«Isle of Dogs»: Wes Andersons zweiter Ausflug ins Animationsfilmfach

Mit seinem zweiten Stop-Motion-Animationsfilm «Isle of Dogs - Ataris Reise» durfte Regie-Virtuose Wes Anderson in diesem Jahr die Berlinale eröffnen. Im Anbetracht der Leidenschaft hinter diesem einzigartigen Projekt wundert das nicht. Doch ein wenig mangelt es dem Film an Leben.

Filmfacts: «Isle of Dogs»

  • Start: 10. Mai 2018
  • Genre: Animationsfilm/Tragikomödie
  • Laufzeit: 101 Min.
  • FSK: 6
  • Kamera: Tristan Oliver
  • Musik: Alexandre Desplat
  • Buch und Regie: Wes Anderson
  • Originalsprecher: Bryan Cranston, Bill Murray, Edward Norton, Jeff Goldblum, Greta Gerwig, Francis McDormand, Harvey Keitel, Liev Schreiber, Tilda Swinton, Scarlett Johansson
  • OT: Familiye (DE 2017)
Seit vielen Jahren gilt Wes Anderson unter Cineasten als einer der angesehensten Regisseure der Moderne. Zweifelsohne ist er einer der kreativsten. Das stellt er seit nunmehr 22 Jahren (1996 gab er mit «Durchgeknallt» sein Debüt) mit jedem neuen Film unter Beweis. Auf sein Konto gehen moderne Klassiker wie «The Royal Tenenbaums», «Darjeeling Limited» und «Grand Budapest Hotel». Mit letzterem hat er vor drei Jahren endlich auch abseits der Programmkinos für Aufsehen gesorgt – es ist sein bislang erfolgreichster Film, auch wenn man darüber streiten mag, ob es gleichermaßen sein bester ist. Nach seinem ersten Animationsfilm «Der fantastische Mister Fox» begibt er sich für seinen neuesten Streich «Isle of Dogs – Ataris Reise» ein weiteres Mal in die Gefilde der von Hand zum Leben erweckten (Tier-)Figuren – und in die Ferne! In seiner Geschichte dreht sich alles um eine Gruppe von der Gesellschaft ausgestoßener Hunde und ihre Mission, einem Menschenkind bei der Suche nach einem verlorenen Streuner zu helfen.

Auch diesmal hat es sich der stark visuell arbeitende Symmetriefanatiker nicht gerade einfach gemacht, denn die wichtigste Kulisse von «Isle of Dogs» ist ausgerechnet eine Mülldeponie, die ein wenig an den zugemüllten Planeten aus «Wall-e» erinnert. Hier den Goldenen Schnitt zu wahren, oder auf eine gleichmäßige Verteilung optischer Proportionen zu achten, bedarf eines Höchstmaßes an Konzentration, doch es ist eine Herausforderung, ganz im Sinne Wes Andersons. Und sie funktioniert – zumindest aus technischer Sicht – tadellos: Sein neuester Film ist einmal mehr ein Sammelsurium voller kreativer Ideen und einer atemberaubenden Detailverliebtheit. Doch hinter dem Ausstattungsrausch muss die Interaktion der Figuren zurückstecken.

Eine Mülldeponie als Hundedomizil


Atari (im Original gesprochen von Koyu Rankin) ist der 12-jährige Pflegesohn des korrupten Bürgermeisters Kobayashi. Als die Hundepopulation explodiert und sich eine gefährliche Seuche ausbreitet, ergeht der Regierungserlass, alle Hunde der japanischen Stadt Megasaki City auf eine riesige Mülldeponie zu verbannen. Als Atari seinen Bodyguard-Hund Spots (Liev Schreiber) vermisst, macht er sich allein in einem Miniatur-Junior-Turboprop auf den Weg und fliegt nach Trash Island, in der Hoffnung, ihn dort wiederzufinden. Auf der Insel angekommen, freundet er sich mit einem Rudel Mischlingshunde an: Boss (Bill Murray), Chief (Bryan Cranston), Duke (Jeff Goldblum), King (Bob Balaban) und Rex (Edward Norton) wollen ihm helfen und gemeinsam brechen sie auf zu einer epischen Reise, die das Schicksal und die Zukunft der ganzen Präfektur entscheiden wird.

Für die Konzeption und anschließende Fertigstellung von «Isle of Dogs» brauchten die Macher knapp zwei Jahre. Um die Vielzahl an Figuren zum Leben zu erwecken, wurden sowohl haptische Sets gebaut und verwendet, als auch auf Computereffekte zurückgegriffen. Im Film verschmilzt am Ende beides zu einer einzigen, dystopischen Animationswelt, die ein Japan zeigt, wie es sich Wes Anderson, der hier erstmals alleine für das Drehbuch verantwortlich zeichnete, in zwanzig Jahren vorstellt. Dabei nimmt die japanische Kultur optisch einen großen Stellenwert ein, auch wenn die Mülldeponie-Insel Trash Island das Kernstück der Handlung ausmacht. Deren Bestand beschränkt sich vor allem auf eines: Unrat. Von der hübschen, geschweige denn landestypischen Ausstattung keine Spur, doch wann immer erzählerisch in die japanische Metropole Megasaki City – selbstverständlich eine Erfindung – hinübergeschnitten wird, wählt Anderson ein größtmögliches Portfolio an spannenden Schauplätzen.

Zur Wahrung der Authentizität verzichten die Verantwortlichen außerdem auf eine Übersetzung der japanischen Dialoge: Während zu Beginn darauf verwiesen wird, dass „alles Bellen in die englische Sprache übersetzt wurde“ (ergo: hier reden die Hunde ganz selbstverständlich wie Menschen), wird das Japanische nicht einmal untertitelt. Das macht aber nichts: In der Regel ergeben sich die wenigen Sätze aus dem Kontext und umso mehr stehen die Hunde im Mittelpunkt. Dass Anderson jeden einzelnen von ihnen über alles liebt, deutet schon der zweideutig aussprechbare Filmtitel an.

Eine Dynamik wie im Hörspiel


Natürlich geht es in «Isle of Dogs» in Wirklichkeit gar nicht um Hunde. Vielmehr stößt Wes Anderson einen politischen Diskurs an und nutzt die trockenhumorige Interaktion unter den Vierbeinern, um anhand ihrer Situation Parallelen zum aktuellen Weltgeschehen zu ziehen und dieses aus der Sicht der Tiere zu beleuchten. Dass es in «Isle of Dogs» allerdings ausgerechnet eine US-amerikanische Austauschschülerin sein muss, die sich (anstelle der Einheimischen selbst) auf eine weitreichende japanische Verschwörung stürzt und ihren Gastgebern fast im Alleingang erklärt, wie das Problem der Hundeepidemie zu lösen ist, beschwor direkt nach der Weltpremiere auf den Internationalen Filmfestspielen von Berlin heftige Kritik. Stichwort: White-Washing. Doch «Isle of Dogs – Ataris Reise» ist weit entfernt von einem derart fehlgeleiteten Statement oder einer gefälligen Selbstbeweihräucherung der US-Amerikaner. Vielmehr spiegelt besagte Schülerin wider, dass es manchmal ausreicht, Dinge von weiter weg zu betrachten, wenn man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Ganz so, wie es eben auch die Hunde tun, die sich und ihr Umfeld in ihrem Phlegmatismus wesentlich weitreichender analysieren, als es (nicht nur in diesem Film!) die Zweibeiner um sie herum tun.

Doch so sehr man über das herausragend durchgeplante Design auch staunen mag, was zählt ist die Geschichte und vor allem, wie sehr diese mitsamt ihrer Figuren Emotionen auslöst. Und ausgerechnet hier liegt im Falle von «Isle of Dogs» Einiges im Argen. Wes Anderson lässt selbst seine Dialoge minutiös durchchoreographiert aussehen und zwängt seinen Film dadurch in ein starres Korsett aus inszenatorischer Überraschungsarmut. Auf kurze Sätze folgen kurze Pausen, worauf die nächsten kurzen Sätze folgen, eh sich nach einer erneuten Pause etwas Entscheidendes verändert, sich Figuren bewegen oder das Leinwandgeschehen in anderer Form voranschreitet. Der so entstehende Rhythmus erinnert fast an ein Hörspiel, in welchem die Dialoge der Sprecher einzeln aufgenommen und erst im Nachhinein zusammengeschnitten werden. In «Isle of Dogs» fügt sich zwar alles ganz selbstverständlich an den dafür vorgesehenen Platz, doch genau dadurch wirkt in dem Film Vieles unumstößlich. Der Weg zum Ziel ist genau vorgegeben. Für Anarchie oder die Möglichkeit der Improvisation ist kein Platz. Letzteres ist zwar auch dem Genre geschuldet, doch richtig gute Animationsfilme können den Eindruck vermitteln, die am Computer oder durch handwerkliches Geschick entstandenen Figuren hätten Herz und Seele.

In «Isle of Dogs» sind die Zwei- und Vierbeiner lediglich Mittel zum erzählerischen Zweck. Das ist zwar beeindruckend; als Realfilm und mit Menschen umgesetzt, besäße die Geschichte von «Isle of Dogs» wohl kaum einen solchen Wiedererkennungswert. Aber die Liebe, die Wes Anderson bei seinen Hunden an den Tag legt, will trotz starker Leistungen der zum Großteil wiederholt mit Anderson zusammenarbeitenden Schauspiel-Synchronsprecher nicht so wirklich auch auf den Zuschauer überspringen.

Fazit


Wes Andersons «Isle of Dogs – Ataris Reise» ist nicht bloß ein exzellent designter, sondern auch smarter Film. Doch mehr als Staunen lässt sich kaum, denn in den hervorragend animierten Figuren steckt wenig Leben. Am Ende hat man das Gefühl, eher einem Hörspiel gelauscht, als einem aufregenden Abenteuer zugesehen zu haben.

«Isle of Dogs – Ataris Reise» ist ab dem 10. Mai in den deutschen Kinos zu sehen.
09.05.2018 17:45 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/100867