«Star Wars – Der Aufstieg Skywalkers», oder: Der Kompromiss Lucasfilms

Es wird nun, in einer tief, tief gespaltenen Fangemeinde: «Star Wars – Der Aufstieg Skywalkers» versucht, für Frieden in einer Filmreihe zu sorgen, die nach Konflikten schreit.

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Filmfacts «Star Wars – Der Aufstieg Skywalkers»

  • Regie: J. J. Abrams
  • Produktion: Kathleen Kennedy, J. J. Abrams, Michelle Rejwan
  • Drehbuch: J. J. Abrams, Chris Terrio
  • Story: Derek Connolly & Colin Trevorrow, J. J. Abrams & Chris Terrio
  • Cast: Carrie Fisher, Adam Driver, Daisy Ridley, John Boyega, Oscar Isaac, Anthony Daniels, Naomi Ackie, Domhnall Gleeson, Richard E. Grant, Lupita Nyong'o, Keri Russell, Joonas Suotamo, Kelly Marie Tran, Ian McDiarmid, Billy Dee Williams
  • Musik: John Williams
  • Kamera: Dan Mindel
  • Schnitt: Maryann Brandon, Stefan Grube
  • Laufzeit: 142 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
In den Marvel Studios existiert der Gedanke: "Jede Figur ist irgendjemandes Liebling." Dem will die immens erfolgreiche Filmschmiede gerecht werden, indem sie selbst Randfiguren aus den weniger populären Einträgen ins Marvel Cinematic Universe nur ungern einfach so unter den Teppich kehrt. Alle Marvel-Figuren sollen daher von den Filmschaffenden idealerweise mit einem gewissen Grundmaß an Liebe und Respekt behandelt werden. «Avengers || Endgame» hat dies gemeistert und einer sehr breiten Auswahl an Figuren ihren Moment im Rampenlicht gegönnt. Auch ein anderer Drahtseilakt gelang: Der Film, der die Infinity-Saga innerhalb des MCU abschließt, vereint den Spaß besonders lustiger Marvel-Filme, den Ernst der dramatischeren Marvel-Produktionen, die Schauwerte der spektakuläreren Einträge in das Franchise sowie die ruhigeren, charakterbetonten Elemente mancher Marvel-Projekte. Und irgendwie haben es die Autoren Christopher Markus & Stephen McFeely und die Regisseure Anthony & Joe Russo geschafft, all das zu einem zusammenhängenden, kohärenten Mammutspektakel zu verbinden.

«Star Wars – Der Aufstieg Skywalkers» hat ähnliches zu bewerkstelligen. Statt aber wie die unvermeidliche, schlüssige Kulmination von allem zu wirken, was zuvor im Franchise geboten wurde, kommt Episode IX eher wie ein gewaltiger Kompromiss daher. "Jetzt kommt diese Seite der «Star Wars»-Fans zum Zuge! Und jetzt diese! Und dann jene!", scheint der Film auszudrücken.

Zugegebenermaßen haben die Autoren J. J. Abrams und Chris Terrio auch extrem gegensätzliche Sichtweisen unter einen Hut zu bringen. «Star Wars» wird genauso für Innovationen gefeiert wie als riesiges Referenzensammelsurium geschätzt, als "Hommagen – Das Franchise". «Star Wars» bekommt Kritik, es würde sich zu sehr modernisieren und es wird verrissen, zu sehr auf der Stelle zu treten. Für manche war «Star Wars» eine unschuldige Kindheitserinnerung, für andere Leute die erste "härtere" Filmerfahrung nach einer Filmerziehung ausschließlich durch Kinderfilme. Und so weiter.

Daher ist es schon eine Leistung, dass Abrams und Terrio es überhaupt vollbracht haben, einen filmischen Kompromiss zu schließen: Hier zeitlose Weltraum-Seifenoper, in der Dinge vorhergesehen und das Böse das reine, pure, sabbernd lachende Böse ist. Da aufgeschlossener Eskapismus, der Optimismus stiftend auf gegenwärtige Sorgen eingeht. Hier große Dramatik, dort nuancierter Feinsinn. Erst beiläufig-dreckige Action, dann opernhafter, glamourös inszenierter Megakitsch. Bitte alle in Ruhe anstellen, alle kommen mal dran.

«Star Wars – Der Aufstieg Skywalkers» ist allerdings nicht fahrig, dafür weiß Abrams zu gut, wie er immer wieder die Erzähltemperatur seiner Szenen anzupassen hat, bevor er sich von der einen «Star Wars»-Seite abwendet, um sich der nächsten zuzuwenden. Abrams webt zudem immer wieder solch bedeutungsvoll aufgeladene, pompöse Standbilder in den Erzählfluss ein, wie Rian Johnson sie in «Star Wars – Die letzten Jedi» sehr häufig verwendet hat. Gleichzeitig schließt er an seine eigene, sehr schmissige Dynamik aus «Star Wars – Das Erwachen der Macht» an, so dass «Star Wars – Der Aufstieg Skywalkers» allein schon inszenatorisch zwei unterschiedliche Aspekte der Filmreihe widerspiegelt, ohne auseinanderzubrechen.

Und dennoch poltert dieser Kompromissschluss hin und wieder. Vor allem auf Dialogebene bringen Terrio und Abrams die ganzen «Star Wars»-Versatzstücke schwerlich zusammen. Zu unterschiedlich sind einfach die große Theatralik und die leichtfüßige Spritzigkeit, die sie zu gleichen Teilen nicht nur bedienen wollen, sondern mit der Ziellinie der Skywalker-Saga im Blick sogar jeweils noch weiter aufdrehen. Unterm Strich bleibt so ein «Star Wars»-Allerlei. Toll für all jene, die sämtliche (oder wenigstens die meisten) der vorkommenden Facetten mögen und sich über einen Kompromiss zu erfreuen wissen. Alle anderen picken sich halt die Rosinen raus – oder regen sich darüber auf, dass sie ja die Rosinen raus picken müssen.


«Ratatouille», oder: Jeder kann kochen!


Brad Birds Meisterwerk «Ratatouille», die Geschichte einer französischen Landratte mit feiner Nase und großer kulinarischer Veranlagung, führt unter anderem aus, wie solch ein optimistischer Lehrspruch wie "Jeder kann kochen!" zu verstehen ist. "Jeder kann kochen!" bedeutet nicht, dass jede verflixte Person auf diesem Erdenrund die Veranlagung hat, Spitzengastronomie zu betreiben. Es bedeutet, dass hervorragende Kochtalente überall herkommen können. Beiläufig zeigt «Ratatouille» jedoch, dass mit der entsprechenden Hilfe und Motivation tatsächlich alle in der Küche zurechtkommen können.

Diese Moral aus «Ratatouille» ist keineswegs ein Streitpunkt, sondern wird gemeinhin als berührend und inspirierend aufgefasst. Mit der Moral der «Star Wars»-Saga und damit, wie im «Star Wars»-Universum besonderes Talent (geschweige denn Die Macht) verteilt wird, sieht das schon anders aus. Es ist vielleicht sogar das stärkste Beispiel dafür, welch fahrige, weit auseinander reichende Sichtweisen auf diese Filmreihe das Ende der Skywalker-Saga zu vereinen hat. Dieser neunteiligen Erzählung liegen Spurenelemente von Auserwählten-Prophezeiungen inne (immerhin ein bewährter Erzählmythos, der sich amüsant in neue Gewänder kleiden lässt), ebenso wie anspornende Lektionen darüber, dass die Macht alle umgibt und eint, und somit überall herausragende Talente herkommen können. Salopp bis leicht provokativ gesagt: «Star Wars» hat seine eigenen Regeln, und seine eigenen thematischen Schwerpunkte, so zurechtgelegt, wie es halt zum jeweiligen Film und dessen narrativen Fokus passt.

Als Nachfolger von «Star Wars – Die letzten Jedi» tritt «Star Wars – Der Aufstieg Skywalkers» in die erzählerischen Fußstapfen des Filmes, der am deutlichsten (aber keineswegs zuerst und alleinig) vom «Star Wars»-Pendant zu "Jeder kann kochen!" handelte. Gleichwohl ist «Star Wars – Der Aufstieg Skywalkers» als Abschluss einer gewaltigen Weltraumoper in der Bredouille, dem Pomp und dem Spiel mit Erzähltraditionen gerecht zu werden, der dem stark mythologisierten Element dieser Filmreihe innewohnt. George Lucas' zwei Trilogien "reimen" sich, wie der «Star Wars»-Schöpfer es auszudrücken pflegt. Sie handeln vom zirkulären Verlauf der Dinge, davon, wie sich Ereignisse wiederholen oder auch aufgrund gewisser Umstände leicht differenzieren.

«Star Wars – Der Aufstieg Skywalkers» wird, nimmt man erst einmal etwas Abstand und analysiert Abrams' und Terrios erzählerische Entscheidungen, beiden Ansätzen gerecht. Aber sie gehen nicht immer den offensichtlichsten Weg zu diesem Ziel. Hier wird die Implikation eines vorausgegangenen Films verworfen, dort an anderer Stelle bestärkt, da eine alte Theorie wiederbelebt, dort ein beliebter Fangedanke verworfen. Das ist gelegentlich arg auf den Schockmoment hin konstruiert, manchmal unerwartet, aber schlüssig und sporadisch sogar poetisch. Das Problem, das «Star Wars» anhaftet: Höchstwahrscheinlich werden viele wütend die Hände in die Luft werfen und sich aufregen, dass ihr Element vom Film negiert wird, obwohl es an anderer Stelle sehr wohl bestärkt wird, schaut man nur mal genauer hin.

Der (tückische) Segen von «Star Wars» ist zugleich: Gewiss werden manche Fans gehässig auf das Dementi eines von ihnen ungeliebten Storyelements oder einer von ihnen abgelehnten Fantheorie zeigen, obwohl an anderer Stelle eine Art "Naja, irgendwie stimmt es doch!" folgt. Man kann es halt nie allen allen recht machen.

«Plan 9 aus dem Weltall», oder: Wartet, wartet, wir haben hier noch fünf Sekunden Filmmaterial!


Während der Produktion des berühmt-berüchtigten Sci-Fi-Murksfilms «Plan 9 aus dem Weltall» ist die Horrorfilmlegende Bela Lugosi verstorben, was Regisseur Ed Wood förmlich das Herz brach. Der riesige Verehrer Lugosis nutzte daher förmlich jeden Schnipsel Film mit Lugosi, den er zur Verfügung hatte, um den früheren Dracula-Darsteller posthum mit einer möglichst langen Leinwandzeit in «Plan 9 aus dem Weltall» zu würdigen. Ganz gleich, wie sehr die cineastische Geschichtsschreibung über Ed Woods berühmtesten Film lachen mag: Es war ein rührender Gedanke Woods. In der Umsetzung allerdings geriet es so holpernd, verzweifelt und angestrengt, dass man vorzüglich darüber streiten kann, ob es nicht respektvoller gewesen wäre, Lugosi in Würde abtreten zu lassen, statt mittels Outtakes, Hinter-den-Kulissen-Material und Körperdoubeln sein Andenken künstlich zu strecken.

Episode IX aus dem «Star Wars»-Kosmos hat dahingehend eine unangenehme Gemeinsamkeit mit «Plan 9 aus dem Weltall»: Die populäre Schauspielerin und gefragte Drehbuch-Überarbeiterin Carrie Fisher ist im Dezember 2016 von uns gegangen. Ihre Arbeit an «Star Wars – Die letzten Jedi» hatte sie zwar schon vollendet, doch «Star Wars – Der Aufstieg Skywalkers» stand damals noch in den Sternen. Es gab zwar bereits den Gedanken, Fisher in der nächsten«Star Wars»-Episode eine größere Rolle zu geben, aber dieses Vorhaben ist zwangsweise mit ihr gestorben. Dennoch wollten sich weder «Star Wars»-Fans, noch «Star Wars»-Schaffende einfach sang- und klanglos von Carrie Fisher und ihrer Rolle der Leia Organa verabschieden. Also mussten Ideen her, wie man sie im nächsten Film auftauchen lässt.

Man entschied sich gegen eine Umbesetzung Leias, das unzeremonielle Herausschreiben der Figur und eine digitale Wiederauferstehung, wie sie Peter Cushing in «Rogue One: A Star Wars Story» erfahren hat, sondern beschritt den «Plan 9 aus dem Weltall»-Pfad, wenngleich sich das wohl niemand der Beteiligten so eingestehen würde: In «Star Wars – Der Aufstieg Skywalkers» werden verworfene, aber schon abgedrehte Szenen Fishers, Outtakes, Alternativmaterial, ach, einfach alles mit Fisher im Kostüm der älter gewordenen Leia Organa verwendet. Und das Team rund um Regisseur J. J. Abrams reizt das, was im Scheideraum noch so herumlag, wirklich bis aufs Letzte aus. Das mag im liebevollen Gedenken an Fisher geschehen sein, gerät allerdings zuweilen sehr angestrengt bis anstrengend:

Statt Fisher drei Jahre nach ihrem Tod in würdevoll ruhen zu lassen, werden halt noch bemüht Szenen rund um einen kurzen Filmschnipsel einer besorgt dreinblickenden Leia geschrieben und ähnliche Trickserei getrieben, um so viel Fisher wie nur möglich im Film zu haben. Selbstredend ist es handwerklich Lichtjahre vom «Plan 9 aus dem Weltall»-Flickenteppich entfernt, doch ob es nun eine rührende Verneigung vor Fisher ist oder ein befremdliches Klammern an übrig gebliebenen Filmresten mit ihr – das lässt sich wohl nicht so einfach bestimmen.

«Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten», oder: Die größten Hits der 70er, der 80er, der 90er, der 2000er, und das Beste von Heute


Es gibt kaum eine Filmreihe, in der die Musik eine derart große, bedeutende Rolle spielt wie «Star Wars»: John Williams' Märsche, Anlehnungen an große Klassiker aufweisenden Symphonien und sukzessive progressiver werdenden modernistischen Einflüsse haben den «Star Wars»-Mythos in der öffentlichen Wahrnehmung mindestens so weit getragen wie das ikonografische Produktionsdesign der Weltallsaga. «Star Wars – Der Aufstieg Skywalkers» wird als John Williams' Abschied von diesem Mammutwerk der Popkultur gehandelt, ebenso, wie der Disney-Konzern den Film als Abschluss des Skywalker-Erzählstrangs positioniert. Wie also verbeugt sich Williams vor seinem mehrere Generationen umfassenden Publikum und der Filmreihe, die ihn jahrzehntelang begleitet hat?

Will man gemein sein, so verabschiedet sich Williams mit einem Greatest-Hits-Album. Will man freundlich sein, so verabschiedet sich Williams mit einer über zwei Stunden langen Huldigung der Themen, Motive und Klänge aus dem «Star Wars»-Kosmos. Auf musikalischer Ebene ist «Star Wars – Der Aufstieg Skywalkers» nicht etwa ein riesiger, erzählerischer und thematischer Kompromiss zwischen den Strömungen innerhalb von «Star Wars» und zwischen den Herangehensweisen an «Star Wars». Es ist viel mehr eine Soiree in einer weit, weit entfernten Galaxis. Eine Soiree, die vor allem zu Beginn, wenn zügig zwischen Handlungssträngen und Schauplätzen hin und her gesprungen wird, etwas überwältigend sein kann in ihrer nostalgischen Referenznahme. Ähnlich, wie Hans Zimmer den Beginn von «Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten» mit einem wahlweise energetischen oder ruhelosen "Erkenne die Melodie!"-Gewusel beladen hat, folgen in «Star Wars – Der Aufstieg Skywalkers» eingangs die bekannten Melodien aufeinander, bis es kracht.

Und wie schon der vierte «Pirates of the Caribbean», so fängt sich auch Episode IX von «Star Wars». Der "Bring noch einmal alle Hits!"-Charakter bleibt, es wird aber zu einer langen, harmonischen Verschmelzung aus früheren Klangmotiven. Williams verwebt seine Rückgriffe im weiteren Filmverlauf zunehmend dichter, er wandelt sie stärker ab und lässt zuweilen aus mehreren Elementen ein einzelnes Ganzes werden. Denkwürdige neue musikalische Aspekte sind derweil rar gesät.



Und sonst so – und das Fazit


Episode IX der «Star Wars»-Saga, das Finale der Skywalker-Erzählung, scheitert am Anspruch, eine kohärente, konsequente Vision zu erzählen. Stattdessen bemüht sich Regisseur J. J. Abrams, die Fans seiner Episode VII zu bedienen und auch jene abzuholen, die «Star Wars – Die letzten Jedi» deutlich besser fanden. Darüber hinaus versucht sich «Star Wars – Der Aufstieg Skywalkers» an einem Spagat zwischen der opernhaften Mythologie der Prequel-Trilogie und dem amüsanten Weltallabenteuer voller filmischer Einflüsse, den die Original-Reihe darstellt. Zu diesem Zweck wird der Plot teils sehr umständlich gesponnen und die Dialoge geraten arg uneinheitlich. Gleichzeitig mündet dies mehrmals in wirkungsstarke Einzelsequenzen, selbst wenn sich die Frage, welche diese herausragenden Szenen sind, arg davon abhängig ist, weshalb man denn nun «Star Wars» mag. Die Vereinigung des tief gespaltenen Fandoms bleibt zweifelsfrei aus.

Doch Williams' emotional aufgeladene Musik, eine kräftige Bildsprache und die Hauptdarsteller tragen diesen mühselig errungenen, aber passioniert präsentierten Kompromissschluss durch einige Tiefen. Vor allem eine famose, intensive, nuancenreiche Daisy Ridley und ein energischer Adam Driver stützen «Star Wars – Der Aufstieg Skywalkers».

«Star Wars – Der Aufstieg Skywalkers» ist ab sofort in vielen deutschen Kinos zu sehen – in 3D und 2D.
18.12.2019 09:03 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/114471