Franz Dinda: 'Wir alle stehen in der Pflicht, uns gegen ein Klima zu wehren, dass uns zu Ja-Sagern erziehen will '

Der Darsteller aus der neuen Serie «Das Boot» spricht über seine Vorbereitungen auf den Dreh, seine Probleme mit dem deutschen Fördersystem und seine Schauspielmethode.

Zur Person

  • Franz Dinda wurde 1983 in Jena geboren
  • Er ist auch als Künstler sowie Autor tätig und hat ein Faible für Lyrik
  • 2013 feierte er sein Regiedebüt mit «Kavalier an Dame – 12 leidenschaftliche Poetkarten»
  • Als Schauspieler war er unter anderem in «Endlich Sex!», «Die Wolke», «Jenseits der Mauer», «Der Medicus», «Honigfrauen» und «Die Glasbläserin» zu sehen
Mir kam zu Ohren, dass Sie zur Vorbereitung auf den Dreh das Originaltagebuch eines Leitenden U-Boot-Ingenieurs aus dem Zweiten Weltkrieg gelesen haben. War dies eine "Hausaufgabe" oder kam das aus eigenem Antrieb?
(Lacht) – Das war schlicht und ergreifend Interesse. Dennoch gab es tatsächlich die ein oder andere Hausaufgabe seitens der Produktion, vielleicht auch weil sie bei den vielen, teils auch jüngeren Schauspielern im Cast auf Nummer Sicher gehen wollte, dass wir wissen, was wir tun. Es wurde zum Beispiel gewünscht, dass sich jeder von uns eine Biografie zu seiner Rolle schreibt. Das fand ich schon fast rührend. Eine gute Vorbereitung ist jedenfalls die halbe Miete. Die Arbeit vor der Kamera ist dann eher die Kür.

Sie sind also das Gegenteil eines "Ich spiele allein aus dem Skript und dem Moment am Set heraus"-Mimen. Weshalb haben Sie sich gegen diesen Ansatz entschieden?
Weil er sich mir nicht erschließt. Ich habe bis heute den Eindruck, dass vor allem diejenigen ihn verteidigen, die zu faul sind und ihre Bequemlichkeit zu einem bewusst gewählten Ansatz hochstilisieren (lacht). Unabhängig davon, fände ich es aber auch eine verschenkte Chance. Natürlich lassen sich schauspielerisch durchaus auch kraftvolle Momente herstellen, wenn man sich naiv in Szenen hineinfallen lässt, das mag sein. Aber ein Projekt wie unseres, in dem Kontext, da ergäbe das keinen Sinn, bei meiner Rolle sowieso: Robert Ehrenberg ist der leitende Ingenieur an Bord und als eine Art Bootsflüsterer angelegt. So etwas erzähle ich nicht, indem ich einfach hingehe und schaue, was passiert. Für mich galt: Um mich sicher in den Szenen und Improvisationen bewegen zu können, musste ich mir einen gewissen Überblick über die Funktionsweise eines solchen Bootes erarbeiten. Dabei stand mir auch immer unser Military Instructor Jürgen Weber zur Seite.

Zum Method Acting tendieren Sie jedoch nicht?
Je nachdem, wie man es sieht: Die Dreharbeiten zu «Das Boot» wurden automatisch ein Stück weit zu Method Acting. Weil wir erstens chronologisch gedreht haben und zweitens so tief in die Szenerie und Situation abgetaucht sind, dass es sich beim Dreh ab einem gewissen Zeitpunkt verselbstständigt hat. Die Dynamik unter uns, unter unseren Figuren, der Druck und die Beklemmung unserer Lage … Wahrscheinlich war das auch genau das Ziel der Produktion, da wir so weit weg von dem sind, was wir dort darstellen. Wir kennen den Krieg nicht, diese Gefahr, diese dreckige Arbeit. Wir sind glücklicherweise privilegiert und in Friedenszeiten aufgewachsen.

Ich persönlich arbeite gerne analytisch, weil sich das für mich in den letzten 20 Jahren immer mehr bewährt hat. Wenn ich die Motivation einer Figur begreife, dann kann ich sie auch darstellen.
Franz Dinda
Neben den vielen Stimmen, die Method Actor bewundern, existieren auch spitze Zungen, die behaupten, es sei ja kein Schauspiel mehr sondern bloßes Reagieren. Wie stehen Sie dazu?
Wie jemand zu einem guten schauspielerischen Ergebnis zu kommen meint, das sollte schon jedem selbst überlassen bleiben. Wichtig wäre mir nur, dass er oder sie damit nicht sein Umfeld terrorisiert (lacht). Method Acting in Bezug auf unser Projekt wäre wahrscheinlich, wenn der Schauspieler beschließt, während der Dreharbeiten auch noch im Boots-Set zu übernachten und nicht mehr zu duschen, um näher an den Boots-Alltag heranzukommen. Dennoch: Es gibt diesen berühmten Satz, der unter anderem Clint Eastwood zugeschrieben wird, der einem Method Actor entgegen geraunzt haben soll: "Just try it with acting". Ich persönlich arbeite gerne analytisch, weil sich das für mich in den letzten 20 Jahren immer mehr bewährt hat. Wenn ich die Motivation einer Figur begreife, dann kann ich sie auch darstellen.

Sie bezeichneten sich und Ihre Schauspielkollegen vorhin als "privilegiert und in Friedenszeiten aufgewachsen" – und das wird zweifelsfrei für eine überwältigende Mehrheit des Serienpublikums sprechen. War dies auch ein Grund, nun «Das Boot» als Serie fortzuführen? Haben wir eine Generation an Fernsehenden, der das Grauen des Krieges deutlich gemacht werden muss?
Das war für uns Schauspieler während des Prozesses nicht von Belang. Wir haben uns auf die Szenen, den Inhalt, die Authentizität konzentriert. Trotzdem: Wenn es uns gelingt, einer Generation, die den Frieden in unserem Land vielleicht schon als Selbstverständlichkeit betrachtet, vor Augen zu führen, dass man diesen auch schützen muss, genau wie die europäische Idee, dann wäre viel erreicht. Fakt ist, dass unsere Serie eine Antikriegsbotschaft senden soll und sich von jeglicher Kriegsverherrlichung vehement distanzieren möchte.

Bei dieser Intention ist ein U-Boot natürlich ein sehr dankbarer Schauplatz. Es gibt Filme, die zwar gemeinhin eine Antikriegsbotschaft haben, aber in den Szenen direkt an der Front eben doch in dynamische, um nicht zu sagen "coole" Einstellungen verfallen. Action bringt so etwas rasch mit sich – im U-Boot derweil gibt es nichts schnelles, stylisches, bombastisches …
Absolut. Genau das ist es. Das U-Boot ist wohl der elendste Ort, an dem man im Krieg kämpfen kann. Wenn Komplikationen entstehen: Pech, aus einem getauchten U-Boot kommt man nicht einfach so raus. Man ertrinkt kläglich. Von den knapp 20.000, die im Krieg im U-Boot dienten, sind 18.000 nicht zurückgekommen und wahrscheinlich auf widerlichste Art und Weise gestorben.

Der Kult um den Film ist natürlich gerechtfertigt, aber er hat auch seine Schwächen und inhaltlichen Fehler, die wir dank der militärischen Beratung aufdecken und in unserer Serie vermeiden konnten: Ventile wurden bei Petersen teils falsch herumgedreht, die Ruder falsch bespielt.
Franz Dinda über «Das Boot»
Haben Sie vor Drehbeginn den Petersen-Film aus Ihrem Gedächtnis "verbannt", um nicht unterbewusst aus ihm zu kopieren?
Ganz im Gegenteil! Ich habe ihn mir ganz bewusst noch drei, vier Mal angeschaut. Ich wollte genau wissen: Wie hat denn Klaus Wennemann seine Rolle damals interpretiert, was davon kann ich übernehmen, wovon will ich mich bewusst abgrenzen? Im Übrigen finde ich, Asche auf mein Haupt, dass die Ur-Fassung an einigen Stellen durchaus ins Overacting abgleitet. Der Kult um den Film ist natürlich gerechtfertigt, aber er hat auch seine Schwächen und inhaltlichen Fehler, die wir dank der militärischen Beratung aufdecken und in unserer Serie vermeiden konnten: Ventile wurden bei Petersen teils falsch herumgedreht, die Ruder falsch bespielt. Absolut inakzeptabel (lacht).

Wie erklären Sie sich, dass die deutsche Serienlandschaft aktuell einige ihrer größten Projekte abliefert, während das deutsche Kino vor allem dieses Jahr zwar Vielfalt geboten hat, aber partout nicht an die hiesige Serieneuphorie heranreicht?
Angebot und Nachfrage. Der Erfolg der einzelnen Streaming-Plattformen beweist, wie beliebt das Format der Serie mittlerweile geworden ist. Zuschauer schätzen ausführlicher und innovativ erzählte Stoffe und sind dafür auch bereit, Geld auszugeben. Die Fernsehgeräte werden immer größer. Jeder hat mittlerweile eine Art kleines Kino zu Hause. Außerdem ist der Vertrieb über solche Plattformen wesentlich einfacher und die Kosten damit kalkulierbarer. Diese Entwicklung eröffnet völlig neue Märkte, auch kreativ gesehen. Es ist wie eine Frischzellenkur für die deutsche Filmindustrie, weil verkrustete Strukturen des Filmemachens aufgebrochen werden.

Es ist wie eine Frischzellenkur für die deutsche Filmindustrie, weil verkrustete Strukturen des Filmemachens aufgebrochen werden.
Franz Dinda über die Änderungen in der TV-Industrie
Deutsches Kino dagegen hat das große Problem, dass das deutsche Fernsehen immer cineastischer wird und der Kinomarkt immer unberechenbarer. Bei einem guten Kinofilm weiß man mitunter nicht, ob er das Glück hat, dass es am Startwochenende regnet und die Leute somit bereit sind, ins Kino zu gehen. Kinoerfolge hängen von so vielen Faktoren ab. Viele großartige Filme werden dann überhastet wieder aus dem Programm genommen, das Publikum hat kaum Zeit, einen Film weiterempfehlen zu können. Da hat es das Fernsehen wesentlich einfacher.

Ich höre da Frust raus, dass zum Beispiel die Gangsterkomödie «Ronny & Klaid» noch immer keinen Verleih gefunden hat. Wäre der Film nicht eine gute Wahl für ein atypisches Vertriebsmodell, wie etwa Demand.Film?
Interessant, dass Sie das ansprechen. «Ronny & Klaid» stammt quasi von derselben "Filmmacherfamilie" wie «Schneeflöckchen», da gibt es vor der Kamera und hinter den Kulissen einige Überschneidungen. Und diese Truppe hat auch schon einen dritten Film gedreht, der derzeit den letzten Schliff erhält. Demand.Film ist zweifelsohne ein neues, spannendes Modell, das auch wunderbar zu «Schneeflöckchen» gepasst hat. Ob «Ronny & Klaid» damit gut fahren würde, müssen unsere Produzenten beurteilen. Mir geht es aber um etwas Anderes:

In vielen europäischen Ländern gibt es gefühlt eine wesentlich progressivere Kinokultur, obwohl weniger Gelder zur Verfügung stehen. Und der deutsche Serien-Output der letzten Jahre zeigt, dass es hierzulande nicht an der Fähigkeit oder an den Kreativen scheitert. Die Kompetenzen bei Autoren, Regisseuren, Produzenten und Schauspielern sind schließlich definitiv da. Dass sich in Deutschland allerdings gerade so viel in Richtung Serie verschiebt, muss also auch etwas mit dem Kinosystem und mit dem Fördersystem zu tun haben. Welchen Produktionen wird das Vertrauen ausgesprochen? Wer darf seine Vision umsetzen? Wie viele Köche dürfen bei kreativen Entscheidungen mitkochen?

In vielen europäischen Ländern gibt es gefühlt eine wesentlich progressivere Kinokultur, obwohl weniger Gelder zur Verfügung stehen. Und der deutsche Serien-Output der letzten Jahre zeigt, dass es hierzulande nicht an der Fähigkeit oder an den Kreativen scheitert.
Franz Dinda
«Ronny & Klaid» zum Beispiel wurde mit eigenen Mitteln finanziert. Das gab uns enorme kreative Freiheit weswegen das Projekt zu einem bemerkenswerten Film geworden ist, der auf konventionellem Wege in dieser Konsequenz niemals möglich gewesen wäre. Die Windmühle, gegen die die Macher im Nachhinein anrennen müssen, ist eine andere: Ein frei finanziertes Projekt zu verleihen, bedeutet zum Beispiel für einen Kinoverleih, die Verleihförderung einzubüßen. Damit sind solche Filme für die Verleiher größere Risiken als Produktionen, die durch Fonds gefördert wurden. Nur ein konkretes Beispiel für eine tatsächlich existierende Schieflage.

Zuschauer muss es nicht interessieren, wie Filme finanziert werden und inwiefern die Filmfinanzierung in Deutschland Einfluss auf die Kreativität nimmt. Das kann auch niemand von ihnen verlangen. Viel wichtiger wäre es, dass sämtliche Filmschaffenden geschlossen einfordern, dass sich das Fördersystem und die Vertriebsstrukturen aktiver hinterfragen. Ist dieses System wirklich noch so zielführend wie es sein sollte? Und wenn nein, wäre es dann nicht an der Zeit, gewisse Strukturen zu modernisieren?

Wer Probleme in einer Beziehung nicht anspricht, kann sich nicht beschweren, wenn sie irgendwann bricht. Und Filmemacher führen in vielerlei Hinsicht eine Art Liebesbeziehung mit Ihrem Projekt.
Franz Dinda
Ich würde darauf tippen, dass sich viele nicht trauen. Ich weiß, dass es mehr Filmschaffende wie Sie gibt, die ähnlichen Unmut hegen, aber kaum jemand spricht das so offen aus...
Oder sie halten diese Form der Diskussion für aussichtslos beziehungsweise befürchten, als anstrengend zu gelten. Als Stänkerer (lacht). Aber wir alle stehen in der Pflicht, uns gegen ein Klima zu wehren, dass uns zu Ja-Sagern erziehen will. Wer Probleme in einer Beziehung nicht anspricht, kann sich nicht beschweren, wenn sie irgendwann bricht. Und Filmemacher führen in vielerlei Hinsicht eine Art Liebesbeziehung mit Ihrem Projekt.

Eine der wichtigsten Eigenschaften, die man als Schauspieler, als Filmschaffender, aber auch als Mensch generell mitbringen sollte, ist das Rückgrat. Das ist unser Kompass. Ich kenne viele Kollegen, die versuchen, ihre Ärgernisse diplomatisch auszudrücken, und gemeinhin halte ich Diplomatie auch für sehr wertvoll. Aber man muss sich im Sinne unserer Liebe zum Film fragen, wie viel Diplomatie die Problembehebung verträgt, bevor aus der Diplomatie reines Duckmäusertum wird.

Vielen herzlichen Dank für das ehrliche Gespräch.

Franz Dinda ist ab dem 23. November in der neuen Sky-Serie «Das Boot» zu sehen.
22.11.2018 12:03 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/105360