Wie lange bleibt Netflix noch der Streaming-King?

2019 ist das Jahr des Streaming-Krieges: Apple und Disney drängen mit eigenen Angeboten auf den Markt, während Netflix millardenschwere Inhalte produziert. Um gute Serien geht es dabei längst nicht mehr…

Die Netflix-Bilanz (Quartal 4/18)

  • Umsatz: 4,19 Mrd. Dollar (3,29 Vorjahr)
  • Nettogewinn: 134 Mio. Dollar (186 Mio. Vj.)
  • Neue Abonnenten: 8,84 Mio. (6,62 Vj.)
  • Free Cash Flow: -1,3 Mrd. Dollar (-524 Mio. Vj.)
  • Streaming Content Obligations: 19,3 Mrd. Dollar (17,7 Vj.)
Die Zahlen lesen sich beeindruckend. Plus 8,8 Millionen Abonnenten im letzten Quartal, damit insgesamt knapp 140 Millionen weltweit. 4,2 Milliarden Dollar Umsatz. Über 40 Millionen Abrufe für die Serie «You», über 80 Millionen für den Film «Bird Box» – die Formate gehörten damit zu den erfolgreichsten in den vergangenen Monaten. Die Rede ist vom Streaming-Giganten Netflix, der auch 2018 bewiesen hat: Die Kundenzahl wächst – und zwar nicht gleichbleibend, sondern immer stärker, von Jahr zu Jahr.

Eine andere Geschichte erzählt aber diese Zahl: 19,3 Milliarden Dollar sogenannte „Streaming Content Obligations“. Dies sind Gelder, die Netflix bereits für kommende Produktionen ausgegeben hat, aber als Verlust noch nicht in der Bilanz verbucht werden müssen. Auch diese Zahl ist weiter angestiegen. Anders ausgedrückt: Netflix investiert immer mehr in Inhalte und häuft damit milliardenschwere Schulden an. Der negative Cashflow ist im Jahr 2018 auf drei Milliarden Dollar angewachsen. Das heißt, dass die Ausgaben u.a. für genannte Inhalte und Marketing die Einnahmen durch Abonnenten im laufenden Lahr um drei Milliarden übersteigen.

Unter Investoren ist die Strategie risikobehaftet. Denn Netflix kalkuliert mit weiter stark steigenden Abonnentenzahlen und höheren Einnahmen beispielsweise durch Preiserhöhungen. Die hat man dann auch gleich mit den bis dato letzten Quartalszahlen angekündigt. Verlangsamt sich das Wachstum aber, könnte dies eine Kettenreaktion nach sich ziehen. Netflix weiß, dass die starken Kundenzuwächse nur durch weitere radikale Investitionen in exklusive Inhalte ermöglicht werden.

Umso spannender, dass 2019 weitere große Player auf den Markt drängen: Disney und Apple sollen Gerüchten zufolge ihre eigenen Streaming-Dienste in diesem Jahr starten, zumindest in den USA. Vor allem Apple hat großspurige Namen im Gepäck, darunter eine Serie von Steven Spielberg, eine Serie mit Reese Witherspoon und Jennifer Aniston sowie eine Show mit Oprah Winfrey. Mit rund einer Milliarde Dollar Investitionen in Inhalte hinkt man Netflix allerdings weit hinterher. Branchenbeobachter sehen für Apple nur eine Chance, im Streaming-Geschäft erfolgreich zu sein: Man muss eines der klassischen Hollywood-Studios kaufen, um eine breite und bekannte Basis an vorhandenen und zukünftigen Inhalten zu haben.

Disney wird zum Netflix-Konkurrenten


Den genau umgekehrten Weg geht Disney: Das klassische Hollywood-Studio, dem nun auch 20th Century Fox gehört, besitzt eben jene Inhalte bereits. Und davon extrem viele extrem hochwertige. Die Marke Disney ist in den vergangenen Jahren zur mit Abstand erfolgreichsten Filmmarke aufgestiegen, auch dank der Marvel-Blockbuster und der Star-Wars-Lizenzen. Als Distributor hinkt man allerdings hinterher: Bisher existierte keine Infrastruktur, die eigenen Inhalte zu vermarkten. Daher wurden Disney-Filme unter anderem bei Netflix veröffentlicht. Mit dem neuen Streaming-Dienst Disney+ ist dies nun Vergangenheit: Von fremden Plattformen verschwinden die Inhalte, stattdessen sind sie dann exklusiv bei Disney+ verfügbar. Wie jetzt bekannt wurde, will man den gesamten Katalog an Disney-Inhalten seit der 1920er Jahre verfügbar machen. Und bricht so auch mit einer Tradition: Bislang wurden viele Zeichentrick-Klassiker nur alle paar Jahre neu veröffentlicht – damit ist dann Schluss. «Der König der Löwen» überall verfügbar, jederzeit, für immer. Ab 2019 in den USA.

Auch andere Studios wollen ihre eigenen Streaming-Angebote starten, darunter Warner und NBCUniversal-Eigentümer Comcast. Für uns Kunden heißt dies, dass das Angebot immer größer und fragmentierter wird. Eine Plattform für alle Inhalte ist dann völlige Utopie. Längst geht es beim kommenden Streaming-Krieg dann nicht mehr nur um die beste neue Serie – davon wird jeder Anbieter genügende im Programm haben, die man ohnehin nicht alle verfolgen kann. Es wird auch nicht um den besten exklusiven Film gehen. Sondern um das Entertainment-Erlebnis und das Markengefühl. Es geht um möglichst einfache Verfügbarkeit auf allen möglichen Plattformen (Amazon hinkt hier hinterher) und ein Angebot, das alle Zielgruppen erreicht. Shows, Dokus und bekannte Inhalte, die Retro- und Nostalgiegefühle wecken, gehören damit zum Erfolgsrezept. Das Vertrauen in die Marke spielt eine wichtige Rolle – denn Vertrauen drückt nicht nur aus, das man aktuell mit dem Angebot zufrieden ist, sondern auch darauf vertraut, dass die zukünftigen neuen Inhalte genauso gut unterhalten werden.

In dieser Hinsicht schafft Netflix mit seiner teuren Investitionsstrategie dafür die Grundlage: Man schafft Markenvertrauen und bindet Kunden frühzeitig mit möglichst vielen unterschiedlichen Inhalten. Disney kann aufgrund der jahrzehntealten Historie an starken Inhalten punkten: Es ist eine Firma mit extrem hohen Image und Markenvertrauen, das über Generationen gewachsen ist. Der Streaming-Service wird somit ein aggressiverer Konkurrent als Apple. Denn der iPhone-Hersteller hat noch kein Vertrauen in Inhalte aufgebaut, man besitzt keinen Katalog an bekannten Filmen und Serien und keine Identität als Entertainment-Produzent. 2019 wird ein spannendes Jahr…
09.03.2019 10:04 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/107786