Die Kino-Kritiker

«Valerian – Die Stadt der tausend Planeten»: Bessons bunte Sci-Fi-Welt

von

Die aufwändige Comicadaption «Valerian – Die Stadt der tausend Planeten» fängt toll an – und vollführt danach einen steilen Sturzflug.

Filmfacts «Valerian – Die Stadt der tausend Planeten»

  • Regie: Luc Besson
  • Produktion: Luc Besson, Virginie Besson-Silla
  • Drehbuch: Luc Besson; nach der Comicreihe von Pierre Christin & Jean-Claude Mézières
  • Darsteller: Dane DeHaan, Cara Delevingne, Clive Owen, Rihanna, Ethan Hawke, Herbie Hancock, Kris Wu, Rutger Hauer
  • Musik: Alexandre Desplat
  • Kamera: Thierry Arbogast
  • Schnitt: Julien Rey
  • Laufzeit: 137 Munuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Die Zeit kann so grausam sein – auch zu großen Werken der Popkultur. So beeinflussten Edgar Rice Burroughs «John Carter»-Romane Generationen von Geschichtenerzählern in allen nur erdenklichen Medien. Doch es waren die von «John Carter» beeinflussten Werke, die sich langfristig an der vordersten Front der Popkultur zu behaupten wussten – als 2012 «Findet Nemo»-Regisseur das Material für die Leinwand adaptierte, erachteten nicht wenige Sci-Fi-Gelegenheitskonsumenten seine Big-Budget-Produktion als Ideendieb. Und es steht zu befürchten, dass Luc Besson ähnliches widerfährt: Der 23-teilige Comic «Valérian et Laureline» (in Deutschland «Valerian und Veronique» getauft), glich Ende 1967 einer mittelschweren Sensation. In den Folgejahren wurde nicht wenigen Sci-Fi- und Abenteuer-Werken im Comic-, Fernseh- und Filmmedium unterstellt, sich an der von Pierre Christin und Jean-Claude Mézières erdachten Welt bedient zu haben – oder alternativ einfach später auf die gleichen Ideen gekommen zu sein.

Wenn nun Luc Besson das 197,47 Millionen Euro teure Effektspektakel (die bis dato teuerste Kinoproduktion aus Europa) auf die Leinwände dieser Welt entlässt, werden also gewiss manche Zeitgenossen an die berühmteren Nachzügler denken und in den Saal murmeln: "Sowas ähnliches gab es schon mal!" Um der Comicadaption eine faire Chance zu geben, empfiehlt es sich daher, sich nicht groß über "Wer war zuerst da?!"-Fragen den Kopf zu zerbrechen. Denn die 137 Minuten lange Erzählung zweier junger Menschen, die als Raum-Zeit-Agenten für Recht und Ordnung im 28. Jahrhundert sorgen, hat auch abseits dieses Abkupferdilemmas genügend Probleme …

Space Mission: Impossible


Alpha – ein im Weltall befindlicher Schmelztiegel verschiedenster Kulturen. Luc Besson etabliert dessen Hintergründe wortkarg – untermalt durch den thematisch passenden (wenngleich etwas offensichtlichen) David-Bowie-Klassiker "Space Oddity" entwirft er eine von Wiederholungen und markanten Änderungen geprägte Montagesequenz. Mit dieser atmosphärischen, effizienten Einführung hinter uns, entführt der «Lucy»-Regisseur sein Publikum an einen anderen Ort – und vielleicht in eine andere Zeit. Besson zeigt ein Naturvolk, das urplötzlich attackiert wird – doch war dies vielleicht nur ein Traum von Major Valerian (Dane DeHaan)? Dieser hat mit seiner Partnerin, Sergeant Laureline (Cara Delevingne) eine Mission auf dem Basarplaneten Kirian zu erfüllen. Besson, der auch das Drehbuch verfasst hat, hält sich mit Details, worum es bei der Mission geht, ebenso zurück, wie mit Voraberklärungen, was den Planeten Kirian ausmacht.

Stattdessen verfolgt er das Motto "Das Publikum lernt schon, was Sache ist, wenn ich es ins kalte Wasser schubse" – und dies ermöglicht es ihm, die erste, große Actionsequenz von «Valerian – Die Stadt der tausend Planeten» als sehr dynamische, spaßige Erkundungsreise zu gestalten. DeHaan und Delevingne spielen mit verschiedensten Gadgets, ändern wieselflink ihre Taktik und stolpern durch einen überaus faszinierenden Planeten, der ganz anders aussieht und funktioniert, als wir es aus dem Sci-Fi-Kino gewohnt sind.

Die hinter jeder Ecke eine neue Überraschung und Herausforderung bietende, von Kameramann Thierry Arbogast übersichtlich, dennoch energiereich eingefangene Passage mutet wie die Sci-Fi-Fantasy-Variante einer Sequenz aus den jüngsten «Mission: Impossible»-Filmen an: Voller Tempo, mit einer guten Prise Humor und allerlei erstaunlichen Anblicken – in diesem Fall in Form der farbenfrohen, dennoch plausiblen, neuen Welt, die es zu entdecken gilt, statt etwa Tom Cruises halsbrecherische Stunts.

Zudem wird klar: «Valerian – Die Stadt der tausend Planeten» ist – wie auch die späteren «Mission: Impossible»-Filme – eher eine Nummernrevue mit sehr sporadisch aufblitzendem, roten Faden. Das wäre per se auch völlig in Ordnung. Würde nur die unentwegt Überraschungen, Wendungen und neue Alienrassen sowie Technologien aus dem Hut zaubernde Kirian-Sequenz nicht die ideenreichste und aufregendste des Films bleiben.

Das zähe Element


Im Anschluss an das Hin und Her auf dem faszinierenden Basarplaneten lässt Besson kurz nochmal den roten Faden seines Weltallabenteuers aufblitzen – und verwendet so eindeutige Bilder, dass es schwer fällt, nicht schon vorzeitig zu erraten, was es mit dem zuvor gezeigten Naturvolk (quasi James Cameron Na’vi in weiß) auf sich hat. Clive Owen derweil darf als strenger Commander eine hölzern-übertriebene Darbietung abgeben. Im Anschluss startet Besson dann eine Parade von Mini-Subplots, in denen mal Valerian seine Partnerin retten muss, und mal Laureline ihrem Arbeitskollegen und Geliebten zur Hilfe zu eilen hat.

DeHaan und Delevingne machen trotz des unsteten Skripts und der wechsellaunigen Charakterzeichnung einen guten Job in ihren Rollen: Der «A Cure for Wellness»-Darsteller weiß mit seinem verschmitzten Schlafzimmerblick und seiner strengen, dennoch charmanten Stimme, sowohl die abgebrühte als auch die verspielte Seite seiner Rolle rüberzubringen. Die in «Suicide Squad» noch so negativ auffallende Delevingne wiederum knüpft an ihre früheren, gelungeneren Leinwandperformances an und legt Laureline als einerseits an altmodische Beziehungskonstrukte glaubende, andererseits hochkonzentrierte, analytische Figur an. Das im Screwball-Manier gehaltene Hickhack zwischen diesen sich liebenden, aber auch liebend gern neckenden Agenten hat eine schroff-spielerische Attitüde an sich und sorgt selbst in den zäh erzählten Filmpassagen für Schmunzler.

Und träge wird «Valerian – Die Stadt der tausend Planeten» bedauerlicherweise sehr häufig: Eine von ihrer Logik her sehr videospielartige Verfolgungsjagd, in der Valerian kleine Plattformen erzeugend durch Alpha rennt, fährt nochmal die großen Effektgeschütze auf. Ansonsten verlieren die Irrwege von Laureline und Valerian ihren rauschartigen Reiz, lässt Besson doch zunehmend seine von sperrigen Dialogen vorangetriebenen Szenen in reizlosen Matsch- oder Höhlen-Gegenden und generischen Metallkonstruktionen spielen.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich der vorhersehbare Kernplot mit dröge erzählten Füllsequenzen abwechselt – und Alexandre Desplats ungewohnt austauschbare Musikkompositionen saugen nur weiter die Energie aus dem Film. Nur die nach der Eröffnungsmission sporadisch auftauchenden, exzentrischen Menschenfiguren (wie ein seltsamer U-Boot-Kapitän) und ein Trio an Entenaffenfledermaus-Aliens hauchen dem Geschehen Leben ein. Da hat Besson vor 20 Jahren in «Das fünfte Element» deutlich mehr aus seiner Erkundungsreise durch eine Sci-Fi-Welt geholt – nicht zuletzt, weil dort mehr praktische Elemente die CG-Attacke ergänzen und weil die alleinstehenden Szenen durchweg zügig erzählt sind, während der Kernplot eine größere Fallhöhe aufweist.

Einen leuchtenden Glanzmoment hat «Valerian – Die Stadt der tausend Planeten» im kontinuierlich stärker ernüchternden, vor sich hinplätschernden Mittelteil aber aufzuweisen – und den liefern Ethan Hawke als Zuhälter in Dennis-Hopper-Tradition sowie Popstar Rihanna. Von einem eingängigen, flotten und sich stilistisch stets neu erfindenden Song begleitet, führt Rihanna in der Rolle einer Gestaltenwandlerin einen erstaunlichen, augenzwinkernden Tanz auf, bei dem der Schnitt («Lucy»-Cutter Julien Rey) wahre Wunder vollbringt, um die Übergänge nahtlos verschwinden zu lassen.

Die dunkelsten Schattenseiten von «Star Wars» und «Star Trek» vereint


Auf der Schlussstrecke dreht Besson dann alle bisherigen Störfaktoren auf – und holt sich neue hinzu. So gelten die neuen Alienrassen in George Lucas' «Star Wars»-Prequels ja bereits als diskutabel, weil viele Kritiker in ihnen rassistische Karikaturen entdecken. Doch dieser Aspekt der «Star Wars»-Prequels ist harmlos im Vergleich zu einer Alienrasse, mit der Laureline eine längere Strecke des Films verbringen muss. Diese erinnert mit ihrem Hals- und Armschmuck sowie ihrer Angewohnheit, Dinge über dem Kopf balancierend zu transportieren, an Stämme afrikanischer Ureinwohner – zudem verhält sie sich aber unfassbar dämlich, so dass erstens jegliche Slapstickmomente mit der Subtilität von drei Vorschlaghammern daherkommen und zweitens brennende, unangenehme Erinnerungen an rassistische Karikaturen vergangener Zeiten wach werden.

Das Finale wiederum holt dann mit sperrig formulierten, ewiglangen Mono- und Dialogen das komplette, bislang vernachlässigte Storytelling um das immer wieder auftauchende Naturvolk nach. Bessons Dialogbuch entwickelt dabei die Eleganz und moralinsaure Schwerfälligkeit aus einer «Star Trek»-Produktion, die dem hohen Ansehen des restlichen Franchises nicht im geringsten gerecht wird. Und eine den Abschluss des Films weiter hinauszögernde Abhandlung über menschliche Werte lässt beinahe die letzten Meter von «Wonder Woman» subtil und ausdifferenziert erscheinen.

Fazit


Aus der beiläufigen, anregenden Weltenbildung der ersten ca. 30 Minuten wird in «Valerian – Die Stadt der tausend Planeten» sukzessive eine Aneinanderreihung lahmer Comedyeinlagen und inhaltlich wenig motivierter Actionpassagen. Diese sind solide choreografiert, verblassen aber im Vergleich mit dem Anfang des Films dramatisch. Garniert wird dies mit ätzend vermittelter Küchenphilosophie – es braucht also schon viel Begeisterung für die Verpackung und die zentralen Darsteller, um diesen Inhalt zu schlucken.

«Valerian – Die Stadt der tausend Planeten» ist ab dem 20. Juli 2017 in vielen deutschen Kinos zu sehen – in 2D und 3D.

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