Popcorn und Rollenwechsel: 'Fooled Around and Fell in Love'/'I Want You Back'

James Gunn wurde von «Guardians of the Galaxy Vol. 3» gefeuert. Und das ist deutlich dramatischer als eine simple Regiepersonalie mutmaßen lässt.

Lasst mich euch in ein Paralleluniversum entführen: Komiker Oliver Polak arbeitete dort bis vor wenigen Tagen an der Fortsetzung seines erfolgreichen Kinderbuches. Doch dann haben Anhänger der AfD alte Witze Polaks ausgegraben und aus dem Kontext gerissen, um einen Sturm der Entrüstung gegen den früheren Schockkomiker auszulösen. Erschreckenderweise ist dieser Plan aufgegangen: Zunächst spielten sich weitere rechte und ultrakonservative Menschen als Moralwächter auf und verurteilten Polak für die extrem harten, bitterbösen Gags, die ihn erst bekannt gemacht haben.

Dann sprangen Liberale, die den Ursprung der Hasskampagne nicht mitbekommen haben, auf den Zug auf und warfen Polak vor, die Welt mit seinen bösen, schädlichen Aussagen zu verpesten. Daher hätte er nichts bei einem Kinderbuch zu suchen. Der Verlag hinter Polaks Buch reagierte kurz und bündig: Polak sei nicht tragbar. Daher werde man nicht weiter mit ihm zusammenarbeiten.

Unvorstellbarer Schwachsinn? In Deutschland? Vielleicht. Noch. Aber wer weiß, ob wir noch lange vor solch einer grauenhaften Entwicklung sicher sind. Denn in den USA ist so etwas kürzlich passiert. Die Walt Disney Company entließ Autor und Regisseur James Gunn, den Macher hinter «Guardians of the Galaxy» und «Guardians of the Galaxy Vol. 2», von seinen Pflichten für den dritten Teil der Weltallsaga über einen sprechenden Waschbären und seine Gefolgschaft. Denn Gunn hätte in der Vergangenheit "untragbare Statements" bei Twitter getätigt.

Ja. Sorry, Disney. Das ist Unfug. Gunn hat keine "Statements" getätigt. Eine Roseanne Barr, die wiederholt Nichtweiße beleidigte und die ihre mediale Macht nutzt, eine Verschwörung zu verbreiten, laut der Hillary Clinton in einen Prostitutionsring verwickelt ist … Die tätigt untragbare Aussagen. Dennoch bekam sie von Disneys TV-Sender ABC eine Sitcom spendiert. Und es brauchte erst eine gepfefferte, rassistische Beleidigung, die an Barack Obamas Beraterin Valerie Jarrett gerichtet war, um die Produktion wieder abzusägen.

James Gunn hat keine "Statements" getätigt. Er hat Witze gemacht. Ja. Er hat extrem böse, schockierende, Tabus brechende Witze gemacht. Er scherzte über Vergewaltigungen und Pädophilie. Doch jeder noch so böse, noch so geschmacklose, noch so schlechte Witz ist zunächst einmal ein Witz, während Aussagen wie die von Roseanne Barr schon an ihrer Oberfläche klar einzuordnen sind. Bei Gags geht es darum, hinter diese Oberfläche zu schauen: Witze transportieren nahezu immer Botschaften, und daher gilt es, auf die Haltung hinter dem Witz zu achten. Doch genau da liegt der gewaltige Unterschied zwischen Roseanne Barr und James Gunn. Wenn Roseanne eine afro-amerikanische Politikerin als hasserfüllten muslimischen Affen bezeichnet, ist das ein Statement. Eines, das sie tätigte, während sie von Disney beschäftigt wurde. Ein triftiger Kündigungsgrund. Punkt.

Seine kritisch beäugten Witze machte James Gunn lange, bevor er von Disney angeheuert wurde. Er machte diese Witze, als er noch als Schockregisseur und Schockautor bekannt war. Als einer der Köpfe hinter der Edeltrash-«Romeo und Julia»-Variante «Tromeo & Julia» voller Sex und Gewalt. Als der Kopf hinter der brutalen, versauten Superheldendemontage «Super» und der spaßig-widerlichen B-Movie-Hommage «Slither». James Gunn stand für Tabubrüche und das Austesten, wo die Grenzen des guten Geschmacks liegen. Und dennoch war schon zu jener Zeit Gunns Haltung offensichtlich: Nur, weil er Filme über schlimme Dinge dreht und über grauenvolle Taten scherzt, heißt es nicht, dass er sie befürwortet. Seine Filme schlagen sich klar auf die Seite von Opfern und Ausgegrenzten. Und auch seine Kinderschändungs- und Vergewaltigungswitze haben keinen glorifizierenden Funken in ihrem schriftlichen Leibe – sie schockieren, sind aber uneigentlich und der Gag soll sich unter anderem daraus ziehen, wie absurd es ist, dass jemand etwas Ungeheuerliches gut finden könnte.

So scherzte Gunn, dass der Film «The Expendables» so männlich sei, dass er den kleinen Jungen neben ihn vergewaltigen wollte, der im Kino neben ihm saß. Ein fieser Witz? Keine Frage. Einer, der aussagt: "Boah, ja, das sollten wir alle machen?" Keineswegs. Es ist eher eine sehr derbe Persiflage auf das Männerbild enorm markiger Filme, laut denen Männer stets gewaltbereit und sexgierig sein sollten. Kann man das filigraner ausdrücken? Bestimmt. Trotzdem, und es ist erschreckend, dass man das heutzutage explizit erklären muss: Ein Witz über Kinderschändung oder Vergewaltigung ist nicht automatisch gleichbedeutend mit der Verherrlichung dieser Taten. So, wie nicht jeder Horrorfilm gewaltverherrlichend ist. Die Haltung des Witzes, abseits seiner Derbheit, oder des Horrorfilms ist entscheidend. Nicht sein Thema.

Gemeinhin gilt: Einige von Gunns Witzen waren schlicht nicht lustig. Was in einem Stand-up oder einem Film funktioniert, muss nicht auf Twitter funktionieren. Manche Gags gingen brutal schief und drücken die Distanz zwischen der Person Gunn und der gespielten Persona nur schwammig aus. Und selbst wenn rabulistischer Humor eine Funktion hat, lässt sich selbstredend darüber diskutieren, ob es sinnvoll ist, so böse Witze in einem öffentlichen Forum ohne narrativen Kontext zu tätigen. Womöglich haben wir es zudem mit kulturellen Unterschieden zu tun: Denn einige von Gunns Witzen würden hierzulande auch Oliver Polak und Serdar Somuncu in ähnlicher Weise äußern – aber Polaks und Somuncus Karrieren würden in den politisch aufgekratzten USA aktuell gewiss in Flammen aufgehen. Dennoch ist keiner von Gunns Tweets ein boshaftes, an eine Person oder Personengruppe gerichtetes "Statement". Sie sind schlicht eine sehr, sehr, sehr spezifische Form von Entertainment. Wie auch vierstündige Unboxing-YouTube-Videos, «The Human Centipede», Achtfachdoppelloopingachterbahnen oder «Verdachtsfälle».

Aber: All diese Tweets fügten sich in Gunns damalige Marke und sollten im Kontext eines hochironischen, tabulosen Schockfilmers verstanden werden, der seinen Fans noch mehr von seiner Marke liefern möchte. Und wem diese Marke nicht passt: Gunn wuchs aus diesem Stil heraus. Er entschuldigte sich bereits vor sechs Jahren für seinen früheren Humor, distanzierte sich vom Versuch, derbe Gags für den reinen Schockfaktor nutzen zu wollen und beteuerte, eine sanftere Person geworden zu sein. Seither fuhr er öffentlich durch die Bank weg eine Marvel-taugliche Linie. Aussagen, die auch Gunns Bruder Sean bei Twitter unterstreicht: James Gunn hätte einst Angst gehabt, durch die Marvel-Filme soft zu werden. Nun sei er ein mitfühlender, in sich ruhender Mann geworden und stolz darauf.







Ein noch deutlicheres Signal ist, dass unter anderem Selma Blair dem Nicht-mehr-Marvel-Regisseur den Rücken stärkt: Die #MeToo-Aktivistin, die unter jahrelanger sexueller Belästigung litt, rief Disney via Twitter dazu auf, Gunn wieder einzustellen. Will Disney sich beim Versuch, politisch korrekt zu handeln, wirklich lieber von rechten Internettrollen täuschen lassen und sich gegen den Rat von jemandem wie Blair stellen?

Ja, richtig gelesen. Generell ist es ein fragliches Signal, wenn Leuten aus ihrem bitteren Humor, aus dem sie obendrein herausgewachsen sind, ein Strick gedreht wird. Was aber noch deutlich schlimmer ist: Disneys Entschluss, auf eine von ultrarechten Webtrollen losgetretene Empörungswelle zu reagieren, indem der Konzern diesen Menschen gibt, was sie wollen. Selbst der Trump-freundliche 'Nachrichtensender' Fox News erkannte die Gunns Kündigung fordernde Welle an Tweets als kontrollierte Kampagne von Trump-Anhängern, die einen lautstarken Trump-Kritiker sabotieren wollten. Nun, da sie ihr Ziel erreicht haben, werden sie wohl kaum Ruhe geben.

Schmierkampagnen gegen Patton Oswalt und Michael Ian Black sind bereits gestartet und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Aktivisten darauf konzentrieren, Rian Johnson anzugehen, der seit «Star Wars – Die letzten Jedi» so etwas wie der erklärte Endgegner ist.

Disney hat einen brandgefährlichen Präzedenzfall gesetzt, der Anhängern des amtierenden US-Präsidenten, Rassisten und Dauerwütenden durch das Organisieren digitaler Mobs Einfluss darauf gibt, wer in Hollywood welche Filme verantworten darf. Die Folgen, die das auf Hollywood hat, sind schon problematisch genug: Wenn die Akte Gunn Schule macht, werden nur noch nach außen hin apolitische Personen große Produktionen leiten. Und Befürworter der Linie, die der Internetmob gutheißt. Das hat massive Implikationen für die Meinungsfreiheit in den USA: Wer gegen wütend daher polternde Politiker ist, wird demontiert, was im Gegenzug den Hasspolitikern den Rücken stärkt. Sowas gilt zu vermeiden. Sowas darf sich nicht verbreiten. Man stelle sich ein Mediendeutschland vor, indem sich alle Stars entweder über Politik ausschweigen oder für die Gaulands und Seehofers dieses Landes die Werbetrommel rühren. Na, gute Nacht auch!

So. Und wo bleibt nun bitte Oliver Polaks Kinderbuch?
24.07.2018 14:43 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/102506