Die glorreichen 6 – Netflix-Originalfilme, die man gesehen haben muss (Teil I)

Egal, ob Netflix sich auf einem Filmfestival die weltweiten Auswertungsrechte gesichert hat oder den Film überhaupt erst in Auftrag gegeben hat: Diese Filme sind Netflix-Titel – und zeigen den VOD-Dienst von seiner besten Seite. Wie Brie Larsons «Unicorn Store».

Filmfacts «Unicorn Store»

  • Regie: Brie Larson
  • Produktion: Brie Larson, Lynette Howell Taylor, Paris Kasidokstas-Latsis, Terry Dougas, David Bernad, Ruben Fleischer
  • Drehbuch: Samantha McIntyre
  • Darsteller: Brie Larson, Samuel L. Jackson, Joan Cusack, Bradley Whitford, Karan Soni, Mamoudou Athie, Mary Holland, Hamish Linklater
  • Musik: Alex Greenwald
  • Kamera: Brett Pawlak
  • Schnitt: Jennifer Vecchierello
  • Veröffentlichungsjahr: 2017 (Weltpremiere) / 2019 (Netflix-Debüt)
  • Laufzeit: 92 Minuten
Das Genre der Dramödie/Tragikomödie über junge Erwachsene, die jedoch nie wirklich erwachsen geworden sind, und sich im Laufe einer Handvoll von Tagen selbst entdecken, wird mittlerweile viel verlacht. Zu viele Trittbrettfahrer haben diese Filmgattung, die 2004 mit «Garden State» den Nerv einer ganzen Teilgeneration getroffen hat, mit heuchlerisch-rührseligen Filmen totgeritten. Dennoch darf man Filme dieser Art nicht über einen Kamm scheren: So übertrieben und berechnend einige schwächere Genrevertreter sein mögen, haben gelungenere Genrevertreter wie etwa «Garden State», «High Fidelity» oder «Lars und die Frauen» mit ihrem tonalen Mix und ihren überspitzten, dennoch zweifelsohne ganze Menschenschläge repräsentierenden Figuren das Potential, durch kleinlaute Gesten ganze Gefühlsstürme auszulösen.

«Unicorn Store» steht ganz in der Tradition der besten Vertreter dieser in den 2010er-Jahren fast ausgestorbenen Filmgattung, aktualisiert die Formel jedoch. Nicht nur, dass Drehbuchautorin Samantha McIntyre das bis dahin von einer männlichen Perspektive dominierte Genre um einen Eintrag erweitert, der von einer jungen Frau erzählt. Sie und Regisseurin/Hauptdarstellerin Brie Larson werden durch kleine Abänderungen gegenüber dem, was Vorbilder aus den 2000er-Jahren getan haben, auch den gesellschaftlichen Bewegungen seit der «Garden State»-Welle gerecht:

Vermeintlich Kindsgebliebene und ihre Eltern stehen sich heutzutage tendenziell näher, als es unter anderem «Garden State» skizziert hat, und die große Karrieresorge ist nunmehr weniger "Wie behalte ich meinen Job?" oder "Werde ich in meinem Job überhaupt glücklich?", sondern immer mehr "Finde ich einen Job?" – um nur zwei Beispiele zu nennen. «Unicorn Store» behält dabei die tragikomische, verträumte Tonalität eines «Garden State» bei, ist förmlich dessen legitimer Nachfolger für die orientierungslosen jungen Erwachsenen 15 Jahre später.



Im Fokus steht nunmehr kein Phlegmatiker, sondern eine Kunstbegeisterte namens Kit, die völlig flüssig zwischen Quirligkeit und Scheue chargiert. Als diese Teilzeit-Extrovertierte/Teilzeit-Introvertierte einsehen muss, dass sie ihre Berufswünsche als Künstlerin aufgeben muss, zieht sie geknickt wieder bei ihren Eltern ein. Dort muss sie sich unentwegt (in der Kadenz besorgter Fragen gehaltene) Vorwürfe anhören, weshalb sie noch nicht dieses und jenes und das und dies nicht erreicht hat, weshalb sie sich zurückzieht. Als sie die Schnauze von ihren Eltern voll hat, nimmt sie eine Stelle bei einer Zeitarbeitsfirma an und spielt sowohl in ihrem Elternhaus als auch im Büro mit übertriebenen Floskeln und Gesten die Vorbild-Erwachsene.

Während Kit in ihrem neuen Job nicht ernst genommen und von ihrem Vorgesetzten ständig grobschlächtig angegraben wird, eröffnen sich ihr neue Optionen, als sie die Einladung in einen neuen Laden erhält. Dort verspricht ihr ein flippiger, exzentrischer Verkäufer, ihr ein Einhorn zu besorgen, sollte sie beweisen, reif genug zu sein, eines zu unterhalten. Und so beginnt Kit damit, sich energisch um einen festen Stand im Beruf zu kümmern, und parallel dazu mit Eifer und einem neuen Bekannten, dem Baumarktangestellten Virgil, alles für das bald kommende Einhorn vorzubereiten …

Verankert durch eine fesselnde, bezaubernde Performance von Brie Larson als sensible, aufgeweckte, dennoch niemanden zu nah an sich heranlassende Kit, erzählt «Unicorn Store» vom mühseligen Prozess, den richtigen Umgang mit seinem inneren Kind zu finden.

Kit muss lernen, sich weder von ihrem kindlichen Ich bestimmen zu lassen, noch es zu ersticken. Von diesem Aspekt ist auch Kits Selbstkontrolle in kreativen Dingen abhängig und ihr Selbstwertgefühl, welches wiederum bestimmt, ob sie der ständigen (wenngleich zuweilen schlecht vermittelten) Fürsorge ihrer Eltern und der Sympathie Virgils aufgeschlossen ist. Larson inszeniert ihren Film mit passendem Feingefühl: Sie bleibt tonal nah an Kit, findet wiederholt den verspielten Dreh am Trivialen und weiß, oft genug die Quirligkeit zurückzuschrauben, um den Ernst an Kits Selbstfindungsprozess zu unterstreichen.

Neben Larson gefallen auch Samuel L. Jackson als aufgedrehter Verkäufer, Joan Cusack sowie Bradley Whitford als Kits Eltern und Mamoudou Athie als Kits zweifelnder Einhornstallbaupartner. Verquickt mit der inspirierten Musikauswahl macht all dies «Unicorn Store» zu einem starken Film über die späte Generation Y.

«Unicorn Store» ist, wenig überraschend, via Netflix abrufbar.
02.06.2019 15:34 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/109740