Die Kritiker: «Ein Kind wird gesucht»

«Ein Kind wird gesucht» hat zahlreiche gelungene Momente, schafft es aber nicht, sie auch in einen guten Film umzumünzen. Unsere Kritik zum Mitfühlkrimi mit Heino Ferch.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Heino Ferch als Ingo Thiel
Silke Bodenbender als Sandra Schlitter
Johann von Bülow als Reinhard Schlitter
Felix Kramer als Mario Eckartz
Julika Jenkins als Beate Jürgens
Christian Beermann als Gerhard Jäger
Ronald Kukulies als Winfried Karls

Hinter der Kamera:
Produktion: Lailaps Pictures GmbH und Handwritten Pictures GmbH
Drehbuch: Katja Röder und Fred Breinersdorfer
Regie: Urs Egger
Kamera: Lukas Strebel
Produzent: Nils Dünker
Im Spätsommer 2010 verschwindet ein Kind in der Nähe von Mönchengladbach spurlos. Um den Jungen wiederzufinden, wird die größte SOKO der bundesdeutschen Geschichte eingerichtet, die mehr als einhundert Tage ermittelt. Sie wird zwar schließlich nach zähem Ringen den Täter finden, aber nur noch die sterblichen Überreste des Opfers bergen können.

Den Chefermittler spielt in dieser Paraphrasierung von wahren Begebenheiten Heino Ferch, und er legt diese Rolle an, wie er die meisten seiner Figuren in Fernsehfilmen spielt: jähzornig, aufbrausend, mitunter cholerisch, ein bisschen überbetont männlich, was bei ihm stets etwas altmodisch und überkommen wirkt; gleichzeitig aber: zugänglich, kontrolliert, einfühlsam, sehr intelligent, ein brillanter Stratege, der nicht nur denken, sondern auch zupacken kann. Diese Konstellation wirkt freilich immer etwas berechnet – Stichwort „frauenaffin“ – und trägt im Kontext dieses Stoffes zu einer bisweilen naiven Idealisierung von Cowboy-haften Polizisten bei.

Doch «Ein Kind wird gesucht» wird diesbezüglich noch konkreter: Dass wegen des Vorratsdatenspeicherungsgesetzes nicht alle Mobilfunkdaten schnurstracks an Heino Ferchs Ingo Thiel weitergeleitet werden dürfen, lässt den Kollegen diese Vorschrift direkt als Ermittlungsverhinderungsgesetz beschimpfen. Das erinnert an jenes berühmte Meme von Richard Gutjahr mit einer süßen Robbe und dem Schriftzug: „Dieses Robbenbaby müsste ohne Vorratsdatenspeicherung sterben! Das ist zwar gelogen – aber wen interessiert schon die Wahrheit?“ Dieser unwidersprochene Vortrag von uninformierten Halbwahrheiten und unanständigen Verzerrungen lässt den Film bisweilen ermittlungspopulistisch wirken – und passt überhaupt nicht zum Rest des Duktus.

Der legt nämlich, sofern er nicht die Ermittler bei der gebetsmühlenartigen Spurensuche begleitet, den Fokus auf die Trauerarbeit der Eltern und ihre Zuflucht in ihren Glauben, der in dieser Zeit freilich nicht ohne bittere Zweifel bestehen kann. Doch wie auch bei anderen einnehmenden Themen – Vergebung und Rache, Sanftheit und Brutalität – bleibt der Film in diesem Punkt oberflächlich, und lässt das Untersuchungsfeld sofort nach seiner knappen Etablierung wieder fallen. Das ist schade: Denn obwohl all die Sequenzen um die polizeiliche Ermittlungsarbeit nicht schlecht und oft angenehm dynamisch geschrieben sind, wären die existentiellen Themen um die hinterbliebene Familie doch wesentlich interessanter, einnehmender, gehaltvoller.

Am Ende scheint unbedingt ein schneidiger Mitfühlkrimi stehen zu müssen, der für Themen und Aspekte mit aufrichtigem Tiefengehalt nur am Rande Platz findet, und durch den Heino Ferch mit jeder Menge rausgelassener Frustration, zupackendem Management und dem ein oder anderen sanften Moment für die Frauenaffinität hindurchpeitschen muss. Besonders deutlich sieht man das verschenkte Potential noch einmal gegen Schluss, als der Täter gestellt und überführt ist und als völlig normaler Mann vorgestellt wird, der sich im Ort nicht tarnen muss, der dazugehört und mit leiser, bedächtiger Stimme schildern kann, wie er sich an dem Jungen vergehen wollte. Hier gelingt es diesem Film einmal mehr, der Realität erschreckend nahe zu kommen. Leider bleibt auch das nur ein gelungener Moment, den «Ein Kind wird gesucht» nicht in ein gelungenes Gesamtwerk ummünzen kann.

Das ZDF zeigt «Ein Kind wird gesucht» am Montag, den 22. Oktober um 20.15 Uhr.
22.10.2018 02:47 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/104633