«Die Geschichte eines Abends» mit Charlotte Roche: Gebt der Frau eine Talk-Show!

Der NDR hat am späten Freitagabend sein Talk-Format «Geschichte eines Abends» wiederbelebt. Charlotte Roche machte als kluge und charmante Gastgeberin Lust auf mehr.

Es beginnt gewöhnungsbedürftig: „Du tust das Messer in das Po-Loch, gehst aber auf keinen Fall tief in die Gedärme“, gibt Charlotte Roche dem leicht überfordert dreinblickenden Tim Wiese als Anweisung. Wir sollten vielleicht der Vollständigkeit halber erwähnen, dass es um das Filetieren von Fischen geht. Roche hat ihre vier Gäste – einen Ex-Fußballspieler, zwei Schauspieler und eine Politikerin – in eine Hütte im Wald geladen. Der Ort spiegelt die jüngste Entwicklung im Leben der Gastgeberin wider: Sie ist vor kurzem aufs Land gezogen. Das macht man so, wenn man vierzig ist.

Das Ziel der Sendung ist ein ähnliches wie jenes, das vor sechs Jahren ihre Talk-Show-Dekonstruktion «Roche & Böhmermann» verfolgte: Damals wollte man den Gästen durch ein radikales Aufbrechen der Präsentationsdramaturgie gewöhnlicher öffentlich-rechtlicher Plauderrunden spitze Aussagen entlocken und sie zu offenen Gesprächen hinreißen. In der Wiederbelebung der «Geschichte eines Abends» steht am Anfang die Frage (und der Wunsch) im Raum, ob die Gäste in der Natur über Sachen sprechen werden, die sie sonst nicht erzählen.

Die Antwort lautet: nein, nicht wirklich. Aber das macht nichts. Denn das Konzept „Charlotte Roche mit Gästen im Wald“ lebt von seiner Ungezwungenheit – und kann als innovatives, ehrliches und ungeschöntes Talk-Experiment sehr gut gefallen.

Manche Themenkomplexe – Gespräche über den Tod und persönliche Schicksalsschläge, oder über politische Haltungen und Besorgnisse – mögen interessanter gewesen sein als andere Passagen; manche Einfälle (Nachtwanderung und ein gemeinsames Essen) dramaturgisch ergiebiger als lauere Ideen (ein etwas zahmes Partyspiel ums Lagerfeuer). Doch der konzeptuelle Grundstock und die Gastgeberin der Sendung lassen einen ins Schwärmen kommen, wenn man sich vorstellt, wie eine regelmäßige Talk-Show mit Charlotte Roche aussehen könnte.

Denn an ihrer «Geschichte eines Abends» wird wieder einmal überdeutlich, dass sie dafür eine Qualität mitbrächte, die leider vielen Talk-Show-Moderatoren abgeht: ein unbedingtes Interesse an ihren Gästen. Sie hört ernsthaft gespannt zu, stellt die richtigen Nachfragen, koordiniert elegant, charmant, freundlich und aufrichtig das Gespräch. Das ungezwungene Flair in und um eine Hütte im Wald offenbart sich dabei als ein idealer Ort: Nicht weil sich in diesem angenehmen Ambiente unbedingt besonders intime oder pointierte Soundbites entlocken ließen, sondern weil er einer freundschaftlichen Atmosphäre besonders zuträglich ist, die wiederum ein angenehmes Seherlebnis ermöglicht.

Denkt man heute zurück an «Roche & Böhmermann» – ein Format, das damals ob seines innovativen Anstriches vielleicht vorschnell hochgeschrieben wurde und im Rückblick gleichzeitig übertrieben verklärt wird – so sind die aufrichtig interessanten, authentischen Momente oft durch Roches Gesprächsführung zustande gekommen, während Böhmermann sich mit seiner aufdringlichen Selbstdarstellung und allerhand gefälligen Meta-Spielchen oft genug war. Roches gleichsam kunstvolle, aber dramaturgisch mehr auf die Gesprächsessenz bedachte «Geschichte eines Abends» verdeutlicht diesen Eindruck. Man möchte diese Sendung gerne öfter sehen – und Lars Eidinger wird es nächste Woche unter demselben Titel schwer haben, mit ähnlicher Leichtigkeit zu glänzen.
01.12.2018 01:40 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/105595