Die Kritiker: «Unser Kind»

Ein lesbisches Paar bekommt dank Samenspende ein Kind. Dann stirbt seine leibliche Mutter, woraufhin Schwiegereltern, Samenspender und Staat die Hinterbliebene bevormunden.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Susanne Wolff als Ellen Steinert
Britta Hammelstein als Katharina Fuchs
Andreas Döhler als Wolfgang Maar
Lisa Wagner als Natalie Maar
Victoria Trauttmansdorff als Evelyn Fuchs
Ernst Stötzner als Johannes Fuchs
Franziska Junge als Sarah

Hinter der Kamera:
Produktion: Heimatfilm GmbH
Drehbuch: Kristl Philippi
Regie: Nana Neul
Kamera: Bernhard Keller
Produzentin: Bettina Brokemper
Ellen (Susanne Wolff) und Kiki (Britta Hammelstein) haben ihren Sohn durch die Samenspende ihres Bekannten Wolfgang (Andreas Döhler) bekommen. Nach der Geburt des Kindes bestand das Jugendamt auf einem Adoptionspflegejahr, bevor Ellen es als nicht-leibliche Mutter adoptieren können würde. Während dieser Zeit hat die leibliche Mutter Kiki mit all dem Papierkram getrödelt; sie hat dem bürokratischen Bohei schlicht keine große Bedeutung zugemessen – dass es sich bei dem Jungen faktisch um das gemeinsame Kind mit ihrer Partnerin handelte, stand für sie schließlich außer Frage.

Das Unheil konnte auch niemand ahnen: Bevor das Adoptionsverfahren abgeschlossen werden kann, verstirbt Kiki bei einem Verkehrsunfall. Der emotionalen Katastrophe folgt eine juristische: Denn sobald Wolfgang oder Kikis Eltern entsprechende Ansprüche anmelden, ist das Risiko groß, dass Ellen die Vormundschaft und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihr Kind verlieren wird. Noch dazu lassen ihre Schwiegereltern keinen Versuch ungenutzt, ihren Enkel in ihrer Obhut verweilen zu lassen, und halten Unterlagen zurück, während Samenspender Wolfgang entgegen seiner ursprünglichen Beteuerungen nun Kontakt zu dem Jungen sucht. Aus dem Albtraum wird Wirklichkeit.

Bis dieser Konflikt – die Quintessenz des Stoffes – konkret und ausgesprochen im Raum steht, vergehen jedoch geschlagene 52 Minuten. Die wollte man nutzen, um langsam und graduell zu diesem Punkt hinzuführen, um allen beteiligten Personen und Standpunkten Raum zu gewähren und sich zu positionieren. Doch dieser Raum ist zu großzügig bemessen – nicht nur, weil er eher mit inhaltlichen Doppelungen und Wiederholungen statt Variationen und thematischen Erweiterungen besetzt wird, sondern weil die entscheidende Frage dieses Films damit viel zu spät in expliziter Form gestellt wird.

Dagegen ist die starke inhaltliche Konzentration auf ein sehr spezifisches Problem – wie nicht-leiblichen Eltern, insbesondere solchen in homosexuellen Lebenspartnerschaften, aufgrund einer überkommenen Rechtslage im Fall der Katastrophe die Kinder entrissen werden – hervorragend gelungen. Der Blick des Films ist differenziert. Trotzdem ist seine Haltung klar. Und noch wichtiger: Obwohl die primäre Sympathie klar bei der gebeutelten Ellen liegt, wird keiner Figur, auch wenn sie punktuell ethisch falsch handeln mag, völlig die Redlichkeit entzogen.

Gleichzeitig gelingt es dem Film, diesen abstrakten Diskurs anhand seiner Geschichte fassbar und emotional erlebbar zu machen, woran auch Susanne Wolffs geschicktes Spiel, mit dem sie die Fragilität wie die emotionale Stärke ihrer Figur zugleich betont, einen großen Anteil hat. «Unser Kind» hat nicht zuletzt auch eine politische Ambition – der Film verdeutlicht, zu welch katastrophalen Ungerechtigkeiten und Traumata die bestehende gesetzliche Regelung führt. Dabei ist er kein feuriges, pathetisches Traktat, sondern zeigt ein emotional forderndes und zugleich aus nüchterner Distanz erzähltes Beispiel, weshalb seine Zielsetzung notwendig ist: genau der richtige Zugang zu dem Thema und wohl die wirkungsvollste Methode, um für die gesellschaftliche und juristische Änderung zu werben, für die er brennt.

Das Erste zeigt «Unser Kind» am Mittwoch, den 7. November um 20.15 Uhr.
07.11.2018 06:00 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/105012