Der Boom der Fußball(er)-Dokus

In einer Welt, in der Fußballer nach den Spielern hauptsächlich Phrasen von sich geben, ist Kreativität gefragt, wenn es darum geht, wirklich hintergründige Eindrücke zu bekommen. Daher boomen zur Zeit Fußball-Dokus. Eines der ersten Projekte dieser Art in Deutschland war «Being Mario Götze». Wir haben mit DAZN gesprochen, welchen Nutzen Sender, Verein und Fans aus solchen Projekten ziehen. Und wie schmal der Grat zwischen Journalismus und PR dabei ist.

Wir möchten für die Fans den Blick durchs Schlüsselloch werfen und tiefere, authentische Einblicke in die Persönlichkeit ihrer Stars und/oder die Strukturen und Abläufe innerhalb ihres Vereins aufzeigen
Jörg Zwacka, DAZN-Head of Football
Den Anfang machte die HBO-Serie «Hard Knocks», die erstmals 2001 und seit 2012 regelmäßig im Spätsommer im US-Fernsehen läuft und NFL-Mannschaften hautnah begleitet. Die Form der Behind-the-Scenes-Reportage wurde schließlich auch für die Sportart Fußball übernommen. Amazon Prime etwa machte den Anfang mit «All Or Nothing», das sich zu Beginn auch dem Thema Football widmete, in der Spielzeit 17/18 dann aber Pep Guardiola und Manchester City dokumentierte. Amazon ist es auch, das nun die Ausstrahlungsrechte einer von der Borussia-Dortmund-Medienabteilung organsierten Doku von Regisseur Aljoscha Pause erhalten hat. Im August, kurz vor der neuen Bundesliga-Saison, geht es los. Das Projekt tritt dann in Fußstapfen von anderen Fußball(er)-Dokus wie der Eintracht-Frankfurt-Reportage vergangene Saison bei Nitro, «Sunderland til I die» von Netflix oder «Juventus Turin – Der Rekordmeister». Im Juli kommt nun ein eigener Film über den bei Real Madrid spielenden Mittelfeld-Akteur Toni «Kroos» auf die Leinwände.

Auch Streaming-Dienst DAZN hat ein ehrgeiziges und viel beachtetes Projekt in dieser Richtung auf den Markt gebracht. Die von Aljoscha Pause umgesetzte Sportler-Dokumentation «Being Mario Götze» - ein mehrteiliger Film über jenen Fußballer, aufgewachsen im Allgäu, mit dem Siegtor im WM-Finale auf dem Zenit angekommen, dann bei Bayern schwere Zeiten erlebt und letztlich bei Dortmund wieder aufgeblüht. Jörg Zwacka ist bei DAZN Head of Football. Er weiß um die Bedeutung solcher Dokumentationen und warum es gerade jetzt immer mehr davon gibt: „Die klassische Antwort lautet: Wir möchten für die Fans den Blick durchs Schlüsselloch werfen und tiefere, authentische Einblicke in die Persönlichkeit ihrer Stars und/oder die Strukturen und Abläufe innerhalb ihres Vereins aufzeigen. Zeigen, was die Fans sonst nicht zu sehen bekommen.“

Persönlich aber frage er sich, wie nah man wirklich herankommt und wie viel Nähe letztlich auch ein Verein zulasse – insbesondere über die öffentlichen Auftritte hinaus. „Was läuft hinter den Kulissen ab, was passiert in der Woche rund um das Spiel, wie ticken meine Stars, was machen sie den Tag über, wofür interessieren sie sich abseits der grünen Wiese. Lerne ich meine Helden von einer anderen Seite kennen?“, seien vor allem die Punkte, die aus Fan-Sicht besonders relevant sind. Und aus Vereinssicht? „Ist ein Club wirklich so, wie er in der Öffentlichkeit dargestellt wird? Stimmen die Attribute, die Verein ‚XY‘ zugewiesen werden? Sind alle pauschalen Kritiken, alle Vorurteile, alle Klischees über die handelnden und verantwortlichen Personen in einem Club gerechtfertigt oder ist das ein schiefes Bild, was ein Verein geraderücken möchte?“ Entsprechend sollte, sagt Zwacka, der Haupteffekt einer solchen Dokumentation immer sein, dass man seine Anhänger binde und nicht Nähe zu ihnen verliere, denn sie seien das wichtigste Gut für einen Verein. „Liefert eine Dokumentation dies, klasse, Ziel erreicht. Dann kann ich die Höhen und Tiefen mit meinem Club miterleben, mich mitfreuen oder aber auch mitleiden.“

Natürlich sind wir auf die Bereitschaft und Offenheit des Clubs, des Spielers angewiesen. Ohne das geht es nicht. Sonst kratzt das Projekt nur an der Oberfläche und du kannst es gleich abbrechen und vergessen. Genau das ist es aber auch, was du in den Vorgesprächen klären, definieren und im Zweifel auch schriftlich festhalten musst
Jörg Zwacka, DAZN-Head of Football
Dabei scheint der Grat zwischen PR und Journalismus schwer. Filmemacher sind angewiesen auf exklusive Zugänge. Speziell im Fall der kommenden BVB-Doku wurden die Aufnahmen sogar getätigt, ohne vorher schon einen genauen Abnehmer bekannt gegeben zu haben. „Vereinnahmungen verhindern. So unsere klare Vorgabe“, sagt der DAZN-Fußballchef. „Natürlich sind wir auf die Bereitschaft und Offenheit des Clubs, des Spielers angewiesen. Ohne das geht es nicht. Sonst kratzt das Projekt nur an der Oberfläche und du kannst es gleich abbrechen und vergessen. Genau das ist es aber auch, was du in den Vorgesprächen klären, definieren und im Zweifel auch schriftlich festhalten musst. Die Gespräche vor dem ersten Drehtag sind elementar“, mahnt Zwacka. So beuge man Missverständnissen vor und stecke Erwartungshaltungen auf beiden Seiten klar ab. „Wir versprechen im Vorfeld nichts, wir bleiben kritisch, aber wir bleiben vor allem fair! Ein Gespräch im Vertrauen bleibt ein Gespräch im Vertrauen. Zusammenarbeit ja – Instrumentalisierung in keinem Fall“, sagt Zwacka.

Im Falle von «Being Mario Götze» hat all das wunderbar geklappt. Zwacka zieht eine sehr positive Bilanz der im vergangenen Jahr veröffentlichten Reihe. „Spieler aus der Liga, Trainer, Manager, Journalisten-Kolleginnen und Kollegen und am Wichtigsten Mario Götze selbst waren sehr zufrieden mit dem Endprodukt. Wir alle dachten: ‚Ey, der Typ hat uns 2014 zum Fußball-Weltmeister geschossen‘. Läuft bei dem! Oder auch nicht! Bei wem ist schon immer alles eitel Sonnenschein? Die Dokumentation zeigt die Höhen und Tiefen seiner bisherigen Karriere. Mario bekommt von mir allergrößten Respekt dafür, wie offen und bereit er uns in seine Gefühls- und Gedankenwelt mitgenommen hat. In seine täglichen Abläufe, seine Träume und Wünsche. Deshalb empfinde ich das Endprodukt als eine sehr sehenswerte Dokumentation und umso mehr freut es mich, was für eine bärenstarke Saison Mario gespielt hat.“

DAZN-Doku «Showtime! Mein Jahr bei den Lakers»

Die Geschichte von Moritz Wagner ist die, eines NBA-Rookies, der von der berühmtesten NBA-Franchise vor rund einem Jahr gedraftet wurde. Gemeinsam mit LeBron James sollte er Playoff-Atmosphäre zurück in die kalifornische Metropole bringen. DAZN hat Moe Wagner in seiner gesamten Rookie-Saison bei den Los Angeles Lakers begleitet. In einer vierteiligen Serie, zu je 20 bis 30 Minuten pro Folge, präsentiert DAZN die Höhen und Tiefen, vom NBA-Draft über die Antwort des „King“ bis zum chaotischen Ende der Saison. Veröffentlichung: 31. Mai, 7., 14. und 19. Juni.
Und klar habe DAZN, sagt Zwacka, nun auch Lust auf mehr. Längst ist es Ziel des Streaming-Dienstes, den Sport über Features und Dokus auch abseits des Live-Moments abzubilden. „Einige Clubs aus der Bundesliga sind auf uns aufmerksam geworden. Nicht allein durch «Being Mario Götze», sondern auch weil wir den Fußball und die Fans in unserer regulären Berichterstattung in den absoluten Vordergrund stellen.“ Ab 31. Mai folge bei DAZN aber zunächst eine andere Sportler-Doku, weg vom Thema Fußball. „LeBron James ist DER Superstar in der NBA. Aber was weiß der Großteil von Deutschland über Moe Wagner? 22 Jahre alt, gebürtig aus Berlin und seit dieser Saison Teamkollege von King James bei den Los Angeles Lakers. Wir haben Moe ein Jahr lang sehr intensiv auf seinem Abenteuer NBA begleitet.“ Die neue Reihe soll vier Teile umfassen.

Somit kommt man dem Ursprung solcher Reihen, nämlich amerikanischen Team-Dokus, wieder etwas näher. In Amerika wird seit Wochen gerätselt, welches Team HBO für «Hard Knocks 2019» begleitet. Genau das zeigt letztlich auch, welch große Wertschätzung die HBO-Produktion und damit einhergehend auch ein Vertrauen die Macher genießen. „Das Vertrauen ist das wichtigste Bindemittel zwischen Sender bzw. dem Autor auf der einen Seite und Spieler bzw. Verein auf der anderen Seite“, erklärt Zwacka. „Das muss sich im Laufe der Dreharbeiten entwickeln, ein Grundvertrauen ist aber die Basis. Klare Absprachen im Vorfeld, ein fairer und respektvoller Umgang miteinander sind dabei unerlässlich. Dazu idealerweise die immer gleichen Personen rund um die Dreharbeiten. Derselbe Autor, das gleiche Kamerateam usw. Irgendwann wird die Kamera dann zu einem ‚normalen‘ Begleiter. Auf dieser Vertrauensbasis haben wir mit Mario Götze zusammengearbeitet und genau dann schafft man gemeinsam ein so tolles Werk wie «Being Mario Götze».“

Die Woche der Finals

Am Mittwochabend steigt das Finale der UEFA Europa League - Chelsea und Arsenal spielen um den Titel. Neben RTL und Nitro im Free-TV überträgt DAZN im Pay-TV.
Am Samstagabend dann geht es um den Henkelpott: Wir wird Champions League Sieger? DAZN zeigt das Finale (Anstoß 21 Uhr) live ab 20.30 Uhr. Auch Sky überträgt das Endspiel im Pay-TV.
Entsprechend zeigt sich Zwacka auch gespannt auf die im August kommenden Folgen der BVB-Doku. Er sieht dem Projekt des Mitbewerbers Amazon Prime Video gewissermaßen mit gemischten Gefühlen entgegen. „Im Erfolgsfall, wie eben beim BVB in der Hinrunde, ist es einfach, die Tür weiter zu öffnen. Aber, wenn dann nicht mehr alles rosarot ist, die Kritik zunimmt, die Stimmung kippen könnte, wie reagiert ein Verein dann? Lässt er die Tür offen oder kommt der scharfe Gegenwind und weht die Tür wieder zu?

Und nicht zu vergessen: letztlich ist und bleibt es natürlich auch immer eine Frage des Budgets.“ Gab es die Mittel, quasi tagtäglich an verschiedenen Locations nah dran zu sein? US-Unternehmen würden für Doku-Reihen ganz andere Summen in die Hand nehmen als sie hierzulande zur Verfügung stehen. „Unser Job ist es, mit unseren Mitteln und unseren kreativen Ideen sowie unseren tollen Autoren die Clubs oder Spieler von einem Konzept zu überzeugen. Das sieht mittlerweile schon sehr ordentlich aus, wenn ich mir die Dokumentationen auf anderen Sendern, aber natürlich auch bei uns, anschaue“, findet Zwacka.
29.05.2019 15:51 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/109637