«Werk ohne Autor»: Die empathische Macht der Kunst

Florian Henckel von Donnersmarck holte mit dem DDR-Drama «Das Leben der Anderen» den Academy Award nach Deutschland. Und auch sein neuer Film erzählt von hiesiger Historie – vor allem aber von der Wirkung der Kunst.

Filmfacts: «Werk ohne Autor»

  • Regie und Drehbuch: Florian Henckel von Donnersmarck
  • Produktion: Quirin Berg, Florian Henckel von Donnersmarck, Jan Mojto, Max Wiedemann
  • Darsteller: Tom Schilling, Sebastian Koch, Paula Beer, Saskia Rosendahl, Ina Weisse, Ben Becker, Rainer Bock, Jonas Dassler, Lars Eidinger, Jeanette Hain, Oliver Masucci, Ulrike C. Tscharre
  • Kamera: Caleb Deschanel
  • Schnitt: Patricia Rommel
  • Musik: Max Richter
  • Laufzeit: 188 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Von Deutschland in den Rest der Welt und zurück: Nach seinem mehrfach preisgekrönten Langfilmdebüt «Das Leben der Anderen» verschlug es Regisseur und Drehbuchautor Florian Henckel von Donnersmarck nach Hollywood. Doch im Gegensatz zu seinem unter anderem mit dem Oscar für den besten fremdsprachigen Film gewürdigten DDR-Drama fiel «The Tourist» beim Großteil der Kritikerschaft durch: Der komödiantisch angehauchte Thriller, ein Remake der Hitchcock-Hommage «Fluchtpunkt Nizza», wurde unter anderem als ermüdend zäh tituliert. Zudem warfen ihm nicht wenige Stimmen vor, dass die Hauptdarsteller Johnny Depp und Angelina Jolie keinerlei Chemie miteinander aufweisen würden – und das, obwohl die Story von den sprühenden Funken zwischen ihren Rollen lebt. Rund vier Jahre nach der Veröffentlichung von «The Tourist» nahm von Donnersmarck die Arbeit an seinem dritten Langfilm auf, an einer Rückkehr ins Fach der deutschen Geschichtsverarbeitung.

Vier weitere Jahre später gelangt von Donnersmarcks neues, explizit deutsches Werk auf die große Leinwand: «Werk ohne Autor» heißt das Mammutprojekt, das von wahren Begebenheiten inspiriert, aber auf freimütig fiktionalisierte Weise drei Jahrzehnte deutsch-deutscher Historie anreißt und vor diesem Hintergrund vom Werden eines Künstlers erzählt. Florian Henckel von Donnersmarck strukturiert seine Erzählung ähnlich wie einen Bildungsroman der klassischen, deutschen Literatur: Im Mittelpunkt steht ein Querdenker, der sich nicht dem vorherrschenden Zeitgeist fügen kann und will. In minutiösen Details zeigt «Werk ohne Autor», wie sich Protagonist Kurt Barnert (als Erwachsener gespielt von Tom Schilling) mit seinem Umfeld reibt, und wie diese mal kleinen, mal großen Auseinandersetzungen in ihrer Tragik, Situationskomik oder Aufregung Kurt teils abhärten, teils verändern. So lange, bis Kurt so etwas ähnliches wie einen Mentor findet, der ihn dazu anregt, einfach in sich zu gehen und nach seiner eigenen Herangehensweise zu suchen ...

In einer unaufgeregten Erzählhaltung zeichnet von Donnersmarck nicht bloß die Wendepunkte in Kurts Leben, sondern nimmt sich auch in aller Seelenruhe die Zeit, Ausschnitte aus dem Alltag seiner vor allem von Gerhard Richter inspirierten Hauptfigur zu erzählen. Dadurch, dass der «Das Leben der Anderen»-Macher zeigt, wie der empathische sowie verschlossene Kurt sein Dasein in diversen Abschnitten seines Lebens und der deutsch-deutschen Historie gestaltet, statt die Erzählung auf einschneidende Momente zu beschränken, drängt von Donnersmarck sein Publikum dazu, das Filmgeschehen ähnlich gewissenhaft zu betrachten wie der Filmheld sein Umfeld beäugt. Dieses behutsame Ausbreiten der Handlung macht «Werk ohne Autor» zu einem Drama, dessen Spannung sich langsam, aber umso intensiver entfaltet:

Während die erste Filmpassage, die noch zur Nazi-Zeit spielt und den jungen Kurt nur als Nebenfigur behandelt, in ihrem Balanceakt zwischen schwelgerisch-ruhiger Inszenierung, der Darstellung deutscher Schandtaten und dem übergreifenden Thema dieses Films etwas holprig und verkrampft geraten ist, fesselt der Film ab Schillings Auftreten von Sinnabschnitt zu Sinnabschnitt immer mehr. Schillings sanftes Spiel, aus dem seine ausdrucksstarken Augenpartie heraussticht, weckt große Empathie für diese Figur, deren Einfühlungsvermögen, Kunstsensibilität und Nachdenklichkeit dem gegenübersteht, was Sebastian Kochs Figur des Professor Carl Seeband ausmacht: Als opportunistisches Fähnchen im Wind gezeichnet, steht der gewissenlose Arzt als Exempel für zahlreiche weitere Individuen, die unter dem Nazi-Regime Verbrechen an der Menschlichkeit begangen haben und daraufhin lange der Gerechtigkeit entgehen konnten.

Koch spielt Seeband allerdings nicht dick auftragend als teuflischen Fiesling, sondern schlicht als kühlen, knurrigen Typen mit leichter Überheblichkeit, der jedoch auch genau weiß, wie er sich zu verkaufen hat, um im Leben vorwärts zu kommen. Seeband ist zudem ein ungeheuerlicherer Ignorant – was das dominierende Thema von «Werk ohne Autor» ist: Florian Henckel von Donnersmarck nutzt in diesem mehr als drei Stunden langen Epos Kunstaffinität als Gradmesser für Weltoffenheit. Dies brennt sich bereits in der eindrucksvollen Eröffnungsszene ein, in der ein verächtlicher Museumsführer («Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm»-Hauptdarsteller Lars Eidinger) erläutert, welch kranken Geister "entartete Kunst" verbrechen. Aber das Thema zieht sich, mal mahnend, mal verdutzt-beobachtend, durch den gesamten Film, der die DDR als politisch wie künstlerisch engstirnig-oppressiv zeichnet und die junge BRD als perplexen Ort, in dem sich Freigeister und "Es war ja nicht alles schlecht"-Piefigkeit reiben.

Dessen ungeachtet formt von Donnersmarck aus den Einflüssen der 30er- bis 60er-Jahre auf Protagonist Kurt keine klischeehafte "Kunst kann nur aus Leid entstehen"-Narrative – dafür räumt der Regisseur und Autor zu viel Laufzeit für angenehme Stationen in Kurts Biografie frei. Dabei haut von Donnersmarck wohlgemerkt oft in dieselbe Kerbe: «Werk ohne Autor» hat eine gewisse Busenfixierung, selbst wenn die Sexzszenen des Films nicht dem reinen Selbstzweck dienen, sondern in ihrer Ausgestaltung durchaus Aussagekraft besitzen. Der weiblichen Hauptdarstellerin Paula Beer («Bad Banks») hätte von Donnersmarck zwar durchaus etwas mehr Material zur Entfaltung geben können, trotzdem ist die von Beer verkörperte, muntere Schneiderin Ellie kein bloßes, schmückendes Beiwerk. Als gewitzte Figur, die sich in hoch dramatischen Verwicklungen befindet und dennoch bemüht, ihre Selbstachtung zu bewahren, verlangt Ellie nicht allzu viel von Beer ab, doch die Schauspielerin holt das Beste aus dem Material heraus.

Noch beeindruckender ist aber, was Oliver Masucci («Er ist wieder da») in seinen wenigen Szenen leistet: Als an Joseph Beuys angelehnter, enigmatischer Künstler und eigenwilliger Kunstprofessor reißt Masucci jede seiner Szenen an sich. Sein Monolog darüber, wo Kunst herrührt, ist ein regelrechter Gänsehautmoment – nicht zuletzt deshalb, weil ihm jeglicher didaktischer Beiklang abgeht und umso mehr Sensibilität aus ihm spricht.

Selbst wenn Masuccis Rolle an Beuys angelehnt ist, der gemeinsam mit anderen "jungen Wilden" der deutschen Nachkriegskunstszene in «Werk ohne Autor» ein Denkmal gesetzt bekommt, ist die Bildsprache dieses Dramas eher klassischer Natur: Kameramann Caleb Deschanel («Der Patriot») fängt das Geschehen in impressionistisch-sanften Bilderreigen ein. Die einzelnen Schauplätze werden von wenigen Farbtönen dominiert, und die Kamera fährt gern sachte, nah an die handelnden Figuren heran. Patricia Rommels effektive Schnittarbeit lenkt keinerlei Aufmerksamkeit auf sich, während Silke Buhrs detailreichen, zeithistorisch akkuraten, doch dezent überspitzten Sets leise Bände sprechen. Untermalt wird all dies von kühl instrumentierter, bewegender Musik des Komponisten Max Richter, der in «Werk ohne Autor» vor allem zu Hochform aufläuft, wenn stille Tragik oder gedämpfte Freude ausgedrückt werden wollen.

Florian Henckel von Donnersmarck hat mit all dem einen sehr emotionalen, und dennoch unaufgeregten Film erschaffen: Intensität durch besonnene Beharrlichkeit, statt durch Auffälligkeit, das scheint das Motto zu sein. Als Zeitkapsel drei Jahrzehnte deutsch-deutscher Befindlichkeiten und semi-fiktionale Biografie eines durch hiesigen Vergehen, Einstellungen und Entwicklungen beeinflussten Lebens ist «Werk ohne Autor» berührendes, großes Kino. Darüber hinaus ist dieses epochale Drama eine grüblerische Verneigung über die Macht der Kunst – sowie eine ausführliche Mahnung, woran sich gesellschaftliche Ignoranz und noch gefährlichere Mechanismen ablesen ließen, würde man nur hinschauen.

Fazit: Großes, emotionales Kino mit grüblerischem Hintersinn: «Werk ohne Autor» erzählt in starken Bildern von der Kraft der Kunst und von drei bewegten, deutschen Jahrzehnten.

«Werk ohne Autor» ist ab dem 3. Oktober 2018 in vielen deutschen Kinos zu sehen.
02.10.2018 12:00 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/104168