«Armes Deutschland»-Produzentin Fahrenkrog-Petersen: „Sozialschmarotzer haben kein Problem vor die Kamera zu gehen“

Am 7. Juli 1998 wurde Good-Times gegründet: Nicht nur das ist ein Grund zum Feiern. Jüngst erreichte «Armes Deutschland» neue Quotenrekorde für das 20 Jahre alt werdende Produktionshaus und Sender RTL II. Wir gratulieren der Geschäftsführerin Sylvia Fahrenkrog-Petersen und sprechen auch über deren neue «Trödeltrupp»-Konkurrenz...

Zur Person: Sylvia Fahrenkrog-Petersen

Ob «Mein Lokal, Dein Lokal», «Dinner Party» oder «Armes Deutschland» - Seit 1998 ist Sylvia Fahrenkrog-Petersen die Geschäftsführerin und leitende Produzentin bei der Good Times Fernsehproduktions-GmbH. Nach dem Kommunikations-Studium an der Hochschule der Künste in Berlin arbeitete die heutige «Trödeltrupp»-Macherin zunächst bei «Ilona Christen» und «Fliege» (1993 – 1997) sowie bei «Schreinemakers Live» (1994-1996 in Sat.1). Später war die Good-Times-Gründerin mehrere Jahre RTL-Redaktionsleiterin von «Mein Morgen» sowie Casting Executive bei RTL und ProSieben. Im Jahr 2000 wurde der Firmensitz von Berlin in die TV-Metropole Köln verlegt, wo die Produktionsfirma zuletzt neue Räumlichkeiten unweit der «MMC»-TV-Studios bezog.
Sylvia Fahrenkrog-Petersen, Glückwunsch zum 20-jährigen Jubiläum…
Ich finde es Wahnsinn! Wenn man bedenkt: Wir haben ganz klein mit zwei, drei Leuten im Büro angefangen. Dann wird es immer größer. Jetzt haben wir über 150 Mitarbeiter! Ist für mich selber immer wieder erstaunlich. (lacht)

Wie hat sich der TV-Markt in den letzten zwei Jahrzehnten verändert?
Der TV-Markt hat sich extrem verändert! Früher gab es viele Sachen, die ganz neu waren. Mittlerweile ist es schwer, neue Themen zu erzählen: Du erzählst eigentlich immer die gleichen Themen – nur anders. Als ich angefangen habe, gab es noch nichts. Ich komme aus dem klassischen TV-Bereich mit Talks wie «Ilona Christen» und «Schreinemakers». Der Daily-Talk ist weggestorben. Dann kamen die Gerichtsshows, jetzt Scripted-Reality - was im Moment deutlich nachlässt. Es wird immer schwieriger, wirklich neue Themen zu finden.

Sükrü Pehlivan wird als einer der «Trödeltrupp»-Gesichter beim neuen RTL-Daytime-Format «Die Superhändler» anheuern – wie bewerten Sie diese neue Trödelshow-Konkurrenz?
Wir machen den «Trödeltrupp» seit zehn Jahren. Da kann man nicht sauer sein, wenn einer mal jemanden verlässt. Wir produzieren das Format auch weiterhin. Es ist momentan nicht geplant, dass wir das bei RTL II als Daily machen. Wir waren ja schon mehrfach daily, aber der letzte Versuch hat nicht richtig funktioniert. Auch in der Primetime ist der Trödeltrupp momentan nicht geplant. Das hat unterschiedliche Gründe: Es ist ein altes Format und wurde sehr häufig wiederholt! Diese ganzen Coaching-Formate sind irgendwann durch. Was soll man zu dem neuen Format sagen? Ich wünsche denen viel Erfolg! Wir wissen alle, dass es extrem schwierig ist, ein neues Daily-Format erfolgreich zu etablieren. Das ist ein bisschen wie Lotto spielen ist.

Sükrü ist immer noch Teil des «Trödeltrupps». Wir produzieren natürlich nicht mehr so viel wie früher. Wir haben über 700 Folgen gemacht, RTL II hat noch einige Folgen fertig produziert liegen, die noch nicht ausgestrahlt sind.
Sylvia Fahrenkrog-Petersen, Chefin der Produktionsfirma Good Times
Bleibt Sükrü also Teil des «Trödeltrupps»?
Sükrü ist immer noch Teil des «Trödeltrupps». Wir produzieren natürlich nicht mehr so viel wie früher. Wir haben über 700 Folgen gemacht, RTL II hat noch einige Folgen fertig produziert liegen, die noch nicht ausgestrahlt sind. Über Jahre wird er also noch Teil des «Trödeltrupps» sein.

Überrascht Sie der Daytime-Erfolg der Trödelshow-Kollegen bei «Bares für Rares»?
Das überrascht mich nicht. Ich habe ja selber immer an Trödel geglaubt! Wenn ich mir die Quoten von «Bares für Rares» anschaue, finde ich das für das ZDF grandios. Ich bin gespannt, wie das neue Sükrü-Format bei RTL performt. Denn selbst, wenn es die identischen Quoten wie «Bares für Rares» holt, sind das in der jungen Zielgruppe meist unter zehn Prozent – für RTL-Maßstäbe wäre das dann meines Erachtens zu wenig!

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Was ist aus dem innovativen Talk «Ovo» geworden? Und wie erklärt sich die Produzentin den Mega-Erfolg der Sozial-Dokus?


Zuletzt gab es immer mehr Fusionen auf dem TV-Produzentenmarkt – war das für Sie als geschäftsführende Inhaberin bei Good Times nie Thema?
Sicherlich gab es Überlegungen, hat aber bisher nie gepasst. Wir stehen für eine bestimmte Art von Fernsehen. Dafür werde ich von den Auftraggebern und Sendern geschätzt. Der Markt war für mich früher härter als jetzt. Ich war früher eine Drei-Mann-Klitsche. Da hat mir niemand zugetraut, einen größeren Auftrag zu machen! Ich kenne heute die ganzen Senderchefs. Manche stehen besser zu uns, andere weniger. Mittlerweile stellt aber keiner in Frage, ob wir das können. Früher hätte mir niemand eine Daily gegeben! Jetzt ist das kein Problem mehr.

Wie beschreiben Sie die Handschrift von Good Times?
Die Handschrift von Good Times sind Produktionen, die nah am Menschen sind. Wir sind dafür bekannt, dass wir gute Protagonisten finden. Das sind sehr spezielle Leute. Wir kommen sehr nah an Menschen dran, die man im normalen Leben vielleicht nicht begegnen würde. Davon lebt zum Beispiel auch «Mein Lokal, Dein Lokal», wo wir am Vorabend mit «Der Profi kommt» zuletzt auch neue Wege gegangen sind.

Was macht eigentlich das „TV-Beichtstuhl“-Format «Ovo» von der Vorjahres MIPTV?
Sat.1 hatte Interesse an neuen Talk-Formaten wie diesem. Aber letztlich haben sie es doch nicht gemacht. Ich finde es schade, hätte es witzig gefunden. «Ovo» ist ein Ei, das ähnlich wie ein Beichtstuhl ist: Die Leute können da reinkommen und erzählen ihre Geschichte. Eine Person, die der Mensch nicht sieht, stellt Fragen und versucht, dass die Leute ihre ganz persönlichen Geschichten erzählen. Wir haben die Lizenz gekauft, weil wir das Format spannend finden.

Spannend sind auch die Quoten-Rekorde der Sozial-Dokus wie «Armes Deutschland» – Wie sehr hilft Ihnen dabei die aktuelle gesellschaftliche Debatte rund um Hartz IV?
Sehr! Das Format ist deshalb so erfolgreich, weil die Thematik Hartz IV im Moment in aller Munde ist. Das ist ein ganz großes gesellschaftliches Thema! In Deutschland haben unheimlich viele Leute Angst vor dem Absturz, vor Arbeitslosigkeit, vor Altersarmut und vor Pflegebedürftigkeit. Diese Themen sind allgegenwärtig in Deutschland und deshalb erzeugt dieses Format so großes Interesse.

Wie beurteilen Sie nach all den Dreharbeiten das viel diskutierte Zitat von Jens Spahn? Bedeutet Hartz IV Armut?
Ich würde sagen: Manchmal. Es ist nicht immer Armut. Hartz IV ist oft Armut, aber Hartz IV ist manchmal auch Faulheit.

Bei «Armes Deutschland» geben Arbeitslose teils ungeniert zu, dass sie eigentlich keinen Job wollen oder berichten sogar über Schwarzarbeit. Inwieweit warnt man Protagonisten vor möglichen Konsequenzen im Zuge der Ausstrahlung?
Bisher hatten unsere Protagonisten wenig negative Konsequenzen. Den Anspruch auf Harz IV hat ja jeder. Wir haben 17 Folgen produziert: Nur einer unserer Protagonisten hatte nach der Ausstrahlung etwas Probleme! Wir haben immer einen engen Kontakt zu den Leuten – auch nach den Dreharbeiten. Wir klären sie auch darüber auf, womit sie im Extremfall rechnen müssen. Und trotzdem bleiben viele Leute dabei, denen solche Aussagen egal sind, sie wollen einfach ihre Meinung loswerden.

Am Anfang haben wir noch gedacht: Du findest niemanden, der das alles so offen sagt. Dem ist aber nicht so, es gibt viele Menschen, die ganz offen ihre Meinung sagen.
Sylvia Fahrenkrog-Petersen, Chefin der Produktionsfirma Good Times
Die O-Töne bei «Armes Deutschland» polarisieren – sind aber alle echt?
Wir verbürgen uns dafür, dass alle O-Töne echt sind. Wir drängen die auch nicht in eine bestimmte Richtung. Viele sagen: Ihr guckt doch immer, dass die genau diese O-Töne sagen – das stimmt einfach nicht! Wir machen nichts gescriptet! Es haben sich während der Dreharbeiten auch Protagonisten gewandelt, wo man zuerst dachte: Das sind die Guten, nachher waren es aber nicht die Guten. Wir begleiten die Menschen einfach. Keiner unserer Protagonisten bekommt ein nennenswertes Honorar, um nicht den Anschein zu erwecken, wir würden uns diese O-Töne kaufen. Wir recherchieren unsere Protagonisten genau, da für einige die Teilnahme an der Sendung ein gewisser „Fame“ bedeutet.

Es bewerben sich viele bei uns und sagen dann genau die O-Töne, die wir hören wollen. Aber wenn wir die Leute genauer recherchieren, merken wir, dass das gefakt ist - das machen wir dann nicht! «Armes Deutschland» war als ganz kleines Vier-Folgen-Format angelegt und sollte irgendwann nett versendet werden. Dass das so ein Erfolg ist und wir damit sogar RTL schlagen, hätte keiner geglaubt! Wir machen jetzt auch verschiede Spin-Offs. Am Anfang haben wir noch gedacht: Du findest niemanden, der das alles so offen sagt. Dem ist aber nicht so, es gibt viele Menschen, die ganz offen ihre Meinung sagen. Wir haben eher Probleme Menschen zu finden, die wirklich arm sind und verzweifelt versuchen, sich mit Minijobs über Wasser zu halten. Die sind einfach zu bescheiden und schämen sich für ihre Armut!

Wie erklären Sie sich das? Ist es Scham?
Ja. Erstens sind die – logischerweise - immer am Arbeiten und zweitens ist denen das unangenehm. Armut ist für die eine Schande. Sozialschmarotzer haben kein Problem vor die Kamera zu gehen.


Mit «Dinner Party» bespielen Sie einen Drittsendelizenz-Slot – Ist man da in der Themenauswahl mutiger, da weniger auf Formatvorgaben und Quotendruck geachtet werden muss?
Natürlich! Du kannst alles machen, was Dich interessiert und kannst Sachen ausprobieren. Wir haben da mal Überraschungsgäste eingeladen, dann haben wir Sportthemen ausprobiert, dann mal ernste, mal lustigere Themen. Jetzt wollen wir mal mit Moderatoren rotieren. Diese Möglichkeiten hast Du als normaler Produzent nie, weil man alles vorher mit dem Sender abstimmen muss. Wir müssen da ja nichts abstimmen.

Zum Abschluss: Was haben Sie sich für die nächsten Jahre bei Good Times vorgenommen?
Wir haben noch viel vor! Ich würde gerne mal eine Show machen, das finde ich spannend. Oder auch eine internationale Dokumentation. Das sind alles Wunschträume. Aber wenn ich mir vor 20 Jahren vorgestellt hätte, was ich jetzt alles mache… Ich weiß nicht, ob man es dann nicht doch schaffen kann. (lacht)

Danke für das Gespräch!
07.07.2018 13:49 Uhr  •  Benjamin Horbelt Kurz-URL: qmde.de/102062