Die glorreichen 6: Comicverfilmungen ohne Superhelden (Teil II)

Bei Comicverfilmungen denken viele mittlerweile automatisch an Superhelden und ihre Widersacher. Dabei gibt es auch starke Comicadaptionen ohne solche Kostümträger. Wie «Alita: Battle Angel».

Filmfacts: «Alita: Battle Angel»

  • Regie: Robert Rodriguez
  • Drehbuch: James Cameron, Laeta Kalogridis
  • Produktion: James Cameron, Jon Landau
  • Musik: Tom Holkenborg
  • Kamera: Bill Pope
  • Schnitt: Stephen E. Rivkin
  • Laufzeit: 122 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Als Alita (Rosa Salazar) ohne Erinnerung in einer zukünftigen Welt, die sie nicht kennt, erwacht, nimmt sie der mitfühlende Cyber-Mediziner Ido (Christoph Waltz) unter seine Fittiche. Er erkennt, dass tief im Inneren dieses verlassenen Cyborgs das Herz und die Seele einer jungen Frau mit einer außergewöhnlichen Geschichte schlummern. Allmählich findet sich Alita in ihrem neuen Leben zurecht und lernt, sich in den gefährlichen Straßen von Iron City zu bewegen. Ido versucht, sie vor ihrer mysteriösen Vergangenheit zu schützen, während ihr gewiefter neuer Freund Hugo (Keean Johnson) Alita anbietet, ihr bei der Suche nach ihrem alten Ich zu helfen. Als die korrupten Kräfte der Stadt, angeführt von Vector (Mahershala Ali), beginnen, gegen Ido und Alita vorzugehen, entdeckt die junge Frau Hinweise auf ihr früheres Leben – und wird sich bewusst, dass sie übernatürliche Kampffähigkeiten besitzt. Diese auszuschalten, ist fortan das Ziel der Machthaber. Alita muss alles daran setzten, ihren Häschern zu entrinnen. Nur so ist es ihr möglich, ihre Freunde, ihre Familie und die Welt zu retten, die sie inzwischen zu lieben gelernt hat.

Wie ein Baby, das er nach langem Zögern zur Adoption freigegeben hat – so beschreibt Regievirtuose James Cameron einen Teil des Entstehungsprozesses von «Alita: Battle Angel», seinem seit knapp zwei Jahrzehnten beaufsichtigten Projekt der Verfilmung des gleichnamigen Manga-Comics. Doch zu Gunsten der mittlerweile um vier geplante Fortsetzungen angewachsenen «Avatar»-Reihe musste er von der eigenverantwortlich umgesetzten Fertigstellung von «Alita» Abstand nehmen und übergab das Zepter an seinen guten Freund und Regisseur Robert Rodriguez, bislang vorwiegend für seine harten, dreckigen Genrefilme wie «From Dusk Till Dawn», «Planet Terror» und zuletzt «Sin City: A Dame to Kill For» bekannt; um nur einige zu nennen. Es wirkt gar ein wenig absurd, dass für «Alita» zwei Filmemacher mit solch unterschiedlichen Schwerpunkten aufeinandertreffen: James Cameron lockt seit «Terminator» die Massen in die Kinos – vor allem, weil er mit seinen Filmen immer wieder tricktechnische Quantensprünge hinlegt.

Rodriguez dagegen feierte seinen weltweit größten Mainstreamerfolg mit «Sin City» (in den USA waren nur seine «Spy Kids»-Filme noch erfolgreicher) – einer ultrabrutalen Adaption der gleichnamigen Graphic Novel, ausgestattet mit einem R-Rating. Nun kommen der Virtuose des Popcornkinos und der Spezialist für Blut und Gewalt für «Alita: Battle Angel» zusammen – und der Film entspricht vom Look and Feel genau dem, was man sich von einer Kollaboration dieser beiden Zeitgenossen gewünscht hat.

Das auf dem gleichnamigen Manga basierende Drehbuch stammt aus der Feder von James Cameron und Robert Rodriguez selbst sowie Co-Autorin Laeta Kalogridis, die sich unter anderem mit den Skripten «Shutter Island», aber auch den hundsmiserablen «Terminator: Genisys» einen Namen machte. Am ehesten trägt es allerdings die Handschrift des ohnehin am längsten am Projekt beteiligten Cameron, denn wenn es einen Schwachpunkt an «Alita: Battle Angel» auszumachen gibt, dann ist das einmal mehr die Story. Schon im Falle von «Avatar» ist es längst kein Geheimnis mehr, welche Filme hierfür alle Pate gestanden haben, genauso wie auch der Erfolg von «Titanic» und den «Terminator»-Filmen seinen Ursprung nie in besonders cleverem Storytelling hatte. «Alita» entspricht nun ebenfalls dem klassischen Schema eines Unterhaltungsfilms mit übermächtiger Protagonistin im Mittelpunkt, einer dystopisch-futuristischen Welt und einem Kampf zwischen Gut und Böse, zu dessen Hoffnungsträgerin im Laufe des Films die im Film vom Teenager zur Frau werdende Alita auserkoren wird.

Aufgrund der darüber hinaus sehr oberflächlich abgehandelten Charakterzeichnungen sämtlicher Nebenfiguren, die ihre Entwicklung mitunter in wenigen und dadurch kaum glaubwürdigen Minuten vollziehen, bleibt der zwischen 150 und 200 Millionen US-Dollar teure Blockbuster zumindest erzählerisch weitgehend überraschungsarm und holt einen auch auf emotionaler Ebene nicht so sehr ab, wie es die Vorlage eigentlich an Potenzial offenbart. Doch wir können uns nur wiederholen, wenn wir darauf hinweisen, dass das schon «Avatar» nicht davon abgehalten hat, zum bis heute umsatzstärksten Film aller Zeiten zu werden.



Die ganz großen Stärken hat «Alita» wiederum in der Inszenierung vorzuweisen – und hier sprengen Robert Rodriguez und James Cameron, übrigens gemeinsam mit «Avatar»-Produzent Jon Landau, wieder einmal alle Grenzen des im Kino derzeit Möglichen. Das Team macht aus «Alita: Battle Angel» einen Film, der vor allem für eines gemacht ist: auf der großen Leinwand erlebt zu werden. Dafür nutzte Rodriguez nicht bloß die erstmals in «Avatar» zum Einsatz kommende, stereoskopische 3D- und Kameratechnik, an der Cameron zuvor über sieben Jahre lang gearbeitet hatte, sondern auch ein fotorealistisches Motion-Capture-Verfahren, um die von Newcomerin Rosa Salazar («Maze Runner – Die Auserwählten in der Todeszone») verkörperte Protagonistin Alita am Computer zu entwickeln.

In enger Orientierung an den Manga-Comic ließen ihr die Macher sogar die vorlagengetreuen, großen Augen, was zudem ihr Dasein als Cyborg (und eben nicht als Mensch!) unterstreicht. Wie sich Salazars Figur hier als äußerlich humanes Computerwesen durch die CGI-Landschaften bewegt, mit ihren menschlichen Nebenfiguren interagiert und es dabei nie außer Frage steht, mit was für einer Art Figur wir es hier zu tun haben, ist absolut bemerkenswert und trifft den Geist der zudem immer wieder in langen markanten Einstellungen zitierten Manga-Vorlage auf den Kopf. Hinzu kommt das perfekt durchdachte Design der futuristischen Welt, deren Kulissen selbst dann noch Haptik besitzen, wenn bis auf die Schauspieler eigentlich nichts mehr real ist. Vor allem auf der IMAX-Leinwand und in gestochen scharfem 3D kommen die spektakulären Effekte so richtig zur Geltung und entführen einen – so abgedroschen es auch klingen mag – für zwei Stunden in eine ganz eigene Welt, in der es Dinge wie Greenscreens und Computertrick schlicht nicht zu geben scheint; hier wirkt endlich einmal alles echt!

Selbst unter den durchgehend saustarken Effekten lassen sich noch vereinzelte Highlights ausmachen. So reißt einen das in dieser Welt gespielte Motorball, das American Football in der Zukunft offenbar als Lieblingssportart der US-Amerikaner abgelöst hat, so richtig vom Hocker, wenn hier Transformers-ähnliche Mensch-Maschinen-Hybriden auf motorbetriebenen Rollschuhen einem Ball hinterherjagen und dabei keine Kompromisse mit ihren Gegnern machen. Hierbei geht es mitunter äußerst hitzig zur Sache. Doch wie auch in sämtlichen anderen Actionszenen, in denen Robert Rodriguez immer wieder genüsslich und in Nahaufnahme (Roboter-)Körper zerlegt (bei einem derart hohen Bodycount wäre der Film normalerweise wohl ab 18, hätte man es hier mit menschlichen Körpern und rotem anstatt blauem Blut zu tun), behält Kameramann Bill Pope («Baby Driver») stets die Übersicht.

Vor allem dank einiger sehr stark konzeptionierten Szenen in Superzeitlupe schafft er einige spektakuläre Blockbustermomente für die Ewigkeit und bestärkt damit noch einmal den Eindruck, dass für «Alita: Battle Angel» der Grundsatz Style over Substance gilt. Denn den Figuren und der Geschichte bleibt ein derart bleibender Eindruck leider nicht vergönnt. Das liegt zum Teil auch an den austauschbaren Performances der Schauspieler. Insbesondere Christoph Waltz («Tulpenfieber») agiert einmal mehr im Bösewicht-Modus, der in «Alita: Battle Angel» jedoch gar nicht angebracht ist. Dadurch geht ihm die Glaubwürdigkeit als liebender Vater ein Stückweit ab. Des Weiteren wirkt Jennifer Connelly («No Way Out») ebenso verschenkt wie Mahershala Ali («Green Book»), während sich neben Rosa Salazar mit Keean Johnson («Heritage Falls») noch ein weiterer Newcomer positiv hervortut, wenngleich ihm das Skript mit seiner schludrig geschriebenen Rolle leider keinen Gefallen tut. Trotzdem wirken seine Aufopferungsbereitschaft und sein Elan ansteckend – von ihm wollen wir in Zukunft gern mehr sehen!

«Alita: Battle Angel» ist auf DVD und Blu-ray erhältlich und unter anderem via Amazon, maxdome und iTunes abrufbar.
27.10.2019 10:00 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/113207