«Grain – Weizen»: Ein nachdenklicher Sci-Fi-Film in Schwarz-Weiß

Semi Kaplanoğlu sinniert vor postapokalyptischer Kulisse über das Verhältnis zwischen Mensch und Gottes restlicher Schöpfung.

Zur Person

  • 1986 in Israel geboren
  • Litt als Kind unter schwerem Asthma und hat viel Zeit vorm Fernseher verbracht
  • Studierte Ballett und Modernen Tanz
  • Zog im Alter von 17 Jahren erst nach New York, dann nach Los Angeles
  • War im Kino unter anderem in «The Last Witch Hunter» zu sehen
  • Spielte Gastrollen in «Entourage», «Ghost Whisperer», «Criminal Minds», «Sons of Anarchy» und «Castle»; feste Rollen in «Underemployed», und «The Last Ship»
  • Ist in «Imposters» in der Hauptrolle einer Heiratsschwindlerin zu sehen, an der nun einige frühere Opfer Rache nehmen wollen
Sieben Jahre, nachdem Semi Kaplanoğlu mit «Bal – Honig» bei der Berlinale abräumte, reicht der Regisseur und Autor «Grain – Weizen» nach. Seine Rückkehr auf die Leinwand gestaltet der Filmemacher ebenso überwältigend wie zurückhaltend.
Zurückhaltend insofern, als dass es sich bei diesem Film zwar um eine (nahezu) postapokalyptische Zukunftsgeschichte handelt, sie jedoch mit dem genretypischen Effektgewitter und den Systemkämpfen hinterm Berg hält, um stattdessen die (teils einsame) Odyssee eines Wissenschaftlers durch ein Ödland zu zeigen – und dies auch noch in musikalisch subtil untermalten Schwarz-Weiß-Bildern. Überwältigend insofern, als dass «Grain – Weizen» seine introspektive Geschichte in Überlänge erzählt und mit symbolisch überfrachteten Bildern vorantreibt – sowie mit Dialogen und Monologen, die sowohl überdeutlich sind als auch schwammig. Denn für jede Filmpassage, die genetische Manipulation von Getreide als die Natur verfälschenden, genetischen Rassismus skizziert, gibt es eine, in der die filmische Grundaussage für ein Leben im Einklang mit sich und der Natur gekapert wird und wortreich-schleppenden Überlegungen über Religion und Gewissenhaftigkeit weicht …

In einer nahen Zukunft kontrollieren internationale Konzerne die Welt noch strenger als im Jetzt. Die Erde ist durch die schonungslose Ausbeutung der Natur kaum noch fruchtbar, die wenigen vom Klimawandel relativ verschonten Regionen werden durch Militär und Magnetzäune vom Rest der Welt abgeschirmt. Nur wer einen genetischen Eignungstest besteht, darf in diesen zerrütteten "Oasen" leben, alle anderen müssen in der verseuchten Ödnis leben. Aber selbst in den geschützten Bezirken herrschen Probleme vor – durch ständige Getreidemutationen kommt es zu massiven Missernten, und das, obwohl sich Wissenschaftler den Kopf zerbrechen, um den Weizen so genetisch zu manipulieren, dass er allen Widrigkeiten widersteht.

Einer der Forscher, die damit beauftragt sind, nach den Ursachen und effizienten Lösungen zu suchen, ist Erol Erin (Jean-Marc Barr). Dieser verweist in einer Krisensitzung auf eine umstrittene Studie des verschollenen und in Verruf geratenen Genetikers Cemil Akman (Ermin Bravo), der über die Notwendigkeit genetischer Diversität referierte und sich gegen die Genmanipulation aussprach. Erol macht sich auf die Suche nach Cemil Akman, um mehr in Erfahrung zu bringen, und tut sich daher mit der Untergrund-Aktivistin Alice (Cristina Flutur) zusammen, damit er gemeinsam mit seinem Assistenten Anderi (Grigoriy Dobrygin) die tödliche Barriere zum Ödland überwinden kann. Dort erwarten die beiden Wissenschaftler auf der Suche nach Cemil immense Widrigkeiten, jedoch auch große Erkenntnisse bezüglich der tieferen Zusammenhänge zwischen Menschheit und Natur, Vergänglichkeit und Fruchtbarkeit.

«Grain – Weizen» eröffnet mit stiller Aussagekraft: In wortkargen Sequenzen und einprägsamen Bildern zeigt Kaplanoğlu eine garstige, durchaus denkbare Zukunft, in der die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter klafft als Heute, das Klima desaströs ist und die Ernährungsressourcen knapp werden. Kaplanoğlus Thesen bezüglich genmanipulierter Lebensmittel mögen streitbar sein, insbesondere in der Deutlichkeit, in der sie teils unterstrichen werden, aber sie werden in eindrucksvoll bebilderten, szenischen Fragmenten aus dem Leben in dieser Zukunftsvision verwendet, so dass sie wenigstens als leicht spekulativ markiert sind.

Der atmosphärische Auftakt mündet in eine wortwörtliche wie auch sprichwörtliche Sinnsuche, die einem zweischneidigen Schwert gleicht. Einerseits ist die Geschichte eines Wissenschaftlers, der in die Wüste zieht, um über den natürlichen Lauf der Dinge zu sinnieren, in den dialogarmen Passagen fesselnd. Jean-Marc Barr drückt mit seinem Blick Bände aus, und die teils alttestamentarisch, teils philosophischen angehauchten, teils auf reiner Traumlogik fungierenden Stationen der Odyssee seiner Forscherfigur lassen Interpretationsspielraum. Dies verleiht ihnen zusätzlichen Reiz, lädt Kaplanoğlu doch dazu ein, basierend auf seiner lose assoziierenden Wüstenspurensuche selber ins Grübeln und Träumen zu geraten – was angesichts der paradoxen Landschaftsaufnahmen mit ihrer malerischen Kargheit gar nicht so schwer fällt.

Aber dann legt der Autorenfilmer Barr und Ermin Bravo in der Rolle des nahezu prophetischen Cemil Gespräche in den Mund, die den Kern dieses Films breittreten und dann von da ausgehend frei assoziierend weitere religiöse, philosophische und ethische Fragen anschneiden. All dies in einem behäbig-belehrenden Tonfall, der der "Ziehe los und finde selber die Antworten!"-Mentalität der ruhigeren Passagen so vehement widerspricht, dass es «Grain – Weizen» einiges seiner Faszination raubt.

«Grain – Weizen» ist ab dem 26. April 2018 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
25.04.2018 10:53 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/100497