Mensch vs. Kroko: «Crawl»

Alexandre Aja meldet sich nach kurzzeitiger Abstinenz zurück im Horrorkino und widmet sich in «Crawl» dem Tierterror in Form gefräßiger Alligatoren.

Filmfacts: «Crawl»

  • Start: 22. August 2019
  • Genre: Horror
  • FSK: 16
  • Laufzeit: 87 Min.
  • Kamera: Maxime Alexandre
  • Musik: Max Aruj, Steffen Thum
  • Buch: Michael Rasmussen, Shawn Rasmussen
  • Regie: Alexandre Aja
  • Darsteller: Kaya Scodelario, Barry Pepper, Morfydd Clark, Ross Anderson, Jose Palma
  • OT: Crawl (USA/FR/SRB 2019)
Das Genre des Tierhorrorfilms ist seit vielen Jahren in fester Flosse des Hais. Vor allem im Trash-Segment haben die vermeintlich so gefräßigen Meerestiere ihren Zahnabdruck hinterlassen. Auch in diesem Jahr kommt mit «47 Meters Down: Uncaged» ein weiterer Beitrag in die Kinos, nachdem sich der erste Teil der Reihe in den USA zu einem der erfolgreichsten Indie-Hits der letzten Jahre gemausert hatte. Alexandre Aja («Horns») kennt sich im Horrorgenre bestens aus und hatte es 2010 sogar schon einmal mit gefräßigen Meerestieren aufgenommen. Seine Splattercomedy «Piranha 3D» genießt bei Liebhabern mittlerweile Kultstatus und zog sogar eine nicht mehr ganz so erfolgreiche (und geachtete) Fortsetzung nach sich. Dass er sich nach seiner Abkehr vom derben Horror nun ausgerechnet mit einem Alligator-Thriller wieder zurück in härtere Gefilde begibt, ließ bei vielen Fans die Hoffnungen auf eine mindestens solide Regiearbeit steigen. Und exakt das ist «Crawl» jetzt auch geworden: solide.

Für seinen Mensch-gegen-Alligator-Kampf nutzt Aja das beengte Kammerspielsetting eines überfluteten Kellers, in dem es Kaya Scodelario und Barry Pepper (kennen sich beide bereits aus den «Maze Runner»-Filmen) und Barry Pepper gleich gegen mehrere der gefräßigen Monster aufnehmen müssen. Das ist zwar nicht innovativ, effektiv hingegen schon.



Da ist was im Wasser!


Als ein heftiger Sturm auf die Küste Floridas trifft, ignoriert die einstige Leistungsschwimmerin Haley (Kaya Scodelario) alle Aufforderungen zur Evakuierung, um nach ihrem vermissten Vater Dave (Barry Pepper) zu suchen. Sie findet ihn verletzt und am Ende seiner Kräfte im von den Fluten eingeschlossen Keller seines abgelegenen Hauses vor und versucht mit vereinten Kräften, ihn aus diesem Gefängnis zu befreien. Doch als die Zeit immer knapper wird, um dem Sturm zu entkommen, müssen die beiden am eigenen Leib erfahren, dass das steigende Wasser noch eine weitere, weitaus größere Gefahr birgt: gefräßige Alligatoren, die alles unternehmen, um an ihre lebendige Beute zu gelangen…

Insbesondere für einen Tierhorrorfilm genießt «Crawl» aktuell eine ausgesprochen positive Resonanz bei Kritikern wie Publikum. Allen voran der Verzicht auf Humor wird von vielen positiv hervorgehoben. Und das ist auch absolut nachzuvollziehen, schließlich umgeht man gerade im von Logik und Realismus entfernten Metier des Tierhorrors viele Stolperfallen einfach mit Augenzwinkern und Ironie. Alexandre Aja und seine Drehbuchautoren Michael und Shawn Rasmussen («The Ward») machen das nicht. Ihr Film ist ernst und die unmittelbare Gefahr durch die gefräßigen Reptilien allgegenwertig. Das sorgt dafür, dass die beklemmende Atmosphäre – zusätzlich befeuert durch das sehr reduzierte Setting (bis kurz vor Schluss spielt sich «Crawl» ausschließlich im überfluteten Keller von Daves Haus ab) – lange aufrecht erhalten bleibt. Kurze, aber effektive Gewaltspitzen und eine Handvoll Jumpscares befriedigen dagegen vor allem die Adrenalinjunkies. Dass hier Alexandre Aja für die Regie verantwortlich zeichnete, merkt man dagegen nur bedingt.

Derart losgelöst inszenieren, wie es ihm noch bei seinen französischen Terrorfilmen oder eben auch «Piranha 3D» möglich war, konnte er im Falle von «Crawl» nicht. Dieser Film ist ein für die breite Masse ausgelegter Schocker und verzichtet mit zwei, drei Ausnahmen auf allzu plakative Gewalt und Blut. Das fügt sich hier zwar alles irgendwie zu einem stimmigen Gesamtbild (sprich: es ist fraglich, ob «Crawl» mit mehr Gewalt auch wirklich ein besserer Film geworden wäre), aber wer von dem Namen Aja auf den Gore-Gehalt von «Crawl» schließt, der könnte hier enttäuscht werden.

Wenig Budget, viel Atmosphäre


Gleichzeitig bedeutet der Mangel an rotem Lebenssaft aber noch lange nicht, dass die Alligatoren hier zimperlich zu Werke gehen. Die schuppigen Tiere sind nicht nur stark animiert, sie besitzen auch eine spürbare Körperfülle, sodass man es «Crawl» jederzeit abnimmt, dass hier gerade tatsächlich Menschen gegen Alligatoren kämpfen. Das gilt sowohl für die Auseinandersetzungen an Land – mal kracht ein zentnerschweres Tier völlig unerwartet durch die knarrenden Holzdielen dem Vater direkt vor die Füße, ein anderes Mal schießen die Krokos in rasender Geschwindigkeit auf ihre Opfer zu, die sich nur noch ganz knapp in ein Versteck retten können. Demgegenüber stehen die Alligatoren als elegante Schwimmer, die sich – sowohl aus der Vogelperspektive, als auch Auge in Auge mit ihrer Beute – wie schwebend durchs Wasser bewegen und überhaupt nicht wie eine Gefahr anmuten. Das natürliche Verhalten der Tiere haben die Verantwortlichen für «Crawl» perfekt einstudiert. Und insbesondere für einen Film, der mit einem Budget von gerade einmal 13,5 Millionen US-Dollar gedreht wurde, haben die Effektspezialisten hier ganze Arbeit geleistet.

So viel Geld in die Computertricks zu investieren, funktionierte aber auch nur, weil der Produktionsaufwand für «Crawl» ansonsten gering ausgefallen ist. Komplett in Serbien gedreht, entstand das Projekt an einem detailgetreu ausgestatteten Set, in dem sich die Schauspieler durch echtes Wasser und echten Schlamm kämpfen mussten. Und dieses authentische Flair tut dem Film gut, der sich eben nicht wie die x-te Studioproduktion anfühlt.

Auch die Darsteller machen ihre Sache ordentlich. Kaya Scodelario mimt glaubwürdig die Screamqueen, die von einem smarten Skript profitiert, das sie, zumindest an Genreverhältnissen gemessen, nur selten als Idiotin dastehen lässt. Im Gegensatz zu ihr bleibt Barry Pepper in der Rolle ihres Vaters passiv, verhält sich den Umständen entsprechend aber auch bemerkenswert clever. Trotzdem umgeht Alexandre Aja die Fallstricke eines solchen High-Concept-Films nicht vollständig. Und aufgrund des (fast) vollständigen Verzichtes auf Humor – Ausnahmen wie eine sehr amüsant gefilmte Szene in einem Lebensmittelkiosk bestätigen die Regel – fallen Logik- und Plausibilitätslücken natürlich umso mehr ins Gewicht. So ist es beispielsweise vollständig dem weiteren Handlungsverlauf geschuldet, wenn Haley verzweifelt nach ihrem Telefon sucht, es findet und sofort versucht, Hilfe zu rufen, anstatt sich erst einmal zurück in ihr sicheres Versteck zu begeben. Und weshalb sich das Vater-Tochter-Gespann einfach nicht weit genug vom Rand ihrer diversen Rettungsinseln begeben und sie deshalb immer wieder von den Alligatoren angegriffen werden, lässt sich vermutlich nur damit erklären, dass der Film sonst wohl zu schnell vorbei wäre.

Das ist schon schade, denn «Crawl» profitiert im Gegensatz zu seiner Konkurrenz sehr stark davon, dass sich die Macher um Realismus bemühen. Doch vermutlich kommt das Tierhorrorkino ohne die ein oder andere absurde Überhöhung eben doch nicht aus, um sowohl zu schockieren, als auch zu unterhalten.

Fazit


«Crawl» macht vieles besser als andere Tierhorrorfilme, indem sich Regisseur Alexandre Aja auf Atmosphäre verlässt, anstatt Augenzwinkern und billige Schocks zu bemühen. So ganz ohne Effekthascherei kommt er allerdings doch nicht aus, weshalb sein Film in erster Linie effektiv, aber nur sehr bedingt innovativ ist.

«Crawl» ist ab dem 22. August in den deutschen Kinos zu sehen.
19.08.2019 10:00 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/111518