harry Potter und der Feuerkelch“, also dem vierten Band der Reihe, im Jahr 2000 veranstaltet worden sind. Zu diesem Zeitpunkt war auch längst klar, dass nur wenige Monate später (Ende 2001) «Harry Potter und der Stein der Weisen» ins Kino kommen würde – ein Film, auf den noch 7 weitere folgen sollten, da das finale Abenteuer des Jungen mit Blitznarbe auf der Stirn („Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“) als Zweiteiler produziert worden ist. Für die Fans begann nun also eine regelrechte „Schlaraffenlandphase“, da sie sich, wenn es nicht gerade literarischen Nachschub gab, an filmischem erfreuen durften und umgekehrt. Außerdem wurden alle Bände selbstredend auch als Hörbuch aufgenommen, was dazu führte, dass Rufus Beck, der sieben Mal im Aufnahmestudio Platz nahm und jedem der unzähligen Figuren auf einzigartige Weise Leben einhauchte, für „Potterheads“ im deutschsprachigen Raum auf ewig untrennbar mit diesem Universum verbunden bleiben wird.

Dieser unglaubliche Hype kam jedoch nicht aus dem Nichts. Fantasy war spätestens seit dem Moment, als öffentlich verkündet worden war, dass Peter Jackson die „Der Herr der Ringe“-Trilogie von J. R. R. Tolkien verfilmen würde, wieder in aller Munde. Und nebenbei erhielt auf diese Weise eine von Genre-Liebhabern verehrte Saga aus den 50ern nach einer gefühlten Ewigkeit endlich die Anerkennung, die sie eigentlich schon viel früher hätte erhalten müssen. So gesehen war in erster Linie der Beginn des neuen Jahrtausends fest in fantastischen Händen. «Der Herr der Ringe: Die Gefährten» etwa startete nämlich im Dezember 2001 in Deutschland und damit nur knapp einen Monat nach dem ersten Potter-Film von Chris Columbus. «Harry Potter und die Kammer des Schreckens» lief fast auf den Tag genau ein Jahr später an und «Der Herr der Ringe: Die zwei Türme» wieder circa vier Wochen danach. Der Winter 2003 gehörte dann ganz dem mit 11 Oscars (unter anderem „Bester Film“) ausgezeichneten «Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs», während «Harry Potter und der Gefangene von Askaban» erst im Sommer 2004 für Schlangen an den Kinokassen sorgte.

2011 strömten all jene, die mit Harry, Ron und Hermine aufgewachsen sind – und nicht nur die –, vorerst zum letzten Mal in die Lichtspielhäuser ihres Vertrauens, um aus nächster Nähe mitzuverfolgen, wie ihre Lieblinge Lord Voldemort endgültig besiegten. Wer nun aber dachte, dass die Nachfrage nach Stoffen dieser Art mittlerweile stark nachgelassen oder sich eine Übersättigung eingestellt hätte, der irrte gewaltig. Im Gegenteil: Längst war die Suche nach dem legitimen Nachfolger in vollem Gange. Sie gestaltete sich allerdings als nicht gerade einfach: Ob „Die Chroniken von Narnia“, „Eragon“, „Tintenherz“ oder „Percy Jackson“, an adaptionswürdigen Vorlagen mangelte es nicht, und trotzdem konnte keine der auf ebendiesen basierenden Verfilmungen auch nur im Ansatz eine ähnliche Welle der Begeisterung auslösen, wie es einst den Hogwarts-Schülern oder den Bewohnern von Mittelerde gelungen war. Dieses einzigartige Erbe anzutreten, dürften die Köpfe hinter den «Twilight»-Umsetzungen nicht im Sinn gehabt haben. Stephenie Meyers Tetralogie hatte für ein echtes Vampir-Comeback gesorgt – glühende Anhänger und scharfe Kritiker inklusive. Die fünf Abendfüller (man machte auch hier aus dem letzten Band einen Zweiteiler), die zwischen 2008 und 2012 erschienen, generierten jedoch zufriedenstellende Umsätze und puschten darüber hinaus die Buchverkäufe. Dies hatte vornehmlich damit zu tun, dass sich neben denjenigen, die mehr und mehr (lesend) in all die mystisch-magischen Universen eingetaucht waren und stets nach neuen potenziellen Hits Ausschau hielten, inzwischen auch immer mehr Menschen zu Fans dieser sogenannten „Franchises“ erklärten, die durch die Filme erstmals mit der Materie in Berührung gekommen waren. Und diese Entwicklung sollte sich in den Folgejahren bis zum heutigen Tag nur verstärken. Ein weiteres Beispiel dafür sind die vier «Die Tribute von Panem»-Teile, die auf der Trilogie von Suzanne Collins basieren – ja, auch hier wurden die Geschehnisse aus dem finalen Buch in zwei Teile gepackt.


Obwohl die drei «Der Hobbit»-Blockbuster (2012 – 2014) zufriedenstellende Box-Office-Zahlen einfuhren, konnten sie inhaltlich Peter Jacksons erstem Großprojekt nicht im Ansatz das Wasser reichen – was auch an der weit weniger umfangreichen Vorlage im Vergleich zu den „The Lord of the Rings“-Bänden lag. Und so langsam durfte die Frage erlaubt sein, ob es überhaupt möglich war, diese riesigen Schuhe auszufüllen? Die Antwort: Ja, nur eben keiner Filmreihe. Längst hatten Serien wie «Die Sopranos», «Lost»oder «Breaking Bad» für Furore gesorgt, weshalb immer häufiger vom „Golden Age of Television" zu hören und zu lesen war. Dieses zeichnete sich von Beginn an primär durch Formate mit einer horizontalen Erzählweise aus, solche also, die auf Langlebigkeit ausgelegt sind und mit einer möglichst komplexen Handlung aufwarten können. Exemplarisch für diese Art Produktion ist «Game of Thrones» (2011 – 2019), die mit Auszeichnungen überhäufte Serie, die für den dritten Fantasy-Boom von riesigem Ausmaß im neuen Jahrtausend verantwortlich war – und – richtig – auf einer Buchreihe basiert. Entwickelt hatte diese George R. R. Martin, der auch TV-Erfahrung besaß und von D. B. Weiss und David Benioff, den kreativen Masterminds hinter «GoT», von Anfang an miteinbezogen wurde. Der Plan: Martin sollte in aller Ruhe die Geschichte beenden, während „D&D“ aus dem Inhalt seiner bereits vollständig vorliegenden Bände die Auftaktstaffeln entwickeln sollten. Gesagt, getan: Mit jeder Season wuchs die weltweite Fangemeinde spürbar, bis man irgendwann – ohne Übertreibung – von einem globalen Phänomen sprechen durfte.



Gleichzeitig mussten das neue „dynamische Duo“ der Branche bald feststellen, dass sie ab einem Punkt X die Serie würden eigenständig beenden müssen. Immerhin teilte Martin den beiden mit, wie er gedachte, die wichtigsten Handlungsfäden enden zu lassen. Und schon musste sich «Game of Thrones» den Vorwurf gefallen lassen, ohne „literarischen Leitfaden“ nachzulassen. Das änderte nichts daran, dass bis zur Ausstrahlung der letzten Folge („Der Eiserne Thron“) in diesem Jahr das Interesse an «GoT» nicht nachließ – Kritik hin oder her, mitreden können wollten die meisten auch weiterhin. Das war nämlich aufgrund der sich an der Nachfrage orientierenden Veröffentlichungspolitik seitens HBO, dem US-Pay-TV-Sender, dem Popkulturbegeisterte dieses Westeros zu verdanken haben, nun möglich. In Schulhöfen, Universitäten, Büros, Supermärkten, heimischen Wohnzimmern und natürlich im Internet wurde leidenschaftlich über das Format debattiert. Zudem war es selbstverständlich in allen großen Medienportalen Thema – und immer wieder war in diesem Kontext das Wissen der Buchleser gefragt, was wiederum viele, die lange kein Buch zum persönlichen Vergnügen mehr angerührt hatten, wieder zu Lesern machte.

Diejenigen hingegen, die sich bereits sehr früh die Romanen zugelegt hatten, sie vielleicht sogar seit Mitte der 90er kannten oder seitdem sie nach etwas gesucht hatten, um die Leere zu füllen, die sich nach dem fünften Durcharbeiten sämtlicher „Der Herr der Ringe“- oder „Harry Potter“-Bände so langsam dann doch bei ihnen eingestellt hatte, verschafften sich ebenfalls immer häufiger nachhaltig Gehör. Anfangs noch auf Blogs, später vermehrt auf YouTube und schließlich mithilfe von Podcasts – und zwar vielfach auf hohem Niveau und zum Teil gar mit einem eigenen künstlerischen Anspruch. Das mittlerweile zum festen Bestandteil der Medienindustrie gewordene „Influencertum“ beweist bis heute gerade im Zusammenhang mit Popkultur oftmals, dass es dessen Vertreterinnen und Vertretern eben doch nicht immer, wie ihnen nicht selten vorgeworfen wird, um die maximale Klickanzahl oder den größten Werbedeal geht. Im Internet konnte das, was vor nur wenigen Jahren von vielen Chefredakteurinnen und Chefredakteuren noch für eine absolute Nische gehalten wurde, wachsen, gedeihen und immer mehr Zuspruch finden. Interessanterweise erreichen aber auch dort Videos von Kanälen, die sich bevorzugt oder ausschließlich dem geschriebenen Wort widmen, bei Weitem nicht die Abrufzahlen, wie es bei solchen der Fall ist, die sich mehrheitlich um Serien und/oder Filmen drehen. Ebenso spannend: Die meisten sogenannten „BookTuberinnen“ und „BookTuber“ stellen häufig Werke vor, die dem Bereich der Fantastik zuzuordnen sind, oder bezeichnen das Genre als dasjenige, das sie am meisten anspricht, beeinflusst oder überhaupt erst zum Lesen gebracht hat. Und in den zugehörigen Kommentarspalten, in denen es im Übrigen auffallend harmonisch zugeht, ergibt sich häufig ein ähnliches Bild. Umso bemerkenswerter ist das, wenn man sich einmal vergegenwärtigt, wie schwer sich das Feuilleton lange mit Fantasy-Literatur (oder auch Science-Fiction) getan hat und in Teilen nach wie vor tut.

Lesen Sie auf der nächsten Seite alles über die Pläne der großen Sender und Streamingdienste und erfahren Sie, inwiefern Buchadaptionen dabei eine Rolle spielen.


In diesem Zusammenhang bietet es sich an, auf «Das Literarische Quartett» zu sprechen zu kommen, das in neuer Besetzung seit 2015 wieder regelmäßig im ZDF ausgestrahlt wird – und 2020 in veränderter Form zurückkehren soll. Wie diese Anpassungen im Detail aussehen werden, ist noch nicht bekannt, interessant dürfte in diesem Kontext jedoch sein, ob man beabsichtigt, in Zukunft stärker auf Stoffe zu setzen, die zu einem Zeitpunkt X (beispielsweise aufgrund einer Verfilmung) besonders im Fokus stehen werden. Wenn man vorhat, die Zielgruppe zu erweitern, wäre das ein denkbarer Schritt. Denn bis dato sind es eher (auf wahren Begebenheiten beruhende oder von ihnen inspirierte) Romane und Sachbücher, auf die die breite Öffentlichkeit zumeist erst durch die Sendung oder einen Blick auf die Bestsellerlisten aufmerksam wird, die das Gros der vorgestellten Titel ausmachen. Es wäre aber falsch, im Zuge all der Erneuerungsbemühungen, den Kern des Formats zu verraten, und der besteht eben im leidenschaftlichen Austausch über Literatur. Die Stamm-Diskutanten Volker Weidermann, Christine Westermann (beide werden 2020 nicht mehr mit von der Partie sein) und Thea Dorn, die 2017 Maxim Biller ersetzte, sind auch in der Zeit nach Marcel Reich-Ranicki absolut streitbar. Es gibt wenige Orte im deutschen Fernsehen, wo noch mit so viel Hingabe argumentiert wird und Worte derart mit Bedacht gewählt werden. Und weil dies so bleiben soll, müssen die Teilnehmer auch – wie bisher – ihr Buch selbst auswählen dürfen. Daher würden Gäste wie zum Beispiel Deutschlands Fantasy-Aushängeschilder Markus Heitz oder Kai Meyer, Jugendromanautorin Cornelia Funke, die vornehmlich auf Krimis spezialisierte Cornelia „Nele“ Neuhaus oder Thriller-Experte Sebastian Fitzek der Sendung sicher guttun. Gäste also, zu denen die Mehrheit der deutschen Leserinnen und Leser einen Bezug hat und die eventuell Werke vorstellen würden, die es sonst eher nicht in eine solche Sendung geschafft hätten. Wobei an dieser Stelle selbstredend nicht vergessen werden darf, dass viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller sich ungern über die Arbeit ihrer Kolleginnen und Kollegen auslassen oder es einige auch schlicht nicht ins Fernsehen zieht.

Selbst wenn es sie selbst jedoch nicht dorthin ziehen sollte, gilt dies nicht unbedingt für die von ihnen ersonnenen Geschichten. Programmverantwortliche geben aktuell wohl so viele Buchadaptionen in Auftrag wie nie zuvor. Dabei wurde in Deutschland bislang eindeutig alles, woraus sich Historiendramen, Krimis oder Komödien entwickeln ließen, allem, was von den unendlichen Weiten der Galaxie oder Zauberei und Magie handelte, vorgezogen. Es gilt aber zu bedenken, dass das klassische Fernsehen gefühlt gerade erst entschieden hat, größer und internationaler zu denken. Im Zuge dessen kommt es auch immer häufiger zu Koproduktionen über Ländergrenzen hinweg, was verstärkt zu einer echten Genrevielfalt in Sachen High-End-Serien/-Mehrteilern führen wird und zu mehr Mut, auch außergewöhnlichere Ideen zu verfolgen. So darf man etwa gespannt sein, was der Intendant der Nibelungenfestspiele Nico Hofmann, der bekanntermaßen auch UFA-Chef ist, für Siegfried, Kriemhild und Hagen im Sinn hat – dass er die populärste deutsche Sage nicht mehr nur alljährlich auf die Wormser Bühne, sondern gerne auch auf die heimischen Bildschirme bringen möchte, war lange ein offenes Geheimnis, bevor es kürzlich von dem gebürtigen Heidelberger auch offiziell nochmals bestätigt wurde. Das aktuelle Prestigeprojekt des ZDF wiederum dürfte eindeutig die «Der Schwarm»-Serie sein. Aus Frank Schätzings Bestseller sollen insgesamt 8 aufwendig produzierte Episoden werden – unter Mitwirkung von unter anderem Frank Doelger, einem der «GoT»-Executive-Producer. Während die ARD und Sky mit «Babylon Berlin» schon gemeinsam ein solches Mammutprojekt gestemmt haben – die ersten beiden Staffeln sind recht freie Umsetzungen von Volker Kutschers erstem Gereon-Rath-Roman „Der nasse Fisch“, die im Januar 2020 startende dritte Season basiert auf dem zweiten („Der stumme Tod“) und eine vierte Season, die ebenfalls von Tom Tykwer, Hendrik „Henk" Handloegten und Achim von Borries realisiert werden wird, wurde ebenso bereits angekündigt.

Es tut sich also spürbar etwas in TV-Deutschland. Als Beleg dafür kann etwa der vergangene Freitag im Ersten herhalten: Mit «Der Club der singenden Metzger» lief dort nämlich zur besten Sendezeit der neue Zweiteiler von «Das Adlon. Eine Familiensaga»-Regisseur Uli Edel als XXL-Programmierung am Stück und bewies einmal mehr, wie vielfältig, hochklassig und berührend Fernsehunterhaltung im Jahre 2019 sein kann, und wie groß die Nachfrage nach adaptionswürdigen Romanen ist. Denn – Sie ahnen es – auch auf diese Geschichte aus der Feder von Louise Erdrich hätte man in einer gut sortierten Buchhandlung stoßen können. Diese Anstrengungen sind allerdings auch zwingend nötig, wenn man perspektivisch das jüngere Publikum nicht komplett an Streamingdienste verlieren will. Gerade der jüngste Rechtepoker (Champions League, Olympia oder Fußball-Europameisterschaft) hat schließlich gezeigt, dass es für klassische Sender immer schwieriger werden wird, attraktiven Live-Sport exklusiv anbieten zu können. Deshalb ist es umso wichtiger, sich im Unterhaltungssektor nicht abhängen zu lassen. Dass man bei den Öffentlich-Rechtlichen seine Mediatheken weiter optimieren möchte und die Privaten mit TVNOW und Joyn zeigen, dass sie gewillt sind, mit der Zeit zu gehen, unterstreicht, dass man es damit auch wirklich ernst meint.


Die Streamingdienste ihrerseits werden jedoch ebenfalls nicht lockerlassen, da neue Player wie Apple TV+ oder Disney+ natürlich gleichbedeutend mit einem sich weiter intensivierendem Wettbewerb sind. Die Suche nach dem nächsten Hit endet auch hier oft bei Buchreihen. Wobei man es sich eindeutig zum Ziel gesetzt hat, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, jeder und jedem und insbesondere auch Teenagern und jungen Erwachsenen eine Auswahl an auf sie zugeschnittenen Programmen anbieten zu können. Und deswegen werden dann eben auch Serien wie «Tote Mädchen lügen nicht» oder «You – Du wirst mich lieben» produziert. Auf diese verweisen wiederum entsprechende Sticker, mit denen sich kurz vor oder nach Release die zugehörigen Romane schmücken dürfen – neues Cover in der Regel inklusive. Die von Amazon Prime gerettete ursprüngliche Syfy-Produktion «The Expanse» hingegen wird mit Sicherheit in erster Linie deswegen von Anhängern anspruchsvoller Science-Fiction-Storys so geschätzt, weil Daniel Abraham und Ty Franck ein sehr durchdachtes literarisches Fundament gelegt haben, von dem Mark Fergus und Hawk Ostby bei der Verwirklichung ihrer Bewegtbild-Vision massiv profitiert haben und nach wie vor profitieren.



Und auch all die passionierten Gamer, die mit viel Freude die „The Witcher“-Teile an der heimischen Konsole durchgespielt haben, dürften spätestens seit dem 20. Dezember 2019 wissen, dass ihr geliebtes Videospiel lediglich an Geschichten anschließt, die allesamt Andrzej Sapkowski erdacht hat und schon viele Jahre in Gestalt zweier Kurzgeschichtensammlungen und einer Haupt-Pentalogie vorliegen. Und da es sich, wie weiter oben ausführlich dargelegt, schon mehrfach ausgezahlt hat, viel Geld in die Entwicklung von Filmen und Serien zu stecken, wenn deren Macher aus dem Vollen schöpfen können, ist es vollkommen logisch, wieso Netflix sich die Rechte an der „Geralt-Saga“ gesichert hat. Bei Amazon Prime dagegen wird bereits fleißig an einer «Der Herr der Ringe»- und einer «Das Rad der Zeit»-Serie gearbeitet. Woran man wieder sieht: Die ganz großen Hoffnungen werden vor allem in Fantasy-Stoffe gesetzt – sogar in welche, die als Film schon gefloppt sind, wie im Falle der BBC und HBO, denen mit ihrer «His Dark Materials»-Version das zu gelingen scheint, was dem Abendfüller von 2007 nicht gelungen war: die Handlung aller drei von Philip Pullmann erdachten Bände zu erzählen, und nicht nur die des ersten („Der goldene Kompass“).

Über all diese Produktionen wird aktuell berichtet, im Netz wird über sie diskutiert und gestritten, über sie werden Rezensionen verfasst, Fans können das passende Merchandise und eben die Bücher erwerben. Kurz: Ihr „Name" hat Gewicht, und das gilt im Prinzip für alle der in diesem Beitrag intensiver beleuchteten Titel. Wir leben nämlich nicht nur im Zeitalter der Bilder, sondern auch – es wurde schon erwähnt – in dem der großen „Franchises“, und die wiederum würde es in vielen Fällen überhaupt nicht geben, wenn bestimmte Autorinnen und Autoren nicht irgendwann Kapitel für Kapitel ihre Einfälle niedergeschrieben hätten. Wir leben folglich also auch im Zeitalter der Bücher – wir müssen es uns nur hin und wieder bewusst machen. Und nachdem wir das getan haben, vielleicht einmal wieder in die kleine Buchhandlung unseres Vertrauens gehen und uns ein Buch empfehlen lassen, auf dem eines Tages womöglich das nächste globale Fiktionsphänomen basieren wird.

PS: In Deutschland heißen sie Comics und haben bei Weitem nicht den Stellenwert, den sie etwa in Frankreich oder den USA haben, wo sie bekanntlich – nicht ohne Grund – als „comic books“ bezeichnet werden, aber dazu ein anderes Mal mehr.
29.12.2019 10:00 Uhr  •  Florian Kaiser Kurz-URL: qmde.de/114694