Die Kritiker: «Tatort - Hüter der Schwelle»

Time is a flat circle, hat ein weiser Mann mal im Rahmen eines ähnlichen Falles wie jenem gesagt, in dem Lannert und Bootz diese Woche ermitteln. Doch Stuttgart ist nicht Louisiana...

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Richy Müller als Thorsten Lannert
Felix Klare als Sebastian Bootz
André M. Hennicke als Emil Luxinger
Saskia Rosendahl als Diana Jäger
Victoria Trauttmansdorff als Heide Richter
Max Bretschneider als Marcel Richter
Carolina Vera als Emilia Alvarez

Hinter der Kamera:
Produktion: SWR Südwestrundfunk
Drehbuch: Michael Glasauer
Regie: Piotr J. Lewandowski
Kamera: Jürgen Carle
Produzent: Nils Reinhardt
In der Einöde liegt eine übel zugerichtete Leiche, zerfurcht von seltsamen Insignien. Um sie herum ist allerhand okkulter Krimskrams drapiert. Die zum Tatort gerufenen Kommissare sind gestandene Männer, die eigentlich schon alles gesehen haben, was Menschen einander in Wut, Habgier und Manie so antun, aber selbst ihnen schaudert bei dem Anblick. Der Eine ist gut im Verdrängen und kann die ihm in seiner Berufslaufbahn begegneten Quälereien als Aberrationen von Wahnsinnigen abtun; der Andere sieht in ihnen aber die Essenz des menschlichen Wesens.

So mystisch, intellektuell und komplex begann vor fast sechs Jahren die grandiose erste Staffel der amerikanischen Krimi-Dekonstruktion «True Detective». Und obwohl der neue Stuttgarter «Tatort» mit einem nahezu identischen Motiv beginnt – ein toter junger Mann, umringt von seltsamen Reliquien, – entwickelt sich dieser Film mit deutlich geringerem erzählerischen Anspruch. Anstatt einer Reise in die Niederungen der menschlichen Seele wie in einem russischen Roman steht ein alberner Whodunnit ins Haus, der an mystischen schwarzen Büchern, düsteren schmächtigen Männern im religiösen Wahn und einer Femme Fatale im Exorzistinnenmodus entlang in eine uninspirierte Auflösung mündet: Traue bei einer Psychose keiner Frau, die von der Austreibung oder Beschwörung von Dämonen faselt.

Dabei wollte der tote junge Mann sich eigentlich „nur eine Kirche anschauen“, wie Mutter, Priester und befreundete Kommilitonin aussagen. Letztere übt auch auf Kommissar Bootz (Felix Klare), den Matthew McConaughey Baden-Württembergs, eine kaum zu bändigende sexuelle Anziehungskraft aus. Doch dieser Nebenaspekt bleibt lediglich ein Vorwand, um schmissige Fanatasiesequenzen einzubauen, in denen Bootz in körperlich anderweitig fordernden Momenten seine Libido mit einer jungen attraktiven Frau ausleben kann.

Nachdem sich ein Schlenker ins Drogenmilieu als Irrweg herausgestellt hat, schießen sich die Stuttgarter Imitate von Rust und Cohle auf Emil Luxinger (André M. Hennicke) als möglichen Täter ein: Das ist ein seltsamer Mann, dessen primäres Interesse nicht in den irdischen Dingen zu liegen scheint. Stattdessen ist er von einem ominösen, Jahrhunderte zurückliegenden Unheil besessen, und hat wohl auch den jungen Mann auf diesen Trip gebracht, der schließlich tot auf einem Bergplateau vor Stuttgart geendet ist.

Diese Geschichte ist schräg, verworren, sonderbar und bisweilen abgründig. Mit diesen Adjektiven mag man auch «True Detective», oder zumindest seine Auftaktstaffel, beschreiben, müsste hierzu aber noch andere Attribute aufzählen, um nicht ungerecht zu sein: tiefgründig, psychologisch komplex, atmosphärisch, dicht erzählt, mitreißend, einnehmend und bisweilen sehr weise. Keine dieser Bezeichnungen passt jedoch auf den „Hüter der Schwelle“ aus Stuttgart. Und während Rust und Cohle uns in die mitunter abstrusesten Niederungen Louisianas mitnahmen, zappeln Lannert und Bootz mit ein paar kruden Studentinnenklischees und behämmerten mittelalten Männern in eine behäbige Mördersuche, die eine ernsthafte Begegnung mit dem Okkulten oder der menschlichen Seele nicht einmal im Entferntesten anstrebt. Lieber HBO gucken.

Das Erste zeigt «Tatort – Hüter der Schwelle» am Sonntag, den 29. September um 20.15 Uhr.
29.09.2019 11:14 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/112545