Enissa Amani: 'Frauen wird schneller unterstellt, nur wegen des Aussehens berühmt zu sein'

Stand-Up-Komikerin Enissa Amani spricht mit Quotenmeter.de über ihr neues Netflix-Special, Vorurteile und die Haltung, die sie von Komikern erwartet.

Netflix hat mir völlig freie Hand gelassen, mit einer einzigen Ausnahme: Es hieß, ich solle ein 60-minütiges Bühnenprogramm machen. Alles andere oblag mir.
Enissa Amani
Ich kann mir vorstellen, dass ein Netflix-Special anders geschrieben werden muss als ein Live-Auftritt oder einer in einer wöchentlichen Fernsehshow. Da kann man ja recht aktuelle Witze machen – das Netflix-Special dagegen soll ja im Idealfall etwas länger halten. Zudem liegt die Aufzeichnung Ihres Specials bereits einige Zeit zurück …
Oh, interessante Anmerkung. Aber, um ehrlich zu sein: Darüber habe ich mir zumindest bewusst gar keine Gedanken gemacht! Wenn ich das Special spontan Revue passieren lasse, sind aber tatsächlich keine tagespolitischen Themen drin, also habe ich wohl unterbewusst darauf geachtet. Oder ich hatte immenses Glück, denn das hätte niemand korrigieren können, wäre ich bei der Aufzeichnung zu tagesaktuell an die Sache herangegangen. Ich habe das Programm komplett alleine geschrieben und ich habe das Special selber produziert, zudem habe ich einen Regisseur aus Amerika gewählt, weil ich sein visuelles Können überragend finde. Der spricht jedoch kein Wort Deutsch. Und von Netflix ist da auch niemand drüber gegangen. Die haben mir nämlich immense Freiheiten gegeben, und das wollte ich auch unbedingt ausnutzen.

Also stimmt das, was US-Serienschaffende immer sagen: Netflix mischt sich nicht ein?
Genau. Netflix hat mir völlig freie Hand gelassen, mit einer einzigen Ausnahme: Es hieß, ich solle ein 60-minütiges Bühnenprogramm machen. Alles andere oblag mir. Ich konnte mir selber die Technikcrew aussuchen, worüber ich sehr froh war. Ich habe als Produzentin bestimmen können, wie das Special aussieht, und ich habe mir gezielt vorgenommen, die Ästhetik US-amerikanischer Stand-Up-Specials zu adaptieren, denn ich finde, dass US-amerikanische Specials einfach so viel cooler und besser aussehen als die, die wir hierzulande so machen. Ich saß auch 20 Tage im Schnitt und habe Bild für Bild dran gesessen und habe am Soundediting mitgewirkt – hauptverantwortlich waren bei diesen Sachen natürlich Leute, die da drin ausgebildet sind. Doch mir war es wichtig, daran beteiligt zu sein. Ich habe dabei so viel gelernt und werde in Zukunft sicher an diese Lektionen zurückdenken.

Ich schweife vielleicht ab – was ich sagen will, ist, wie toll ich es finde, dass Netflix mir als junge Künstlerin so großes Vertrauen geschenkt hat. Da unterscheidet sich Netflix vom klassischen Fernsehen, wo durchaus der Gedanke vorherrscht, dass man nur ab einem gewissen Alter Ahnung hat. Zudem ist da die Planung so viel komplizierter. Im Fernsehen gibt es riesige, verzweigte Hierarchien – 150 Menschen reden dir da in deine Sache rein und ihr müsst mühselig gemeinsam Lösungen finden, obwohl am Ende nur du dein Gesicht in die Kamera hältst und mit deinem Namen für die Sache stehst. Netflix hingegen sagte mir: "Ist uns Wurst, wie es am Ende aussieht. Wir wollen dein bestes Produkt. Und wenn dein bestes Produkt bedeutet, dass du 60 Minuten Handstand machst, dann ist das so."

Ich denke, die Antwort auf folgende Frage gerade schon rausgehört zu haben, dennoch hake ich gerne nach … Was genau war der Grund dafür, dass Sie sich gesagt haben: 'Also, wenn Netflix mir völlige Freiheit gibt, dann nutze ich die, um so viel wie möglich in die eigene Hand zu nehmen!'?
Ich hole da mal etwas weiter aus … Ich habe in den vergangenen vier Jahren eine extreme Entwicklung durchgemacht. Sowohl als Künstlerin als auch menschlich. Ich habe diese Zeit gebraucht, um meinen Weg zu finden und mich zu sortieren. Ich war anfangs eine einfache Studentin, die ins kalte Wasser der Medienbranche geworfen wurde. Zum Glück habe ich eine wunderbare Erziehung durch eine tolle, kluge, liebende Familie genossen – dadurch hatte ich von Anfang an ein Rückgrat. Das hat mir, wie ich finde, dabei geholfen, gut auszuwählen, für welche Projekte ich mich hergebe.

Dennoch gibt es einige Sachen, bei denen ich rückblickend denke: Da habe ich mir zu viel reinquatschen lassen. Es gibt Dinge, die ich hätte lassen sollen. Gott sei Dank waren da keine groben Fehler dabei, für die ich mich nun schämen würde. Ich wusste stets die grobe Fahrlinie, die ich einschlagen will, und von der bin ich nie abgewichen. Ich gehe zum Beispiel nicht auf Rote Teppiche. Das war mir von Beginn an klar. Ich bekomme gefühlt für jeden Roten Teppich in Deutschland eine Einladung, aber ich gehe da nie hin, weil ich als Künstlerin ernst genommen werden möchte – also basierend darauf, was ich mache. Ich will keine sein, die kreuz und quer, hier und da und überall auftaucht, obwohl sie mit dem Projekt nichts zu tun hat.

Andere Dinge wusste ich dagegen nicht. Das hat etwas gedauert. Nun, da ich sie gelernt habe, wollte ich die Erfahrungen, die ich jetzt gemacht habe, auch nutzen, um eine Sendung komplett aus eigener Kraft zu stemmen – indem ich dabei komplett auf mein Gefühl vertraue. Darum habe ich keine weiteren Leute ins Boot geholt, die künstlerisch oder inhaltlich groß mitbestimmen. Ich wollte das Ergebnis sehen, wie es ist, wenn ich etwas quasi allein bestimme.

Ich bekomme gefühlt für jeden Roten Teppich in Deutschland eine Einladung, aber ich gehe da nie hin, weil ich als Künstlerin ernst genommen werden möchte
Enissa Amani
Stichwort 'Roter Teppich': Wo rührt Ihre Entscheidung her, nicht auf den Roten Teppich zu gehen? Liegt es daran, dass Frauen latent schneller als Männer so eingeschätzt werden, nur berühmt zu sein, weil sie sich oft auf Veranstaltungen blicken lassen?
Man kann nicht leugnen, dass Frauen in den Medien anders gemessen und gewertet werden als Männer. Uns Frauen wird schneller unterstellt, nur wegen des Aussehens berühmt zu sein, und wer als Frau oft auf den Roten Teppich geht, wird eher dafür verurteilt als es bei männlichen Kollegen der Fall ist. Aber dieses Ungleichgewicht in der öffentlichen Wahrnehmung ist nicht der Grund, weshalb ich für mich beschlossen habe, solche Einladungen nicht anzunehmen. Ich gehe deshalb nicht auf Rote Teppiche, weil ich selber den Anspruch habe, dass man für seine eigenen Leistungen bekannt sein sollte. Ich würde auch vor männlichen Kollegen den Respekt verlieren, wenn sie zu reinen Roter-Teppich-Hüpfern werden und ich das Gefühl dafür verliere, wofür sie überhaupt stehen.

Ich will als jemand, der im Rampenlicht steht, eine klare Linie fahren. Ich nehme manchmal Gastrollen in Filmen an und ich spiele manchmal auch am Theater, aber das liegt daran, dass mir diese Anfragen so sehr schmeicheln und ich mir denke: "Film und Bühne – das ist ja noch verwandt mit der Comedy." Dinge, die vollkommen fern davon sind, mache ich nicht. Ich will keine Fitness-DVD rausbringen oder eine Schmuckkollektion. Davon distanziere ich mich. Das klingt nun vielleicht wertender gegenüber jenen, die sowas machen, als es sollte. Aber ich wurde einfach so erzogen, dass ich froh sein soll, mein Haupttalent gefunden zu haben und dann auch noch so glücklich zu sein, davon Leben zu können. Nun meine Bekanntheit auszunutzen, um mit Dingen Geld zu machen, für die ich nicht die Kompetenz habe, käme mir nicht in den Sinn.

Ich lese sehr gerne Kritiken und Kommentare! Es gibt für mich kaum etwas Schöneres, als mich mit meinem Publikum zu befassen. Ich pflege daher all meine Social-Media-Auftritte selber. Es gibt ja Kollegen, die dafür jemanden anheuern und das als niedere Arbeit ansehen – das kann ich nicht nachvollziehen.
Enissa Amani
Sie meinten vorhin, dass Sie in den vergangenen Jahren einige Dinge erst lernen mussten. Zwischen den Zeilen habe ich rausgehört, dass 'Mir nicht zu viel reinquatschen lassen' dazugehört. Was mussten Sie darüber hinaus in den vergangenen Jahren lernen müssen?
Ich habe im Fahrwasser von «Studio Amani» meinen Umgang mit Kritik verändert. Als die Quoten nach dem sensationellen Start, der mich völlig überwältigt hat, runter gingen, wurden die ja vor allem in Klatschblättern brutal niedergeschrieben. Das haben dann Leute übernommen und gedacht, sie könnten mich damit beleidigen. Und anfangs habe ich mir noch die Mühe gemacht, das alles in Kommentaren in Kontext zu setzen. Aber ich musste irgendwann einsehen, dass ich nicht die Zeit habe, jedem einzeln zu antworten und zu erklären, dass die Quoten gar nicht so übel waren, wie sie manche Medien dargestellt haben. So habe ich auch zu unterscheiden gelernt, dass es Branchenseiten gibt, die einen umfassenderen Blick auf Quoten werfen und sie in Relation sehen, und halt Klatschseiten, die alles Schwarz und Weiß sehen.

Aber auch, wenn ich einsehen musste, dass ich nicht mehr die Zeit habe, auf jede einzelne Kritik zu antworten, gehöre ich noch immer nicht zu denen, die von sich behaupten: "Ich lese keine Kritiken und keine Kommentare!" Und mir sind Leute, die das andauernd betonen, sehr suspekt. Ich finde, dass alle, die etwas sehr stark verneinen, mit dem Verdacht leben müssen, dass sie sehr wohl das sind, was sie abstreiten. "Ich lüge ja nie", ist so ein Satz, den manche Menschen andauernd sagen, wo ich mich frage: "Wenn du nie lügst, wieso musst du dann dauernd erklären, nie zu lügen?" Und dann natürlich das berühmte: "Ich bin ja kein Rassist, aber …"

Um zurück zum Punkt zu kommen … (lacht) Ich lese sehr gerne Kritiken und Kommentare! Es gibt für mich kaum etwas Schöneres, als mich mit meinem Publikum zu befassen. Ich pflege daher all meine Social-Media-Auftritte selber. Es gibt ja Kollegen, die dafür jemanden anheuern und das als niedere Arbeit ansehen – das kann ich nicht nachvollziehen. Sowas ist doch ganz toll! Ich gebe nach meinen Liveshows deshalb auch immer sehr lange Autogrammstunden und unterhalte mich mit den Menschen. Die respektieren mich dafür – dabei mache ich das, um ihnen meinen Respekt dafür zu zollen, dass sie ihr hart erarbeitetes Geld dafür ausgeben, mir einen Abend lang beim Labern zuzuhören. Da kann ich denen ja wohl mal für danken! Es wäre doch herzlos, wenn mich diese Menschen nicht interessieren würden!

Und das gilt auch für die Kritik, die ich erhalte. Denn jede Form der Kritik ist für mich auch eine Form der Anerkennung. Gut, wenn mir jemand nur ein Schimpfwort an den Kopf knallt, vielleicht nicht. Doch sonst: Man nimmt sich doch nicht Zeit, um jemanden zu kritisieren, der einem egal ist, oder? Darum denke ich, dass Kritik es wert ist, dass ich mich damit auseinandersetze. Mein Papa sagte mir immer: "Kritik ist immer etwas, das du nehmen kannst, um daran zu wachsen." Und er hat damit Recht. Wenn 500 Leute etwas sagen, heißt das ja nicht, dass ich mich auf deren Wunsch verbiegen muss. Aber ich kann sicher etwas aus deren Aussagen ziehen, das mich in meiner Arbeit voranbringt.

Kritik ist nicht immer nur Neid! Ich nehme mir immer wieder Zeit, um Kritiken und Kommentare zu lesen, und oft lerne ich was daraus – und ab und zu finde ich da eine Vorlage für einen Gag.
Enissa Amani
Deswegen finde ich es auch immer Schwachsinn, wenn Leute Kritik abtun, mit der Aussage: "Ach, das ist alles nur Neid." Nein, Kritik ist nicht immer nur Neid! Ich nehme mir immer wieder Zeit, um Kritiken und Kommentare zu lesen, und oft lerne ich was daraus – und ab und zu finde ich da eine Vorlage für einen Gag. (lacht) Vor allem gibt mir das Lesen meiner Kommentare die Gelegenheit, in einen Austausch zu kommen und den Leuten auch, so weit es mir möglich ist, Kontext mitzugeben. Wenn Leute mich etwa aufgrund meiner Positionen kritisieren, begründe ich sie, so gut ich kann – ich bin keine Gesellschaftswissenschaftlerin, aber ich verfolge gesellschaftspolitische Themen ja sehr aufmerksam. Und ich teile auch bei Social Media immer wieder Artikel- und Bücherempfehlungen, in der Hoffnung, den Leuten ein bisschen mehr Perspektive mitzugeben. Das ist mir sehr wichtig. Wenn ich tatsächlich ein paar Leute, die meinen Stand-Up kritisieren, weil er zu tolerant ist, durch meine Antworten auf deren Kommentare weiterbilden kann, dann habe ich doch was schönes erreicht … Kurzum: Ich höre und lese gerne Kritik und ich antworte auch gerne darauf. Ich rede generell gerne, wie Sie merken. Daher ist das auch mein Beruf! (lacht)

Ich glaube, wir ticken da ganz ähnlich, wenn Sie sagen, dass Sie, selbst wenn sie "nur" Komikerin sind, ihrem Publikum gerne etwas Perspektive mitgeben wollen. Ich nutze manchmal meine Kolumnen oder Filmkritiken, um neben dem eigentlichen Thema auch ein bisschen Aufklärung zu betreiben. Und ich denke, die Antwort, die ich manchmal für so etwas bekomme, ist Ihnen nicht fremd: "Ich habe hier was ganz anderes erwartet! Wenn du die Welt verbessern willst, dann geh doch in die Politik!"
Ja, das kenne ich. (lacht) Aber solche Reaktionen sind eine absolute Ausnahme. Und ich finde die lächerlich. Es ist doch so, dass wir alle unsere Einflüsse aus allen möglichen Quellen haben. Zitate, die unseren Blick auf die Welt verändern. Das kann etwas aus der Comedy sein, aus einer Filmkritik oder auch vom sympathischen Nachbarn oder vom netten Lieferboten. Wir werden nicht allein von den Einsteins, Hawkings und Rosa Luxemburgs dieser Welt in unseren Perspektiven und Ideologien geprägt. Wir können überall inspiriert werden und Idole finden, die unser Weltbild beeinflussen. Da ist es doch gut, wenn Leute, die etwas vermeintlich 'Banales' machen wie wir, auch bewusst für etwas einstehen.

Ich lese liebend gern Filmkritik, weil sie einem beibringt, sich in andere Blickwinkel hineinzuversetzen. Wenn ich einen Film gesehen habe, ist das erste, was ich mache, nach Kritiken Ausschau zu halten – und ich lese auch gezielt solche, die meiner Meinung zum Film widersprechen, weil ich verstehen will, wie man den Film denn gut beziehungsweise schlecht finden kann, obwohl ich doch mit voller Überzeugung das Gegenteil von ihm halte.
Enissa Amani
Überhaupt lese ich liebend gern Filmkritik, weil sie einem beibringt, sich in andere Blickwinkel hineinzuversetzen. Wenn ich einen Film gesehen habe, ist das erste, was ich mache, nach Kritiken Ausschau zu halten – und ich lese auch gezielt solche, die meiner Meinung zum Film widersprechen, weil ich verstehen will, wie man den Film denn gut beziehungsweise schlecht finden kann, obwohl ich doch mit voller Überzeugung das Gegenteil von ihm halte. So etwas ist toll. Und ich weiß, dass es manchmal albern wirkt, wenn jemand wie ich erst Filmkritik feiert, dann Frieden in Syrien fordert und als nächstes Fotos seiner neuen Gucci-Handtasche hochlädt. Das wirkt ein wenig unkoordiniert, aber darum mache ich auch Witze darüber. Und dennoch ändere ich mich nicht – denn ich bin halt so und stehe dazu.

Denn man darf nicht unterschätzen, welch großen Einfluss wir alle auf unser Umfeld haben – und wenn wir authentisch sind, erreichen wir vielleicht auch den Einen oder Anderen, den rein politische Inhalte nicht ansprechen. Ich zumindest mache mir über so etwas Gedanken. Ich erlaube mir in Social Media zum Beispiel ab und zu etwas, das ich für 'gesunde Protzerei' halte. Wenn ich etwa poste, dass ich mal eben nach L.A. fliege, weil Netflix mich eingeladen hat, hoffe ich, dass durch den Kontext, wer ich bin, die Botschaft rüberkommt: "Egal woher ihr kommt, ihr alle könnt es zu etwas schaffen!" Das ist eine andere Protzerei, als wäre ich von Beruf Erbin und würde andauernd damit prahlen, dass ich das Geld meines Vaters verschwende.

Und so gehe ich auch bei meinen Witzen um. Ich überlege immer, wie ein Gag rüberkommt, basierend darauf, wer ich bin. Wäre ich eine blonde, blauäugige Deutsche, könnte ich einige meiner Witze über Einwanderungspolitik nicht machen. Und dafür muss ich, selbst wenn ich Deutsch-Iranerin bin, aufpassen, wenn ich Witze über "Die Deutschen" mache. Denn ich will, dass alles, was ich sage, im Gesamtkontext richtig rüber kommt. Klar, andere Künstler scheißen darauf. Aber das will ich nicht. Ich mache mir intensiv Gedanken über das, was ich sage, und hoffe, dass sich das bezahlt macht. Das heißt ja nicht, dass ich glattgebügelt bin – in meinem Netflix-Special streue ich bewusst einige Widersprüche ein. Das fängt schon bei der Location an – es ist ein superelegantes Theater … mitten im Rotlichtviertel.

Ich überlege immer, wie ein Gag rüberkommt, basierend darauf, wer ich bin. Wäre ich eine blonde, blauäugige Deutsche, könnte ich einige meiner Witze über Einwanderungspolitik nicht machen. Und dafür muss ich, selbst wenn ich Deutsch-Iranerin bin, aufpassen, wenn ich Witze über "Die Deutschen" mache. Denn ich will, dass alles, was ich sage, im Gesamtkontext richtig rüber kommt.
Enissa Amani
Mir kommt nun ein recht neues Programm von Dave Chapelle in den Sinn, in dem er zu Beginn sagt: "Mein Job ist es, lustig zu sein. Daher muss ich nun manches sagen, das Leute verletzen kann. Lebt damit!"
Die Frage ist immer, wer das macht und in welchem Tonfall. Dave warnt vorab, dass er schnippisch wird, doch das wird er mit einer gewissen ironischen Distanz. Das ist voll okay so. Es gibt auch Standupper, von denen ich nicht so viel halte, deren Grundideologie ist: "Du kannst alles sagen." Ich will da antworten: "Nein, kannst du nicht." Klar, es gibt Satirefreiheit. Ohne wenn und aber. Satire sollte komplett frei sein. Aber es muss halt Satire sein. Wenn ich auf die Bühne gehe und einfach nur sage, dass alle Menschen ohne deutschen Pass abgeschoben werden sollen, ist das zum Beispiel keine Satire. Und auch bei Witzen über Minderheiten gibt es Fälle, wo ich sage: Okay, das ist Teil eines Gesamtauftritts, im großen Kontext ist der Witz satirisch und völlig in Ordnung. Und es gibt Witze, die ich einfach geschmacklos finde – die kann ich solchen Standuppern nicht verbieten. Aber die müssen dann auch damit leben, dass ich entsprechend über sie denke.

Jeder im Comedygeschäft sollte genau überlegen, welche Aussagen er in welchem Kontext in die Welt hinaus trötet und ob das wirklich so schlau ist. Die amerikanische Comedyszene ist uns da ein gutes Stück voraus. Einige der größten Comedians sind jüdisch, wie etwa Seinfeld, der einer der prägendsten und ikonischsten aller Stand-Up-Comedians ist. Leute wie er machen ganze Sets über den Holocaust, die schreiend komisch sind – aber die können nur diese Leute machen, die eine Verbindung zu dem Grauen haben, das damals vorgefallen ist. Und das versteht man in der Comedy-Szene in Amerika ganz selbstverständlich. Nur sehr wenige nicht-jüdische Comedians trauen sich an das Thema heran – und dann setzen sie es auch in einen entsprechenden Kontext.

Die italo-amerikanische Komikerin Lisa Lampanelli hat dazu einmal einen genialen Satz gesagt: "Es gibt Dinge, über die macht man keine Witze – außer in der Comedy." Das ist so ein smarter Satz, den sich alle Standupper auf die Fahne schreiben sollten. Und nicht nur die. Es ist nämlich ein Unterschied, ob ich einen Stammtischwitz mache, mit dem ich von meinen Freunden Applaus für die latent intolerante oder verletzende Botschaft dahinter ernten will, oder ob ich auf der Bühne stehe und im Rahmen eines abendfüllenden Programms einen bösen Gag mache, dessen Aussage im Gesamtkontext jedoch aufgehoben wird. Der Zusammenhang ist wichtig! Das ist so, wie mit Filmen. Wenn Quentin Tarantino in «Inglourious Basterds» zeigt, wie Leute andere Menschen skalpieren, hat das im Gesamtkontext des Films eine andere Bedeutung, als würde er diese einzelne Szene als Kurzfilm rausbringen. In der Comedy ist es genauso – einige Gags sind für sich alleingenommen richtig schlimm, doch wenn du dich im Laufe des gesamten Stand-ups von dieser Aussage distanzierst und deine wahren Intentionen ins Licht rückst, wirkt es ganz anders.

Jeder im Comedygeschäft sollte genau überlegen, welche Aussagen er in welchem Kontext in die Welt hinaus trötet und ob das wirklich so schlau ist.
Enissa Amani
Leider erkennen das nicht alle, da Filme eher als Kunst anerkannt werden, als ein Stand-up-Programm. Aber für mich ist ein ganzes Programm ein Gesamtkunstwerk, das auch entsprechend betrachten werden sollte. Ich nehme das für mich jedenfalls so als Maßstab. In abendfüllenden Programmen mache ich Gags, die ich bei einem fünfminütigen Fernsehauftritt so nicht machen würde und die ich noch viel weniger als kurzen Clip oder als Spruch in die sozialen Netzwerke stellen würde. Und auf gar keinen Fall käme ich auf die Idee, einige meiner Gags in einer Polittalkshow zu wiederholen. Da ist der Rahmen einfach ein anderer. Im Zusammenhang meiner Programme gehen einige bösere Gags dagegen – und auch da nutze ich die ja nur sehr punktuell, einfach, weil ich mich nicht als vulgäre oder schockende Komikerin sehe. So bin ich als Typ Mensch nicht. Dennoch bieten sich einige Gags an, um meinen eigentlichen Punkt zu unterstreichen, selbst wenn sie ihm für sich genommen widersprechen.

Ich bin voll auf der Seite der politischen Korrektheit, als dass es falsch ist, Leute wegen ihres Aussehens, ihrer Herkunft, ihrer Sexualität oder ihres Glaubens zu verurteilen oder auf ihnen rum zu hacken. Und ich denke, ich mache das in meinen Programmen unmissverständlich klar. Aber ich finde es schade, wenn Leute politische Korrektheit so verstehen, dass man ein ganzes Comedyprogramm Wort für Wort auseinandernehmen muss, um zu schauen, ob da irgendwas ist, das isoliert jemandem weh tun kann. Das ist keine Comedy mehr, wer das fordert, sollte mir mir auf eine Podiumsdiskussion zum Thema Einwanderungspolitik oder Integrationskultur gehen – da werde ich eine andere Sprache wählen als auf der Comedybühne.

Vielen Dank für das angeregte Gespräch!

«Enissa Amani: Ehrenwort» ist bei Netflix zu sehen.
29.04.2018 10:07 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/100560