«Ad Astra»: Geduld verlangen, Begriffsstutzigkeit unterstellen

Distanz auf zwei Ebenen: Brat Pitt reist durchs Weltall und lernt, an seiner Gefühlswelt zu arbeiten.

Filmfacts «Ad Astra»

  • Regie: James Gray
  • Produktion: Brad Pitt, Dede Gardner, Jeremy Kleiner, James Gray, Anthony Katagas, Rodrigo Teixeira, Arnon Milchan
  • Drehbuch: James Gray, Ethan Gross
  • Darsteller: Brad Pitt, Tommy Lee Jones, Ruth Negga, Liv Tyler, Donald Sutherland
  • Musik: Max Richter
  • Kamera: Hoyte van Hoytema
  • Schnitt: John Axelrad, Lee Haugen
  • Laufzeit: 124 Minuten
Nachdem Regisseur James Gray mit «Die versunkene Stadt Z» das Welterkundungsabenteuer wiederbelebt, aktualisiert und in betörend-ruhiger Manier ausgeführt hat, zieht es ihn von der gar nicht mal so fernen Vergangenheit in die (postulierte) nahe Zukunft. Raus aus den Tiefen des Dschungels, hinaus in die tiefen, tiefen Weiten des Weltalls. James Gray bringt mit «Ad Astra» einen neuen Weltallfilm in der Tradition von «Solaris», «2001: Odyssee im Weltall» und «Interstellar» – eine Science-Fiction-Geschichte, in der die Figuren weit, weit raus in den Weltraum reisen, um Erkenntnisse über sich und das Menschsein zu gewinnen. Obwohl «Ad Astra», genauso wie seine genannten Vorgänger, in geradezu elegischer Form präsentiert wird, so ist sein thematisch engster Verwandter ein deutlich konkreterer Weltallfilm. Einer, frei von technologischer Spekulation: Damien Chazelles «Aufbruch zum Mond».

Das 2018 veröffentlichte, biografische Drama über Astronaut Neil Armstrong, handelt von einem emotional distanzierten Mann, jemandem, der seine Gefühlskälte als berufliche Notwendigkeit betrachtet und sie so auch anderen Menschen gegenüber rechtfertigt. Chazelles Drama stellt jedoch die Frage, ob dies nicht wenigstens partiell eine Ausflucht Armstongs war, um sich vor den Gefühlen abzuschotten, die sonst der frühe Tod seines Kindes in ihm ausgelöst hätten. Mir einem Stoizismus, der Ryan Goslings Darstellung des Astronauten gerecht wird, breitet Chazelle vernunftbetont und beeindruckend unbeeindruckt frühere Errungenschaften der Raumfahrt vor seinem Publikum aus und unterfüttert dies mit dem Subtext, dass sein abgeschotteter Protagonist die Einsamkeit und Leere des Weltalls suchte, so dass die Leere in ihm weniger groß wirkt.

«Ad Astra» erzählt, und keine Sorge, damit wird an dieser Stelle nicht zu viel verraten, etwas auf emotionaler Ebene verdammt ähnliches: Es geht um Roy McBride (Brad Pitt), einen Astronauten in einer nahen Zukunft, in der aus dem Mond ein Massentourismusziel wurde, der Mars kein Mysterium mehr ist und es die Forschung sogar schon bis zum Neptun getrieben hat. McBride ist eine kalte Person, unnahbar. Er hält alle auf Abstand – fragt man ihn, ist dem so, weil der Beruf es verlangt. Doch McBride hat Leerstellen in seiner Familiengeschichte: Sein Vater (Tommy Lee Jones), ebenfalls Astronaut, war unentwegt auf Mission. Er pflegte einen distanzierten Umgang zu seinem Sohn, er schenkte ihm nie die Wärme, die sich ein Kind von seinem Vater wünscht.

Zu Beginn von «Ad Astra» geht vom letzten bekannten Aufenthaltsort von McBrides Vater eine Welle aus, die sämtliche Elektronik abschaltet, die ihr in den Weg kommt. Die Metapher, die Gray verfolgt, schreit es einem bereits entgegen: So, wie diese Welle, die womöglich ihren Ursprung bei McBrides Vater hat, alle Stromkreise ausschaltet, ging von diesem gefühlskalten Vater ein Einfluss aus, der sämtliche Emotionen unseres Protagonisten abwürgte. «Ad Astra» zeigt eine Reise über enorme Distanzen hinweg, in deren Verlauf McBride mit seiner eigenen Distanziertheit, deren Folgen und ihren Ursprüngen konfrontiert wird. Das leere All als Metapher für ein leeres Gefühlsleben.

«Ad Astra» verfolgt in der Umsetzung dieses Bildes einen anderen Ansatz als «Aufbruch zum Mond». Ja, beide Filme sind sehr ruhig erzählt, doch wo «Aufbruch zum Mond» seinen Kopf tief in Fakten über Apollo 11 vergräbt und Worte kalt kalkuliert sind, wo eine "Matter of Fact"-Philosophie vorherrscht, philosophiert «Ad Astra». Mit hypnotischer, imposanter Musik von Max Richter unterlegt, zeigt James Gray lange, langsame Bilderreihen, die einen in McBrides abgeschottete Gefühlswelt versetzen und sie mit den großen Distanzen und aufregenden, aber kühl-beiläufig inszenierten Anblicken des Weltalls abgleicht.



In einem ähnlichen Rhythmus geschnitten wie ein Terrence-Malick-Film mutet «Ad Astra» vorerst wie ein cineastisches Gedicht an, ein Requiem des Verlorenseins und Abstandschaffens und ein poetischer Weckruf des Distanzüberkommens. Und dank Grays kraftvollen Bildern, Max Richters formidabler Musik, die dazu einlädt, die Gedanken schweifen zu lassen, und Brad Pitts filigraner Mimik, weiß dies auch zu packen – wäre da nicht diese verflixte Tendenz dieses Films, sein Publikum intellektuell unentwegt zu unterschätzen.

Da haben Gray und der gemeinsam mit ihm für das Drehbuch verantwortliche Ethan Gross es ihrem Publikum zugetraut, einen entschleunigten Weltallfilm zu verarbeiten, der sich viel intensiver mit seiner Metaphorik über Distanziertheit und darüber, dass das In-die-Ferne-schweifen nichts bringt, wenn wir nicht erst einmal an uns selbst und den mit uns eng verwobenen Sorgen arbeiten, als mit den Tücken der Raumfahrt oder irgendwelchen Actionpassagen. Selbst wenn Gray und Gross sogar eine abstruse Pseudo-Horror-Actionpassage und eine visuell reizvolle, wenngleich thematisch wenig Beitrag leistende Verfolgungsjagd in Weltall-Buggys in ihren Stoff einweben: Sie zielen auf ein aufmerksames, mitdenkendes Klientel. Mag man meinen.

Doch dann lässt Gray eben doch nicht die bildlichen Szenarien und die eindrucksvollen Allimpressionen für sich sprechen. Sondern lässt Brad Pitt alle paar Minuten den letzten Rest an Subtext aussprechen, kürzlich Vergangenes zusammenfassen oder verbal kommentieren, was er gerade im Bild klar ersichtlich so treibt. Beispiel gefällig: Nach mehreren äußerst egoistischen Entscheidungen fällt in einem ruhigen, einsamen Augenblick McBrides stoische Fassade in sich zusammen und die Musikuntermalung nimmt einen schwereren Beiklang an. Ein Moment mit Gänsehautpotential – und dann keift Pitts Figur die Erkenntnis vor sich her: "Ich bin egoistisch, egoistisch, so egoistisch."

Solche Momente plagen weite Teile von «Ad Astra», andauernd erklärt McBride, zumeist in einem dröge vorgetragenen Erzählerkommentar, was er gerade tut, kürzlich getan hat, fühlt oder vermutet. Als sähe man sich «Ad Astra» mit gelegentlich anspringendem Audiokommentar an oder in der "Imitieren wir doch den berüchtigten, von praktisch allen Filmfans verhassten Erzählerkommentar aus dem Original-«Blade Runner»"-Fassung. So ein plumpes, wiederkehrendes Stilmittel, das «Ad Astra» in seiner Eleganz und stilistischer Konsequenz hemmt. Ein Ärgernis, das einen Film trivialisiert, der nicht trivialisiert werden dürfte.

«Ad Astra» ist ab dem 19. September 2019 in vielen deutschen Kinos zu sehen.
18.09.2019 13:06 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/112211