Im Auftrag des Zuschauers: «Grantchester - Ermittler im Auftrag des Herrn» und der britische Serien-Boom

Egal ob Barnaby, Gently oder eben Reverend Sidney Chambers - Krimis aus Großbritannien gewinnen hierzulande an Popularität.

Britische Krimiserien liegen derzeit in Deutschland im Trend. Abgesehen von den Öffentlich-Rechtlichen, allen voran ZDF und ZDFneo, sind die sympathischen Chief Inspectors, Sergeants und Fathers inzwischen auch bei den privaten Sendern angekommen. Seid Ende Oktober zeigt Sat .1 Gold an jedem Freitagabend ab 20.15 Uhr zwei Folgen des von ITV produzierten Detektiv-Dramas «Grantchester - Ermittler im Auftrag des Herrn» (Bild, im Original: «The Grantchester Mysteries»). Anschließend legt der Spartensender noch eine Episode der, teilweise bereits zwischen 2009 und 2017 im ZDF ausgestrahlten Crime-Show «Gently – Der Unbestechliche» («Inspector George Gently») nach, von der allerdings bislang nur 15 von insgesamt 25 Folgen synchronisiert und gesendet wurden. Mit «Inspector Barnaby» und «Father Brown» laufen zudem nicht nur zwei Dauerbrenner recht erfolgreich im Vorabend- bzw. Abendprogramm auf ZDFneo, auch die neuen Formate «Shakespeare & Hathaway – Private Investigators» sowie die eher an US-Sehgewohnheiten angelehnte sechsteilige Serie «The Body Farm» wurden unlängst eingekauft und teilweise bereits gesendet.

Dysfunktional? Nein danke!


Losgetreten haben dürften diesen neuen Mini-Boom wohl vor allem die beiden Hitserien «Sherlock» mit Benedict Cumberbatch in der Hauptrolle und «Doctor Who» (Bild). Wo «Tatort», «Der Usedom-Krimi» und Co. sich immer weiter den düsteren Szenarien des Schwedenkrimis zu verschreiben scheinen, zeigen sich die Briten, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, erfreulich stur in ihren althergebrachten TV-Traditionen. Und warum auch nicht? Statt mit fast bis zur Satire kaputtgeschriebenen dysfunktionalen Kommissaren/innen (siehe Jörg Hartmann als Faber, oder Lisa Wagner als Heller) zeigen sich die Ermittler der grünen Insel als komplexe, aber nachvollziehbare Charaktertypen, denen man gerne auf den Spuren ihrer aufzuklärenden Verbrechen folgt.

Die Serie «Grantchester - Ermittler im Auftrag des Herrn», die auf den ab 2012 erschienenen Kurzgeschichten und Novellen des Schriftstellers Robert Runcie basiert, bildet da keine Ausnahme. James Norton («Happy Valley – In einer kleinen Stadt») gibt seinem Reverend Sidney Chambers in den ersten vier Staffeln nicht nur priesterliches Mitgefühl und Nächstenliebe mit auf den Weg, sondern auch eine ganze Menge nur allzu menschlicher Fehler. Dem gutaussehenden, jungen Anglikaner-Priester liegen die Frauenherzen zu Füßen. Nicht immer fällt es ihm leicht, mit dieser Tatsache umzugehen. So offenbart er etwa seiner wahren Liebe, Amanda, niemals seine Gefühle und muss hilflos mitansehen, wie sie einen anderen Mann heiratet. Er datet zwar hin und wieder andere Damen, schafft es aber nie, eine längerfristige Beziehung aufzubauen. Hinzu kommt, dass er viel zu viel trinkt und raucht und sich gemeinsam mit seinem Freund, Detective Inspector Geordie Keating (hervorragend gespielt von Robson Green) gerne der Aufklärung von Verbrechern widmet. Trotz dieser Schwächen wird Chambers aber nicht zum seelischen Wrack, sondern bleibt mit Hingabe seinem Seelenamt verbunden. Diese Tatsache wird zum Ende der meisten Episoden in Form eines Gottesdienstes herausgestellt, in dem der Pfarrer seine jüngsten Erlebnisse ohne erhobenen Zeigefinger verarbeitet und seiner Gemeinde kluge Fragen an die Hand gibt, die nicht selten auch ihre Spuren beim Zuschauer hinterlassen.

Kluge und spannende Themen


Ohne eine ebenso spannende, wie interessante Themenauswahl würde dieser zum Publikum geschlagene dramaturgische Bogen wohl kaum funktionieren. Da die «Grantchester Mysteries», wie übrigens auch «Father Brown» (Bild) und «Gently – Der Unbestechliche», einige Jahrzehnte in der Vergangenheit angesiedelt sind, ist es den Autoren möglich, beispielsweise auch Themen wie Homophobie und sexuelle Identität von einer auf die Spitze getriebenen Seite aus zu zeigen. Da werden Schwule wegen »unsittlichen Verhaltens in der Öffentlichkeit« verhaftet, verprügelt und als Schwuchteln beschimpft, was das Zeug hält - nicht, um Schwule zu diskreditieren, sondern um der Gesellschaft sanft einen Spiegel vorzuhalten. Auch in England gab es schließlich einmal ein Äquivalent zum unseligen § 175 des StGB, dessen Abschaffung nichts daran ändert, dass die oben genannten Themen offensichtlich leider heute noch aktuell sind. Man denke nur an die jüngste Diskussion über LGBT-Paraden in Disneyland. Aber auch mit der bis in unsere Zeit stigmatisierten Abtreibung, oder der heute wieder verstärkt geforderten Todesstrafe muss sich der tapfere Priester - und wir mit ihm - auseinandersetzen.

Skurril ist Trumpf?


Um die oben angedeutete Ernsthaftigkeit bei allem gebührenden Respekt dennoch unterhaltsam zu transportieren, setzen die Serienmacher gerne auf den vielgerühmten schwarzen britischen Humor. Diese Aufgabe wird in der Regel den bisweilen recht skurrilen Nebenfiguren auf dem Leib geschrieben. Ist Pater Brown etwa selbst schon ein ungewöhnlicher Zeitgenosse, sorgt seine Haushälterin, Mrs McCarthy, für den nötigen Schwung in all der Falllöserei. Reverend Chambers steht in der Grafschaft Grantchester wiederum der von Al Weaver verkörperte schwule Kaplan Leonard Finch zur Seite, um für ein wenig Auflockerung zu sorgen. Das Zusammenspiel zwischen den Figuren funktioniert auf den Punkt und pointiert die nach dem Whodunit-Prinzip geschriebenen Geschichten. Man nimmt sich halt „drüben, über dem Kanal“ nicht allzu ernst.

Gemächlich, aber schön


Wie den anderen vorgestellten Serien auch, fällt «Grantchester – Ermittler im Auftrag des Herrn» ebenfalls durch ein gemächliches Erzähltempo auf, dass den Kameraleuten genug Zeit gibt, die oft wunderschönen Locations ausführlich in Szene zu setzen. Es ist schon erstaunlich, wie sehr man das Gefühl hat, wirklich in die Vergangenheit versetzt zu sein. Da reichen oft ein paar alte Autos, die entsprechende Kleidung und ein paar Requisiten. Den Rest erledigen die uralten Herrenhäuser und Dörfer, die direkt der viktorianischen Industrialisierung entsprungen zu sein scheinen. Gefühlvoll fotografierte Landschaften, die keinen Raum für hektoliterweise Blut, oder mit vollautomatischen Schusswaffen durch die Pampa wütende Cops lässt, komplettieren das Bild eines Stils mit Wiedererkennungswert, der dem Zuschauer Luft zum Atmen lässt. So fällt es leicht, eine Geschichte nach einem stressigen Tag einfach auf sich wirken zu lassen und eine TV-Stunde ohne hektische Schnitte und zahllose Explosionen zu genießen. Und das hat schon was.
22.11.2019 17:00 Uhr  •  Reinhard Prahl Kurz-URL: qmde.de/113798