90 Jahre Micky Maus (Teil I): Vom Erfolgsbringer zur guten Seele eines Trickstudios

Micky Maus, der bekannteste Nager der Film- und Comicwelt, wird 90 Jahre alt. In einer zweiteiligen Serie blickt Quotenmeter.de auf einige der Wendepunkte in seiner Geschichte. Teil eins widmet sich Mickys Entwicklung unter Walt Disney.

Die Entstehung einer Trickikone


Die Männer, die im Original Micky eine Stimme geben durften

  • Walt Disney (1928 bis 1946, gab die Rolle aus zeitlichen und gesundheitlichen Gründen auf, sprach Micky aber bis zu seinem Tod sporadisch in kleinen "Cameos")
  • Carl. W. Stalling (1929, einmalig)
  • Clarence Nash (1934, einmalig)
  • Jimmy MacDonald (1947 bis 1977)
  • Wayne Allwine (1977 – 2009)
  • Les Perkins (1986 und 1987, in zwei TV-Specials)
  • Quinton Flynn (1999, als Vertretung Allwines)
  • Bret Iwan (seit 2009)
  • Chris Diamantopoulos (seit 2013)
Es gibt diverse weitere Ausnahmen, etwa bei Hörspielen und sprechenden Spielzeugen, die hier zwecks Übersichtlichkeit übergangen wurden
Selbst wenn eine oft wiederholte Aussage Walt Disneys das Gegenteil suggeriert: Es hat nicht wortwörtlich alles mit einer Maus angefangen. Die Disney-Studios haben sich nicht am 18. November 1928 aus dem Nichts materialisiert, Micky Maus auf die Leinwand gezaubert und anschließend ihren Eroberungsfeldzug durch die Popkultur begonnen. Die Brüder Walt Disney (tendenziell für das Kreative zuständig) und Roy Disney (der Mann für's Business) gründeten das Disney Brothers Cartoon Studio am 16. Oktober 1923 in Burbank, Kalifornien – in unmittelbarer Nähe zu Los Angeles. Es war bereits das zweite Animationsstudio Walt Disneys und machte seine ersten Schritte mit einer Reihe von Stummfilmen, in denen eine reale Kinderdarstellerin mit gezeichneten Wesen interagiert.

Diese «Alice Comedies» wurden vom Filmvertrieb Winkler Pictures in die Kinos gebracht, einem Unternehmen des Ehepaars Margaret Winkler und Charles Mintz, das kürzlich seinen bisherigen Erfolgsbringer, Felix the Cat, aufgrund eines Streits mit dessen Ko-Schöpfer Pat Sullivan verloren hat und dringend eine neue Reihe im Repertoire benötigte. Das Mischfilmformat stieß allerdings an seine Grenzen: Es erwies sich auf Dauer als zu kostspielig und technisch zu herausfordernd, weshalb Walt Disney und sein Chefzeichner, der immens emsige Ub Iwerks, 1927 den Entschluss fassten, die «Alice Comedies» zu beenden.

Quasi parallel dazu vermittelte Charles Mintz eine Verabredung mit den Universal Studios, die ins Cartoon-Business einsteigen wollten. Man wurde schnell einig und nahm sich vor, gemeinsam eine neue Cartoonreihe aus der Taufe zu heben. Auf Walt Disneys Wunsch sollte diese neue Figur ein Kaninchen sein, um sich von den zu dieser Zeit so beliebten Cartoon-Katzen abzuheben. Außerdem wollte er, dass die neue Figur eine eigene komödiantische Persönlichkeit entwickelt, aus der sich im Stile von Stummfilmkomikern wie Dick & Doof und Charlie Chaplin eigene Routinen formen. Das schlichte Aneinanderreihen visueller Gags sollte beendet werden.

So entstand Oswald the Lucky Rabbit, dessen mutige, abenteuerlustige und dennoch galant-hinterlistige Persönlichkeit an Douglas Fairbanks angelehnt wurde. Darüber, wie sehr sich diese Ziele aus den Kurzfilmen raus lesen lassen, lässt sich aus heutiger Sicht streiten. Trotzdem wurde Oswald zu Disneys bis dahin größtem Erfolg. Die Belegschaft der Disney-Studios wurde vergrößert, Gehälter angezogen (Walt Disney verdiente nunmehr 100 Dollar die Woche) … Und es entstand Unfrieden im Team: Mintz warb nach und nach Disneys Angestellte ab, was der mit ihm befreundete Ub Iwerks mitbekam und seinem Chef signalisierte. Walt Disneys Versuche, mit Mintz nachzuverhandeln, scheiterten: Disney hielt keine Rechte an Oswald und konnte ganz legal als Produzent der Oswald-Cartoons ausgebootet werden.

Daher entwickelten Walt Disney und Ub Iwerks heimlich, während sie ihren bald auslaufenden Vertrag mit Mintz und Universal erfüllten, eine neue Trickfigur. Darüber, wieso es letztlich ein Mäuserich wurde, existieren genügend Legenden – sie müssen an dieser Stelle nicht wiederholt werden. Fakt ist aber, dass er einen ähnlichen, wenngleich nicht deckungsgleichen Charakter erhielt wie Oswald: Ein sympathischer Tunichtgut, der sich ständig in Abenteuer verliert, sollte es werden.

Gemeinsam mit einer verschwindend geringen Mannschaft aus weiteren treuen Kollegen entstanden im Sommer 1928 zwei Cartoons – «Plane Crazy» und «The Galloping Gaucho». Diese ersten Auftritte von Micky und Minnie Maus wurden nur sehr limitiert zu Testzwecken aufgeführt und fanden bloß mäßigen Anklang. Also ging man einen zu dieser Zeit noch sehr gewagten Schritt, und erhöhte den technischen Aufwand: Ein Ton-Zeichentrickfilm sollte entstehen, bei dem Musik und Klangeffekte akkurat zum Bild passen: «Steamboat Willie». Der Cartoon mit Micky am Steuer eines Dampfschifes fand einen Verleih in Celebrity Productions und debütierte am 18. November 1928. Mit ihm feierte Micky Maus seine offizielle Geburt als Leinwandstar. Und, ja: Zumindest das Unternehmen namens Disney, wie wir es jetzt kennen, nahm damit seinen Anfang.

Trickfilmrevolutionär und globales Phänomen


«Steamboat Willie» kam genau zur richtigen Zeit: Die Parodie auf den bereits zwölf Jahre alten Buster-Keaton-Klassiker «Steamboat Bill, Jr.» ging regelrecht durch die Decke – so sehr, dass er als technisch imposanter Nachzügler seine Vorgänger in Vergessenheit geraten ließ. «Steamboat Willie» ist längst nicht der erste Ton-Zeichentrickfilm, jedoch der erste, dessen Klang von Anfang bis Ende praktisch perfekt mit dem Bild synchron lief – und damit sorgte er für Furore. Da Disney zügig die bereits vor «Steamboat Willie» produzierten Micky-Kurzfilme mit einer neu erstellten Tonspur nachreichte und dank Ub Iwerks' atemberaubenden Zeichentempo rasch neue Cartoons ablieferte, wusste er, Mickys Popularität nicht nzr zu halten, sondern auch auszubauen.

Dadurch, dass der neuen Star am US-amerikanischen Trickfilm-Himmel in technisch für ihre Zeit herausragenden Cartoons aufgetreten ist, die trotz ihres Tonelements nahezu keine Sprachbarriere aufwiesen, und auch nur höchst selten spezifisch auf die US-Kultur hingebogen waren, folgte zudem geschwind der internationale Erfolg. Weltweit wurden Micky-Maus-Fanclubs gegründet, Kinos hielten angesichts der hohen Nachfrage Sondervorführungen nur mit Micky-Kurzfilmen ab und 1932 erhielt Walt Disney einen Ehren-Academy-Award für die Erfindung Mickys.

Mickys immense Popularität stieß zudem die Türen zu einem Geschäftsbereich auf, der sich als einer der wichtigsten Standbeine Disneys erweisen sollte. Wenn das Disney-Trickstudio, so wie wir es kennen, auf dem Rücken der Micky-Maus-Kurzfilme errichtet wurde, so stützt der Disney-Konzern auf dem Business mit Micky-Maus-Produkten. Merchandising ist für die Walt Disney Company unerlässlich – es spült jährlich mehrere Milliarden Dollar in die Konzernkassen, außerdem stärkt es die emotionale Bindung zwischen den Konsumenten und den Disney-Marken. Was wiederum das Geschäft mit Merchandising befeuert – es ist fast schon ein Perpetuum mobile, und es würde in dieser Form wohl nicht existieren, hätte nicht schon 1929 die seither ungebrochene, intensive Vermarktung von Micky-Maus-Lizenzprodukten ihren Anfang genommen.

Zugegebenermaßen fing alles noch sehr klein an – unter anderem mit Micky-Maus-Schulmappen, deren Hersteller für nur 300 Dollar die entsprechende Lizenz erwerben konnten. Eine unerlässliche Schlüsselperson im anhaltenden Erfolg Mickys in der Welt des Spielzeugs und weiterer Fanprodukte, und im erweiterten Sinne in Disneys genereller Vermarktungsstartegie, ist daher Kay Kamen. Es war nämlich der selbsternannte weltgrößte Micky-Maus-Fan und begeisterungsfähige Spielzeugliebhaber, der die Disney-Brüder überhaupt erst dazu brachte, Merchandising als wichtige Wirtschaftssäule zu sehen, statt als kleinen Bonus: Aus Eigeninitiative rief Geschäftsmann Kay Kamen, der gemeinsam mit Hal Roach unter anderem «Die kleine Strolche»-Produkte vermarktete, bei den Disney-Studios an und erläuterte ihnen, welches Geschäft ihnen dadurch entgehen würde, dass es in seinen Augen viel zu wenig offizielles Micky-Maus-Merchandising gibt. Schon zwei Tage später traf man sich zu einem ersten Businessgespräch, alsbald wurde Kamen zum alleinigen Lizenzverwalter der Disney-Studios.

Von 1933 an befeuerte Kamen das Geschäft mit Micky-Maus-Produkten (und anderem Disney-Merchandising) so sehr, dass es schwindelerregende Maßen angenommen hat. In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheiten ließen die Menschen noch immer massig Geld für Disney-Produkte springen, da sie eine Prise Fröhlichkeit in den Alltag brachten – und das galt für Jung und Alt. Kurz nach Kamens Amtsantritt retteten die extrem populären Micky-Maus-Uhren der Marke Ingersoll-Waterbury die Firma vor dem Ruin. Mit diesem Präzdedenzfall im Rücken mussten andere Firmen alsbald tief in die Tasche greifen, um sich mit Disney-Figuren schmücken zu dürfen. General Foods zahlte 1934 etwa die damals unvorstellbare Summe von 1,5 Millionen Dollar für die Erlaubnis, Disney-Cornflakes zu vertreiben.

Und auch in den Sprachgebrauch ist Micky Maus eingegangen: In der Filmmusik bezeichnet man es als Mickey Mousing, wenn man die Bewegungen auf der Leinwand musikalisch spiegelt – in Anlehnung an die verspielte Musik früher Micky-Cartoons, die jeden Schritt und jeden Tritt der Figuren dick unterstreicht. Und auf der Höhe von Mickys Beliebtheit war "What, no Mickey Mouse?" eine in den USA so oft genutzte Aussage, wenn im Kino der Wahl enttäuschenderweise kein Micky-Film lief, dass es zum geflügelten Wort für kleine Alltagsbeschwerden und sogar zum Radioschlager wurde.

Walts Liebling gerät in die zweite Reihe


Micky Maus in den Comics

Selbst wenn in vielen Ländern die Donald-Duck-Comics weitaus populärer sind: Comics sind für Mickys popkulturelle Bedeutung wohl genauso wichtig wie die Cartoons. Ihren Anfang nahm Mickys Comickarriere am 13. Januar 1930, nachdem King Features Syndicate auf Disney zuging, um die beliebte Filmfigur zu lizenzieren. Am 5. Mai 1930 übernahm Floyd Gottfredson die Micky-Zeitungscomics – eine Stelle, die er bis zum 15. November 1975 beibehalten sollte.

Während Film-Micky softer wurde, blieb Gottfredsons Micky ein Abenteurer und ein kleiner Chaot. Auch in den US-Comicheften fand Micky Platz, selbst wenn Mickys US-Comichistorie ein Witz im Vergleich dazu ist, wie Disney-Comcis in Italien florieren. Von 1932 an erscheinen im "Topolino" Geschichten mit Micky und Co. - und in Italiens Comicuniversum (sowie in den daraus entstandenen, deutschen 'Lustigen Taschenbüchern') hat Herr Maus dauerhaft ein zweites Standbein als Privatdetektiv. So einseitig, wie manche Micky Maus darstellen, ist er eben doch nicht ...
Frei nach dem Leitsatz, den sich viele Jahrzehnte nach Mickys Debüt eine andere fiktive (und schlussendlich dem Disney-Imperium einverleibte) Figur auf die Fahnen schreiben sollte: "Aus großer Macht folgt große Verantwortung!" Im Falle Mickys sollte das heißen: Je populärer er wurde, desto mehr geriet er in Kritik, weshalb er sich ruhiger geben musste. Während Micky in seinen ersten Cartoons raucht, säuft, mogelt, Tiere quält, Minnie herumschubst und Streit anzettelt, wurden diese Tendenzen schnell reduziert, um mit dem großen Star der Disney-Studios nicht zu sehr anzuecken. Dennoch kam es in den frühen 1930ern, als Micky zunehmend nicht nur als Liebling der Erwachsenen aufgefasst wurde, sondern zudem als Idol der Kinder, vermehrt zu Elternbeschwerden, wann immer Micky zu unangepasst agierte.

Dies führte zu einem Problem: Die Disney-Storykünstler taten sich zunehmend schwerer, neue Geschichten für Micky Maus zu entwickeln. Denn nicht nur, dass Micky bis 1932 bereits über 40 Cartoon-Auftritte absolvierte und so schon viel Stoff abgegrast hat – durch die Sorgen, mit Micky den Ball flach halten zu müssen, reduzierten sich die Storyoptionen. Daher wurden ihm nach und nach neue Figuren zur Seite gestellt, die sich kontinuierlich in den Vordergrund drängeln sollten, weil den Autoren und Zeichnern schlicht mehr Gags für sie einfielen: Zuerst debütierte der Vierbeiner Pluto (der zwischenzeitlich als Minnies Haustier dargestellt, aber letztlich zu Mickys Hund wurde), 1932 folgte Tollpatsch Goofy und 1934 feierte der Pechvogel und Donald Duck sein Leinwanddebüt.

Der Erpel konnte nicht früh genug debütieren: Mickys Beliebtheit ließ weiter nach, 1935 wurde in einer US-weiten Umfrage erstmals seit Mickys Erscheinen eine andere Figur zum beliebtesten Trickhelden der Nation gewählt. Doch eine Rückkehr zu wilderen Abenteuern, um dem Mäuserich wieder mehr Schneid zu geben, schien ausgeschlossen: Nun besetzten Pluto, Goofy und vor allem Donald den Slot des "wilden" Helden und sorgten für Trubel in gemeinsamen Cartoons mit Micky. Dieser hatte sich im Auge der Öffentlichkeit als harmloser Protagonist etabliert, das durfte nicht einfach so revidiert werden – erst recht, da Disney bei den Eltern zumeist problemlos damit durchkam, dass sich um Micky frechere Gestalten tummelten.

Es mangelte jedoch nicht an Erneuerungswillen in den Disney-Studios: 1935 etwa absolvierte Micky mit «The Band Concert» seine Premiere in einem Farb-Kurzfilm, und selbst wenn er sich darin (wie in den Folgejahren so oft) das Rampenlicht mit Donald und Goofy teilen muss, brachte der turbulente Film nochmal Leben in die Maus-Filmografie. 1938 wiederum testete «Brave Little Tailor» die Gewässer aus, Micky auf der Leinwand völlig neu zu erfinden: Der in einem märchenhaften Mittelalter-Setting spielende Kurzfilm erzählt die Geschichte vom tapferen Schneiderlein nach und zeigt Micky als Held wider Willen, der aufgrund eines Missverständnisses über sich hinaus wachsen muss. Obwohl der Cartoon, übrigens genauso wie «The Band Concert», mittlerweile vom Fachpublikum als ein Juwel des Mediums geschätzt wird, setzte sich diese Umdeutung Mickys nicht dauerhaft durch. Was sich aber durchsetzte, ist das kurz darauf erfolgte Neudesign der Maus: Nachdem Micky sein erstes Leinwand-Jahrzehnt in Schwarz-Weiß wie auch in Farbe als klares Produkt seiner Entstehungszeit und frühen Produktionsbedingungen verbrachte, als rasch skizzierter, detailarmer, schwarzer Körper mit weißer Gesichtspartie, wurde es allmählich Zeit für eine Umgestaltung.

Schon «Brave Little Tailor» war ein Vorbote, gab der Disney-Zeichner Fred Moore dem Titelhelden hier doch "menschlichere" Bewegungen. Er entfernte sich außerdem weit von der Gummibandmaus und der späteren, leicht birnenförmigen, doch noch immer biegsamen Maus, die Micky bislang dargestellt hat. Aber Walt Disney hatte noch Größeres mit Micky Maus vor, seiner Lieblingsschöpfung und seinem künstlerischen Alter Ego …

«Fantasia»


Die Musikstücke in «Fantasia»

  • Toccata und Fuge in d-Moll
  • Nussknacker-Suite
  • Der Zauberlehrling
  • Le Sacre du Printemps
  • Beethovens sechste Sinfonie
  • Der Tanz der Stunden
  • Eine Nacht auf dem kahlen Berge
  • Ave Maria
"Der Konzertfilm", wie «Fantasia» in der Entwicklungsphase zwischenzeitlich genannt wurde, ist eines der am ausgiebigsten von der Filmhistorie behandelten Projekte Walt Disneys – und daher stehen so viele Aussagen über die Entstehungsgeschichte dieses Filmes im Raum, dass kleinere und größere Widersprüche unvermeidlich sind. Aber der Konsens der Disney- und Animationsforschung lautet ungefähr so: Nachdem Mickys Popularität ins Wanken geriet, plante Walt Disney einen besonderen, aufwändigen Kurzfilm, um seiner Lieblingsfigur zu neuer Beliebtheit zu verhelfen. Micky, in dem sich Walt Disney selbst wiedererkannt haben soll, hätte sich das verdient. 1937 soll dann die Idee aufgekommen sein, Micky aus seinem nun gewohnten, Slapstick- und Situationskomik-Cartoonalltag rauszuholen und in eine «Silly Symphony» zu versetzen, also einen Cartoon der mehrfach preisgekrönten und von der Filmkritik höher geachteten Disney-Reihe, in der Märchen, Sagen oder andere fantastische Geschichten erzählt und eng mit Musik verknüpft werden.

Diese Micky-«Silly Symphony» sollte auf Paul Dukas' Scherzo "L‘Apprenti-Sorcier" abgestimmt werden und selbstredend die Geschichte des Zauberlehrlings erzählen, die durch Johann Wolfgang von Goethes Ballade Unsterblichkeit erlangte. Zu diesem Zweck erhielt Fred Moore den Auftrag, Micky Maus zu überarbeiten. Er sollte eine ausdrucksstärkere Mimik erhalten, gleichzeitig aber menschlicher werden, also die Dimensionen gewinnen, die Disneys jüngste Schöpfungen in den Cartoons und den Langfilmen aufweisen. So bekam Micky weiße Augen mit Pupillen, die die schwarzen Knöpfe ersetzen, die er damals normalerweise aufwies, sowie eine neue Körperform. Dieses Design feierte sein Leinwanddebüt 1939, also ein Jahr, bevor das aufwändige «Zauberlehrling»-Projekt fertiggestellt werden sollte.

Denn Mickys Zauberauftritt packte Disneys Ambition und wuchs und wuchs und wuchs: Zu einem Zeitpunkt sollen sie die Grenze von 125.000 Dollar deutlich überboten und somit das Drei- bis Vierfache betragen haben, was «Silly Symphony»-Cartoons sonst kosteten. Um dennoch die Aussicht auf Profit zu haben, nahm man sich im Februar 1938 einer ungewöhnlichen Idee an, die in der frühen Entwicklungsphase des Films laut manchen Quellen bereits kurzzeitig aufgegriffen wurde:

Mickys Kurzfilm sollte Teil eines aufwändigen Langfilms werden, in dem weitere klassische Musikstücke mit Animation zum Leben erweckt werden. So entstand «Fantasia», ein Episodenfilm, der die Disney-Künstler zu experimentellen Konzepten herausforderte und in Walt Disney die Idee eines neuen, mehrspurigen Tonsystems weckte – und der heutzutage als Filmjuwel gilt. Aber manche Ideen brauchen ihre Zeit, bis sie anerkannt werden …

Micky Maus nach «Fantasia»


«Fantasia» wurde 1940 nicht zum erhofften Kassenschlager und Kritikererfolg. Die zeitgenössische Kritik hätte kaum gespaltener ausfallen können: Walt Disney würde sich bei den Intellektuellen anbiedern wollen, schrieben die Einen. Walt Disney würde die hohe Kunst für Kinder und Ungebildete brutal runter brechen, schrieben die Anderen. Walt Disney habe ein unterhaltsames Kunstwerk geschaffen – oder sterbenslangweilige filmische Idiotie. Und kommerziell scheiterte «Fantasia» in den USA an Disneys hohen technologischen Ambitionen – nur wenige Kinos waren gewillt, speziell für diesen Film ein neues Tonsystem zu installieren. Global stolperte «Fantasia» derweil über dieselbe Schwelle wie «Pinocchio»: Mit einem weltweiten Publikum im Hinterkopf entwickelt und daher unbesorgt mit hohem Aufwand verwirklicht, kamen die Filme zu einem Zeitpunkt heraus, zu dem die europäischen Märkte wegbrachen.

Was blieb, ist aber Mickys visuelle Umgestaltung. 1941 experimentierte Fred Moore in dem Kurzfilm «The Little Whirlwind» mit einer weiteren Anpassung von Mickys Äußerem und verlieh dem Mäuserich perspektivische Ohren, die die zweidimensionalen Kreise auf seinem Kopf ersetzten, jedoch wurde diese Spielerei schnell wieder aufgegeben. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten wurde an den Grundfesten Mickys kaum mehr gerüttelt – als in den 1950er-Jahren der kantige Hausstil der UPA-Studios populär wurde, wurde auch Micky kurzzeitig kantiger, allerdings blieb das nicht haften. Leicht bräunlicher Teint, runde, weiße Comicaugen mit schwarzen Pupillen, etwas "fleischiger" Körper und platte Kreise als Ohren – das sollte fortan der "Standard-Micky" bleiben – nur mit wechselnder Garderobe. Wenngleich dieser Micky wenig zu tun bekam:

Nach Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg produzierten die Disney-Studios notgedrungen vor allem Ausbildungs- und Propagandafilme, in denen noch stärker auf Mickys Kollegen gesetzt wurde. Insbesondere Wüterich Donald Duck war in diesen überaus populär, da sich in Donald-Cartoons mit Chuzpe und Wildheit Dinge erklären ließen, während Micky zu lieb dafür wäre. Und reine Unterhaltungscartoons, die das Kriegsthema aufnehmen, sind mit Donald als ungeduldigen Soldaten einfach "glaubwürdiger" als mit Micky Maus.

Auch abseits der Kriegsthematik sank Mickys Cartoon-Stern. Schon 1943 wurde Micky dann in den vorzeitigen Cartoon-Ruhestand versetzt, nur um von 1946 bis 1953 ein kleines Comeback zu feiern, das allerdings nur acht Kurzfilme umfasste. Die anderen Disney-Stars waren einfach beliebter und profitabler. 1955 sollte aber eine Micky-Maus-Renaissance beginnen: Bei ABC ging «The Mickey Mouse Club» auf Sendung, eine montags bis freitags gezeigte Senderreihe, die von Folge zu Folge innerhalb von 25 Sendeminuten Studiomoderation mit Musik, Trickfilmen und Schauspiel vermengte.

Der Titelsong wurde für die Baby-Boomer-Generation in den USA zu einer Art Hymne und getreu ihrer Lyrics "Who's the leader of our club? Mickey Mouse!" eroberte sich Micky in den Herzen vieler US-Amerikaner den Disney-Thron zurück. Auch in weiteren Disney-Fernsehproduktionen trat Micky unregelmäßig auf, genauso wie Goofy, Donald und Konsorten, wo er wiederholt mit seinem Schöpfer Walt Disney interagierte und seine Position als halb-offizielles Maskottchen des Unternehmens festigte.

Im zweiten Teil blicken wir auf Mickys Karriere nach der Walt-Disney-Ära.
08.11.2018 12:03 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/105047