Die WM im Zweiten: Kramer begeistert, Neumann spaltet, Spätabend-Programm verwirrt

Das zweite Endspiel der deutschen Mannschaft läuft am Mittwoch im Zweiten - höchste Zeit also, sich dem bislang sowohl aus Quotensicht als auch inhaltlich stärkeren der beiden WM-Sender zu widmen. Vor allem die Experten und Moderatoren des ZDFs überzeugen nahezu ausnahmslos, über die einzige nennenswert in Erscheinung tretende Frau wird hingegen emotionalst diskutiert.

iTunes-Trends der WM-Songs (Auswahl)

  • Fanta 4 feat. Clueso - Zusammen (ARD): Platz 1
  • Nicky Jam - Live It Up (FIFA): Platz 13
  • Sir Rosevelt - The Bravest (ZDF): Platz 38
  • Jason Derulo - Colors (Coca Cola): Platz 44)
Stand: Dienstag, später Abend gegen 23 Uhr.
Vier Tage ist es erst her, dass wir auf die Performance des Ersten Deutschen Fernsehens im Rahmen ihrer WM-Übertragungen geblickt haben. Seither ist viel passiert: Die ersten Achtelfinalisten stehen schon fest, die deutsche Nationalmannschaft kann nach ihrem Last-Minute-Sieg gegen Schweden in wenigen Stunden selbiges Ticket ebenfalls aus eigener Kraft lösen - gegen die bislang glücklosen Südkoreaner langt ein Zwei-Tore-Abstand, um die Auftakt-Schmach gegen Mexiko endgültig vergessen zu machen. Und auch Das Erste Deutsche Fernsehen ist inzwischen im Turnier angekommen, wie die aktuellen Monatsdurchschnittswerte zeigen: Mit 16,5 gegenüber 14,7 Prozent liegt das ZDF zwar beim Gesamtpublikum noch immer deutlich in Front, bei den 14- bis 49-Jährigen allerdings führt aktuell mit 12,1 gegenüber 11,7 Prozent Das Erste sogar ganz knapp - was sich am Donnerstag aber schon wieder geändert haben kann, wenn die Werte des letzten deutschen Gruppenspiels vorliegen.

In einer Beziehung kann das ZDF den öffentlich-rechtlichen Kollegen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht das Wasser reichen: Der für die WM genutzte Song "The Bravest" von Sir Rosevelt kommt zwar stimmgewaltig und pathosgeschwängert daher, Das Erste dagegen hat mit "Zusammen" von den Fantastischen Vier und Clueso einen Titel in petto, der das Potenzial besitzt, DIE deutsche WM-Hymne überhaupt zu werden - was sich übrigens auch in den aktuellen iTunes-Trends widerspiegelt (siehe Infobox). Davon abgesehen aber muss sich das ZDF im Vergleich mit den Kollegen sicherlich nicht verstecken und erzielt sogar einige sehr deutliche Punktsiege, wie wir im Folgenden darlegen werden.


Die Experten: Bewährtes Personal überzeugt, Kramer TV-Entdeckung der WM


Erst wenige Wochen vor Turnierbeginn hatte der Sender bekanntgegeben, Christoph Kramer als zweiten Haupt-Experten neben Oliver Kahn verpflichten zu wollen. Die Reaktionen auf diese Verpflichtung changierten weitgehend zwischen Ungläubigkeit und einer äußerst zurückhaltenden Erwartungshaltung - kaum jemand traute dem noch jungen Weltmeister von 2014 und aktuellen Profi von Borussia Mönchengladbach zu, sich in seiner neuen Rolle zu einem televisionären Führungsspieler zu entwickeln. Und in der Tat war der Fußballer bislang auch nicht allzu oft mit allzu geistreichen öffentlichen Verbalimpulsen aufgefallen, sondern hatte wenn überhaupt eher Schlagzeilen mit zweifelhaften Einstellungen zum Thema Vertragsbindung im Profifußball auf sich aufmerksam gemacht. Zumeist präsentierte er sich aber eher als netter, verhaltensunfälliger junger Mann, der auf dem Platz immerhin stets vollen Einsatz zeigte.

Und nun, nach knapp zwei Wochen Weltmeisterschaft? Da kennt man plötzlich den Analysten Christoph Kramer, der nicht nur launige Insider-Geschichten zur Nationalelf auf Lager hat, sondern auch in der Spiel- und Taktikanalyse überzeugt und vor allem - und hier scheitert es eben bei zahlreichen (Ex-)Fußballern diese auch wortgewandt und flüssig an die Zuschauer bringen kann. Nun hatte Kramer im Vorfeld sicherlich nicht den Ruf inne, auf ähnlichem intellektuellen Niveau wie etwa ein Großkreutz oder Ailton unterwegs zu sein, aber dass er ohne große Vorerfahrungen in diesem Segment so schnell und so natürlich als Experte "funktionieren" würde, hätte ihm kaum jemand zugetraut. Das kleine Aber: Als aktueller Profi, der sicherlich die Hoffnungen noch nicht komplett begraben hat, künftig auch mal wieder für die Nationalmannschaft auf dem Platz zu stehen, hält er sich mit Kritik nachvollziehbarerweise ein wenig zurück - zumal sicherlich auch sein Verein auf sommerlochfüllende Schlagzeilen betreffs seiner Aussagen gut verzichten kann.

Längst gefunden hat sich derweil Oliver Kahn, der auch im ZDF-Expertenteam die klare Nummer Eins ist und stets bei den wichtigen Spielen des Senders zum Einsatz kommt. Seit 2008 ist der dreimalige Welttorhüter des Jahres inzwischen schon beim Mainzer Sender zu sehen und damit längst ein Vollprofi auf dem Expertensessel. Hatte man ihm als Spieler und anfänglich auch als Experten noch eine leicht unangenehm wirkende Verbissenheit vorgeworfen, strahlt er inzwischen längst eine Lässigkeit aus, dass man fast meinen könnte, das Studio sei sein zweites Wohnzimmer. Aber auch inhaltlich überzeugt Kahn in sämtlichen für einen Experten relevanten Segmenten, harmoniert mit seinem Nebenmann Oliver Welke hervorragend und ist längst zu der bewunderten Eminenz geworden, die er auch auf dem Platz spätestens seit seiner grandiosen WM-Performance 2002 stets war.

Eher in der zweiten Reihe agiert dagegen Holger Stanislawski, wobei der einstige Profi und Fußball-Lehrer diese Rolle bereits von vergangenen Turnieren ganz gut kennt und sich an der Taktiktafel offenbar auch durchaus wohlfühlt. Sein mitunter ein wenig an die Mannschaftsansprachen von Jürgen Klinsmann erinnernder Gestus wirkt häufig ein wenig überkandidelt und unfreiwillig komisch, seine taktischen Analysen können sich allerdings hören lassen - zumindest bei fußballerisch interessierteren Menschen, denn mitunter schweift er in einen Duktus ab, der für Gelegenheitszuschauer schlichtweg eine Nummer zu hoch ist. Das dürfte auch der Hauptgrund dafür sein, dass er im Fernsehen meist nur als Zusatzmaterial fungiert und selten als Haupt-Experte: In der didaktischen Reduktion seines Fachwissens hat er Defizite.

Und wo ist eigentlich Urs Meier hin? Die Präsenz des dienstältesten ZDF-Experten (seit 2005 im Team und seither bei allen großen Fußballturnieren dabei) fällt in diesem Jahr doch erstaunlich überschaubar aus. Ein Stück weit dürfte er Opfer des überraschenden Umstands sein, dass die WM-Schiedsrichter bislang erstaunlich wenige krasse Fehler gemacht haben und auch beim Einsatz des Videobeweises längst nicht so konsistent versagten wie ihre Kollegen aus der Fußball-Bundesliga. Dennoch scheint es, als sei seine große Fernsehzeit allmählich vorbei - zumindest im ZDF.

Lesen Sie auf der nächsten Seite unter anderem, warum Oliver Welke auf absehbare Zeit als Chef vom Moderationsdienst unantastbar sein dürfte, was es noch zu Claudia Neumann zu sagen gibt und was das ZDF in den vergangenen Tagen so alles am Spätabend aufgefahren hat.


Die Moderatoren: Welke bleibt die Gag-Maschine, Breyer egal


Erinnern Sie sich noch an die düsteren Zeiten, als Johannes B. Kerner und Katrin Müller-Hohenstein als Hauptmoderatoren des Senders fungierten? Man kann sie ganz gut verdrängen: Kerner muss sich nach seinem missglückten Sat.1-Abenteuer schon seit Jahren damit begnügen, die eine oder andere Show zu moderieren, Müller-Hohenstein ist zusammen mit ihrem ARD-Pendant Gerhard Delling ins untere Karriere-Mittelfeld abgerutscht und muss sich nun mit gelegentlichen Berichten vom Quartier der Nationalelf begnügen. Und kaum jemand wünscht sich eine Rückkehr der beiden Ex-Moderationsgrößen, da sich Oliver Welke längst an der Spitze festgebissen hat. Neben seinem großen Erfolg im Rahmen der «heute-show» hat er dies in allererster Linie der Interaktion mit Oliver Kahn zu verdanken, die stets unverkrampft daherkam und von einem skurrilen Zusammenspiel zwischen gegenseitiger Wertschätzung und Seitenhieben geprägt war - neben Müller-Hohenstein wirkte der Titan einst eher ein wenig genervt und konnte sie augenscheinlich nie wirklich ernstnehmen.

Und auch bei diesem Turnier präsentiert sich Welke wieder als die treffsichere Humor-Granate, als die ihn seit einigen Jahren die Fernsehnation kennt und schätzt. Als etwa Rene Higuita zu Gast ist, versucht er Kahn dazu zu überreden, für die Zuschauer doch mal bitte dessen legendären "Skorpion" nachzustellen. Die eher etwas lächerlich anmutende Online-Spielerei "Be Bela" versucht er gar nicht erst, auch nur ansatzweise ernsthaft zu präsentieren, sondern kommentiert den Einspieler trocken mit: "Wenn Sie auch glauben, ein großer Kommentator zu sein, nehmen Sie sich doch einfach auf und schicken Sie es den Leuten, die es interessiert!" - bevor er zu Kahn hinüberlugt und ihn fragt, ob da nicht vielleicht dessen "eigentliches großes Talent" liegen könne, das so lange nicht gefördert wurde. Charmanter kann man einen solchen Schnickschnack kaum durch den Kakao ziehen. Bei all den amüsanten Momenten soll allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass sich Welke auch als ernsthafter Fußball-Moderator sehr gut schlägt - in den Momenten, wo es ernsthaft zu bleiben gilt.

Angesichts dessen wird Jochen Breyer wohl noch etwas länger in Welkes Schatten stehen, der auch ein guter Moderator ist, Witz und Lockerheit mitbringt und im Zusammenspiel mit Kramer gut funktioniert. Die Momente, die hängen bleiben, hat aber eben Welke zu bieten - und das höhere Maß an moderativer Souveränität auch. Dass Breyer "nur" die zweite Geige spielt, tritt dann im ZDF auch etwas deutlicher zutage als im Ersten, da die beiden Moderatoren hier meist getrennt agieren und kaum gemeinsam durch eine Sendung führen.


Die Kommentatoren: Rethy und Schmidt bleiben unangefochten, Neumann... eine Frau


Bei den Kommentatoren kann man drei Namen schnell abhaken: Bela Rethy und Oliver Schmidt stehen an der Spitze des senderinternen Rankings, was sich ein weiteres Mal daran zeigt, dass die beiden die im ZDF übertragenen Deutschland-Spiele kommentieren durften (Schmidt) bzw. dürfen (Rethy am Mittwoch). Auch Thomas Wark ist schon seit einigen Jahren dabei und gilt unter Fans nicht unbedingt als der fachlich stärkste Kommentator, ohne jedoch so stark abzufallen, dass man seine in der Häufigkeit eher überschaubaren Einsätze allzu arg problematisieren müsste. Als kleine Entdeckung dieses Turniers gilt unter Experten Martin Schneider, der seit 2016 hin und wieder mal bei Live-Übertragungen eingesetzt wird, sich allerdings noch keine allzu große Popularität aufgebaut hat. Fachlich ist er stark, sprachlich ist er klar, emotional ist er... leider kaum. Und wird deshalb wahrscheinlich auch noch länger eine Randerscheinung bleiben.

Und dann hätten wir da noch Claudia Neumann - und wären bei dem anstrengendsten Nebenkriegsschauplatz dieser Weltmeisterschaft angelangt, hätten Özil und Gündogan mit ihrer Erdogan-Kuschelei nicht schon im Vorfeld bemerkenswert stark vorgelegt. Was definitiv nicht tolerabel ist: Schmähungen, Beleidigungen und misogynes Gequatsche, dazu darf es eigentlich keine zwei Meinungen geben. Auch die Behauptung, Neumann sei fachlich nicht stark genug, um Spiele vor einem Millionenpublikum zu kommentieren, muss hinterfragt werden und sollte vor allem nicht mit Zitate-Dropping argumentativ unterlegt werden, das man in ähnlicher Form auch bei jedem ihrer männlichen Kollegen anführen könnte. Wer mehr als 90 Minuten lang Monologe führen muss, macht auch mal den einen oder anderen inhaltlichen Fehler oder verpasst dem einen oder anderen dänischen Nationalspieler einen neuen Namen.

Was Neumanns Eignung eher hinterfragenswert macht, sind relativ häufige Verhaspler und rhetorische Stilblüten, die ihr gefühlt überdurchschnittlich häufig passieren. Ihr hölzerner Duktus ohne Kreativität und Charme sind dem Hörgenuss der von ihr kommentierten Spiele ebenfalls nicht unbedingt zuträglich. Und auch ihr Timing ist alles andere als perfekt: Über weite Strecken spricht sie eher sachlich bis latent einschläfernd, bricht dann gerne mal an Stellen emotional aus, in denen auf dem Platz kaum etwas geschieht und ist bei wichtigen Szenen wie Toren oder Elfmetern häufig so reaktionslahm, dass sie erst mit einigen Sekunden Verzögerung die Stimme hebt. Das sind einige der Argumente, warum sie sicherlich nicht die technisch und verbal stärkste kommentierende Kraft auf dem deutschen Fernsehmarkt ist - und dürfte künftige Debatten um ihre Person gerne stärker bestimmen als ihr Geschlecht und die Frage, ob das ZDF sie als "Quoten-Frau" beim Fußball engagiert und welcher Social-Media-Furz nun eigentlich am fiesesten müffelt.


Das Drumherum: Schickes Studio, erstaunliche Programmplanung


Kurz und bündig lässt sich das Thema Studio abhaken, das man sich bekanntlich mit den Kollegen des Ersten Deutschen Fernsehens teilt. Im direkten Vergleich hat man daraus doch ein gutes Stück mehr rausgeholt und kreiert Tag für Tag eine angenehm heimelige und tiefenentspannte Atmosphäre. Das liegt zum einen an der wärmeren, helleren Farbgebung, aber auch daran, dass man ein deutlich breiteres Pult nutzt, womit das Studio schlichtweg "ausgefüllter" wirkt. Zudem sitzen die Moderatoren und Experten, was gemeinhin weniger dynamisch, dafür aber eben auch entspannter wirkt - bei einem Duo der Marke Welke und Kahn ist das genau die richtige Entscheidung. Vergleicht man die Optik von ARD und ZDF, kann man sich unterm Strich deutlich besser bei letzterem Sender vorstellen, einen entspannten Fußball-Tag zu verbringen.

Keine klare Linie lässt sich hingegen bezüglich der Programmgestaltung am späten Abend erkennen. Anders als Das Erste («WM Kwartira») verzichtet man auf ein regelmäßiges WM-Format, was zunächst einmal nach einer vertanen Chance klingt, die WM-Euphorie auch auf den späten Abend zu verlagern. Nun ist die von Micky Beisenherz und Jörg Thadeusz präsentierte Sendung aber bislang nicht unbedingt der große Quoten-Gigant gewesen und auf der anderen Seite hat das Zweite auch schon das eine oder andere sehenswerte Format am späten Abend platziert - am ersten Turnier-Sonntag etwa die lehrreiche Doku «Russlands Geheimnisse». Zudem erreichten «Maybrit Illner» und «Markus Lanz» mit ihren Talks in der vergangenen Woche beeindruckende Spitzenwerte.

An manchen Tagen allerdings kann man die Programmplanung hier nur als wirr und uninspiriert bezeichnen: So fällt einem beim besten Willen kein Argument ein, warum am vergangenen Freitag eine Wiederholung von «Professor T.» versendet werden musste. Die Free-TV-Premiere von «Ted 2» war immerhin ein frischer Inhalt, über den sich der eine oder andere Zuschauer auch gefreut haben dürfte - hatte aber weder was mit Fußball zu tun, noch wurde damit ein Bildungs- oder Informationsauftrag erfüllt. Ob dieses Tohuwabohu also der Weisheit allerletzter Schluss war, ist fraglich, wobei man an Tagen mit interessanten Dokus eher zum Nicken und an Tagen, an denen alte Serienfolgen weggesendet werden eher zum Kopfschütteln geneigt ist.

Wie gefallen euch bislang die WM-Übertragungen im ZDF?
Sehr gut, der Sender macht ziemlich viel richtig.
58,5%
In Ordnung. Hier und da hapert es ein wenig, aber das Gesambild stimmt.
31,6%
Geht so, kann man auch deutlich besser machen.
6,4%
Überhaupt nicht, habe da wenig Freude dran.
3,4%
27.06.2018 11:00 Uhr  •  Manuel Nunez Sanchez Kurz-URL: qmde.de/101930