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«House of Cards»: Warum die Finalstaffel auch ohne Kevin Spacey gelingen wird

von   |  5 Kommentare

Aufgrund der Skandale um Kevin Spacey muss die Netflix-Serie ihre sechste Staffel ohne ihren Hauptdarsteller und größten Star antreten. Doch das ist nicht weiter schlimm.

Es nötigt Beobachtern großen Respekt ab, mit welcher Konsequenz Netflix gegen skandalumwitterte Personalien vorgeht, die sich auf der Gehaltsliste des Streaming-Diensts befinden. So strich Netflix beispielsweise kurzerhand ein bereits produziertes Special des Comedian Louis C.K., als Belästigungsvorwürfe gegen den Unterhalter aufkamen. Noch schwerer wiegt aber bislang aus materieller Sicht der Schaden, den Kevin Spacey für Netflix verursacht hat, als dieser seinerseits aufgrund von Belästigungsvorwürfen für Netflix nicht mehr tragbar war. 39 Millionen Dollar soll Netflix verloren haben, weil das Unternehmen den Vertrag mit Spacey auflöste, der zu diesem Zeitpunkt zudem schon ein Gore Vidal-Biopic für den Video-On-Demand-Anbieter abgedreht hatte. PR-Experten könnten argumentieren, der Imageschaden wäre größer gewesen, hätte man Spacey behalten, doch insbesondere in Bezug auf «House of Cards» hinterlässt Spaceys Abgang eine große Lücker.

Die entscheidende Frage: Ist Kevin Spacey als Schauspieler unersetzlich?

«House of Cards» stellte bis zur Kündigung Spaceys eine der prägenden Serienproduktionen der vergangenen Jahre dar. Der Polit-Thriller kennzeichnete den ersten großen Hit des Streaming-Dienstes, war in der Öffentlichkeit jahrelang in aller Munde und wird von Kennern zu den qualitativ hochwertigsten Serien aller Zeiten gezählt. Sogar der ehemalige US-Präsident Barack Obama gab bekannt, die Serie mit Freude zu verfolgen. Der traurigste Aspekt für Netflix: Trotz Spaceys unentschuldbarem Verhalten, muss sich jeder Beobachter eingestehen, dass der 58-jährige die Serie trug, anfangs sogar nahezu alleine. Der in Ungnade gefallene Schauspieler spielte den verschlagenen und machtbesessenen Antihelden Frank Underwood genial und setzte sich mit seiner Performance nach seiner ohnehin schon von zahlreichen Erfolgen gekrönten Kinokarriere auch im Serienbereich ein Denkmal.

Nicht wenigen Netflix-Verantwortlichen wird die Frage, ob Spacey in Staffel sechs gleichwertig zu ersetzen ist, derzeit die Sorgenfalten auf die Stirn treiben. Von der Antwort auf diese Frage hängt ab, ob «House of Cards» zu den wenigen grandiosen Serien zählen wird, die ein durchgängig hohes inhaltliches Niveau aufrechterhalten konnten, ohne sich gegen Ende in Ideenarmut zu verlieren. Schon im Rahmen der vierten und fünften Staffel musste sich die Serie einen Qualitätsabfall vorwerfen lassen, dieser darf sich dann nicht fortführen. Ende Januar nahm die Netflix-Serie ihre Produktion, die nach den Vorwürfen gegen Spacey unterbrochen wurde, wieder auf. Fest stand zu diesem Zeitpunkt: Die sechste Staffel soll das Format abschließen und ihm eine verdiente Auflösung der Geschichte verleihen. Personell versuchte man dafür bereits nachzubessern und rekrutierte zwei durchaus große Namen. Schauspiel-Veteranin Diane Lane und Emmy-Gewinner Greg Kinnear übernehmen in der sechsten Staffel, die mit acht angekündigten Ausgaben die kürzeste bislang werden soll, neue Rollen.

Doch Netflix gibt sich bezüglich Details zur Finalstaffel verschwiegen. Die beiden neuen Darsteller könnten womöglich Zwillinge spielen, die ein neues Gegengewicht zu Robin Wright als neue US-Präsidentin Claire Underwood bilden, will Branchendienst ‚Variety‘ gehört haben. Ansonsten beziehe sich die letzte Staffel auf die diversen Herausforderungen, die Claire Underwood als neue US-Präsidentin zu bewältigen hat, gibt sich Netflix wortkarg. Dass ursprüngliche Nebencharaktere die eigentlichen Hauptcharaktere ersetzen, ist in der Serienlandschaft höchst unüblich, insbesondere wenn die Hauptfigur über Jahre hinweg Fixstern des Formats war und zur TV-Ikone aufstieg. Doch im Falle von «House of Cards» könnte dieses Vorgehen funktionieren.


US-Präsidentin Claire Underwood: Eine natürliche Entwicklung


Ein Grund für das Gelingen des endgültigen Hauptdarstellerwechsels in «House of Cards» findet sich in der natürlichen Entwicklung des Charakters Claire Underwood zu diesem Punkt in der Serie. Zu Beginn der Serie stellte Claire oft noch schmückendes Beiwerk für den politisch mit allen Wassern gewaschenen Frank dar. Sie erschien intelligent, keine Frage, aber sie wirkte, als ordne sie ihr Leben ganz der Rolle der starken Frau an der Seite ihres ambitionierten Ehemanns unter. Sie verkörperte schon in Staffel eins die perfekte First Lady in spe, die eine NGO betrieb, um zu wirken, als schere sie sich wirklich um die Schicksale anderer Leute und um etwas Selbstverwirklichung in ihrem Leben zu finden, das sie zwar früher oder später ins Zentrum der Macht spülen würde, aber nur die ewige Nummer zwei für sie vorgesehen hatte.

Schon damals faszinierte der Charakter Claire Underwood jedoch ungemein und gab den Zuschauern zahlreiche Rätsel auf. Diese sphinxartige und selbstbewusste Schönheit mag zwar mit ihrem Auftreten und ihrer kontrollierten Art immer den Schein einer tadellosen Person gewahrt haben, aber im Laufe der Zeit wurde glasklar: Diese Frau duldet die Machenschaften ihres verkommenen Mannes nicht nur, sie hat selbst Leichen im Keller und wird über weitere gehen. Es fällt nicht schwer zu glauben, dass die Autoren schon zu Beginn der ersten Staffel genau diese Entwicklung für Claire Underwood vorgesehen hatten, die die Figur im Laufe der Zeit ganz natürlich und glaubwürdig nahm. Von der Senatorengattin zur Frau des Vizepräsidenten, zur First Lady, zur Vize-Präsidenten und schließlich zur US-Präsidentin. Darstellerin Robin Wright übernahm immer mehr Verantwortung und wurde dieser schauspielerisch mehr als gerecht. Drei Golden Globe-Nominierungen und ein Gewinn der begehrten Auszeichnung sprechen für sich.

Der große Trumpf, den die Netflix-Serie daher in der Hand hält, stellt die Tatsache dar, dass «House of Cards» keine unglaubwürdigen Umwege gehen muss, um nun Claire zur unumstrittenen Hauptfigur zu machen. Kurz stand sogar die abwegige Möglichkeit im Raum, Frank Underwood könnte durch einen anderen Schauspieler dargestellt werden. Doch wie als hätte Netflix die Ruhe vor dem Sturm erkannt, rückte das Format Kevin Spacey als Frank Underwood am Ende der fünften Staffel erstmals in die Peripherie der Macht.

Zum Zeitpunkt des Staffelfinals der fünften Season werden zwar nur wenige Personen daran gezweifelt haben, dass Frank Underwood schon irgendwie weiter seine über Jahre hinweg aufgebaute Macht ausüben würde. Aber da nun Claire am Drücker ist, wirkt es absolut möglich, dass sie ihren öffentlich in Ungnade gefallenen Mann jederzeit hängen lassen könnte. Durch die ohnehin angespannte Beziehung der Eheleute in den vergangenen Staffeln hat es die Serie nicht mehr weit zum Fallenlassen der Figur Frank Underwood, auch wenn die komplette Abstinenz der Figur wohl für Zuschauer erst einmal ungewohnt sein wird.

Wird «House of Cards» zum Symbol seiner Zeit?


Der Langzeitplan, den die Autoren also ohnehin um Frank und Claire Underwood vorantrieben, hätte also der unangenehmen Situation entsprechend nicht besser ausgearbeitet sein können. Ein weiterer Aspekt kommt der sechsten Staffel «House of Cards» zugute. Keine andere Serie passt in den aktuellen Zeitgeist, mehr noch: Die Situation von «House of Cards» steht fast schon metaphorisch für die brodelnde #Metoo-Debatte. Die Produktion schasste nicht nur einen der im Zuge dieser Thematik entlarvten Straftäter und setzte damit ein Zeichen. Nein, im Zuge dieser Debatte, die sich auch um die Ungleichberechtigung von Frauen allgemein und in der Unterhaltungsindustrie im Speziellen dreht, übernimmt nun beim gleichen Format eine Frau die Zügel, die ohnehin schon mindestens seit Staffel vier der heimliche Star des Formats war.

Der Hauptdarstellerwechsel erscheint daher nicht nur aufgrund der natürlichen Entwicklung des Charakters Claire Underwood folgerichtig, er steht auch sinnbildlich dafür, was Frauen aus eigener Kraft alles erreichen können, wenn ihnen denn nur die Chance gelassen wird. Obwohl Robin Wright in den ersten Staffeln eher zu den Nebendarstellern zählte, war ihre Figur in «House of Cards» im männerdominierten Unterhaltungsgeschäft schon eine Seltenheit aufgrund der unverhältnismäßig hohen Besetzung von Männern in ernstzunehmenden dramatischen Rollen.

Wenn das Team hinter der Kamera sein Niveau hält, es nach den etwas schwächeren Staffeln vier und fünf nun vielleicht sogar wieder etwas anhebt, dann hat die sechste Staffel «House of Cards» das Potenzial, zu nicht weniger zu werden als zu einem Symbol unserer Zeit und einem starken gesellschaftspolitischen Statement. Darum wird Staffel sechs gelingen.

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Es gibt 5 Kommentare zum Artikel
Sentinel2003
19.02.2018 12:58 Uhr 1
Toller Artikel!! Ich fand im übrigen Robin Wright schon seit Staffel 1 hervorragend!
Milli09
20.02.2018 08:21 Uhr 2
House of Cards lebte zu 95% durch Frank Underwood bzw. Kevin Spacey und natürlich ist es für die Serie schlimm, wenn dieser Charakter fehlt.



Ja Robin Wright ist eine gute Schauspielerin und Claire Underwood war ein interessanter Nebencharakter, aber nur mit ihr wäre diese Serie nicht annähernd so erfolgreich geworden.
w.n.
20.02.2018 09:55 Uhr 3
@Milli09 Sehe ich genauso, so inhaltlich schwach ich die 5. Staffel auch fand, dank Kevin Spacey habe ich sie mir zu Ende angesehen.
STAC
20.02.2018 11:31 Uhr 4
Dass die Show ohne Spacey nicht so groß geworden wäre, wie sie ist, ist das Eine.



Aber dass eine finale sechste Staffel auch ohne ihn funktionieren kann, steht auf einem ganz anderen Blatt. Gerade weil er Hauptfigur war, kann seine Abwesenheit - sofern richtig behandelt - spannend sein. Zumal die Figur der Claire im Laufe der Staffeln immer wichtiger wurde und es sicher ZuschauerInnen gibt - mich eingeschlossen - die sie inzwischen spannender finden als Frank.
kauai
20.02.2018 17:06 Uhr 5
Eine Staffel kann sicher ohne Kevin Spacey funktionieren - zumindest bin ich sehr gespannt, wie das Ganze storytechnisch gehandhabt wurde. Trotzdem wäre die Serie natürlich ohne ihn nie solch ein Erfolg geworden!
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