Die Kritiker: «The Love Europe Project»

In neun Kurzfilmen führt das Projekt des ZDF einen in Vielfalt geeinten Kontinent vor, dem kein Stereotyp gewachsen ist. Eine sehenswerte Filmcollage – wenn auch zu später Stunde.

Liste der Kurzfilme

  • BABYLON (Deutschland/Tschechien)
  • PART OF THE WORLD (Deutschland/Kasachstan)
  • PAIRED UP (England)
  • LIKE A BIRD (Kroatien)
  • THE OLD MAN AND THE BUCKET (Polen)
  • FLEEING IN EUROPE (Frankreich)
  • FUN FACTORY (Norwegen)
  • THE ENTRANCE (Italien)
  • CEDAR WOLF (Griechenland)
Europa als Panoptikum darzustellen, ist angesichts mehrerer Dutzend Länder, Sprachen und kultureller Eigenheiten sowie ins Unendliche potenzierter individueller Lebenserfahrungen ein durchaus sinniger Ansatz. Aus filmischer Sicht liegt für ein «Love Europe Project» die Kurzfilmcollage als Erzählform also nahe.

So führt uns dieses Filmprojekt des ZDF, das in geringem zeitlichen Abstand zu den anstehenden EU-Parlamentswahlen und einer entsprechenden thematischen Europa-Fokussierung des Senders ausgestrahlt wird, einmal quer über den Kontinent, von der bayerisch-böhmischen Grenze in italienische Großstädte, von kasachischen Müllbergen in die französische Hauptstadt.

Tonal sind die Geschichten ebenso verschieden wie ihre Spielorte: In Kroatien begehrt eine selbstbewusste, aber kleingehaltene Näherin gegen ihren übergriffigen Sweat-Shop-Chef auf, in Italien erzürnt sich an einer schwarzen Putzfrau ein erbitterter Streit unter den Mietern eines Luxuswohnungskomplexes darüber, ob die Bedienstete den Vordereingang benutzen darf, während in Polen ein alter reaktionärer Griesgram Freundschaft mit einem weltoffenen, liberalen Transgender-Barbesitzer schließt.

Europas Vielfalt ist derweil jederzeit eine Herausforderung für überkommene Klischees. In Nordengland trifft als deutsche Austauschschülerin keine blondlockige Dirndlträgerin, sondern eine Hijab-tragende Muslima ein, die dem Rassismus ihrer Mitschüler aus der Unterschicht mit Rückgrat und Selbstachtung begegnet, während sich der französische Beitrag vornehmlich mit der Liebesbeziehung zwischen einer französischen Künstlerin/Journalistin und einem libanesischen Kriegsberichterstatter beschäftigt. Dass Europa ohne seine Peripherie und seine globale Anziehungskraft nicht mehr zu denken ist, verdeutlicht auch der abschließende Film aus Griechenland, in dem ein afghanischer Flüchtling unverhofft eine Anstellung in einer Athener Schreinerei findet.

Das erstaunlichste Motiv, das sich durch diese neun Kurzfilme zieht: Kommunikationsprobleme sind meist dann am größten, wenn alle Beteiligten dieselbe Sprache sprechen. Besonders treffend (und herrlich humorig) macht dies der norwegische Beitrag deutlich, in dem sich zwei dunkelhäutige Musliminnen bei der litauischen Kassiererin darüber beschweren, dass sie ihren Kindern Chips mit Schweinefleisch verkauft habe, während ein weißhäutiges norwegisches Ehepaar nach spontaner Internetrecherche feststellt, dass die Knuspereien bei der Herstellung nicht mal in die Nähe eines Ringelschwanzes gekommen waren, und daraufhin zu schlichten versucht, vor den aufgebrachten Parteien aber gar nicht zu Wort kommt – während alle perfektes Norwegisch miteinander sprechen.

Dem gegenüber steht der Eröffnungsfilm, in dem sich ein bayerischer Junge in den frühen 90er Jahren bei einem Familienausflug auf der anderen Seite der Grenze mit einem tschechischen Mädchen anfreundet – ganz ohne dass die Beiden auch nur ein Wort der Sprache des jeweils anderen beherrschen müssen. Wenn das mal kein wunderbar optimistisches Bild für die europäische Zukunft ist.

Das ZDF zeigt «The Love Europe Project» in der Nacht auf Dienstag, den 14. Mai um 00.30 Uhr.
13.05.2019 10:30 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/109298