360 Grad

Frank Underwood: Die Geister der Vergangenheit

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Die vierte Staffel von «House of Cards» war vielleicht die bisher Beste. Einen kleinen Kritikpunkt hatte unser Kolumnist doch.

Frank Underwoods vielleicht wichtigstes Charaktermerkmal ist seine Skrupellosigkeit. Der Mann geht über Leichen. Wortwörtlich. Bisher haben zwei Menschen durch seine Hand ihr Leben verloren: Peter Russo, Kandidat für das Gouverneursamt von Pennsylvania, den Underwood zuvor als Strohmann aufgebaut hatte, damit nach Russos unweigerlichem Fall der US-Vizepräsident für dieses wichtige Amt kandidieren müssen würde. Und Zoe Barnes, Journalistin beim „Politico“-Verschnitt Slugline, der er streng geheime Informationen zuschanzte, deren Veröffentlichung ihm strategisch von Nutzen war – bis Barnes eine Gefahr für ihn wurde, und er sie vor einen Zug warf. Getreu einer englischen Redensart hätte nur ein Bus noch besser ins Bild gepasst.

Frank rührte all das nicht. Auch in den privatesten, intimsten Momenten: nichts. Keine Gewissensbisse. Keine Reue. Das ist sein Wesensmerkmal: die unbedingte Psychopathie, erschreckend für Andere; für ihn: das Normalste der Welt. Der Schlüssel zu seinem Erfolg liegt in seiner eiskalten Berechnung und seiner völligen Emotionslosigkeit, die nicht nur seine Feinde zu spüren bekommen.

In der vergangenen vierten Staffel – inhaltlich vielleicht die bisher Beste – stand Frank Underwood zeitweise kurz vor dem Tod. Eine Schussverletzung hatte einen Großteil seiner Leber irreversibel zerstört, und während er auf ein Spenderorgan wartete, halluzinierte er in der Klinik vor sich hin. Das erlaubte uns einen Blick in sein Unterbewusstsein: Dort waberte Frank durch das Oval Office. Und mit ihm waren die Geister von Peter Russo und Zoe Barnes, die ihn nicht losließen.

Ein Hirngespinst? Oder ein Blick ins Jenseits, das Underwood früher oder später unweigerlich erwarten wird? Was wäre das größtmögliche Unheil, die schlimmstmögliche Höllenqual, die diesen Mann treffen könnte? Die immerwährende, schonungslose Gegenwart der Menschen, die er kaltblütig getötet hat?

Frank wird bald ein Spenderorgan transplantiert. Er erwacht aus seinen komatösen Phantasien, aus den widerwärtigen Umschlingungen von Peter Russo und Zoe Barnes. Nur in einer Ultima Ratio, als die Außenministerin gegen ihn intrigiert, bringt er diese Fantasie einmal halb-ironisch zur Sprache.

Sicher: «House of Cards» hat an den tiefenpsychologischen Konflikten von Frank Underwood wenig Interesse. Das ist kein Kritikpunkt, sondern unweigerlicher Ausfluss des in sich ja völlig stimmigen Konzepts: Er ist der Zyniker, der Gipfel des Antiheldentums, der sich nicht wandeln kann, dem eine Selbsteinsicht jenseits der gröbsten Oberflächlichkeiten zwar zuteilwird, die ihn aber überhaupt nicht interessiert. Doch in diesem einen Moment, in dem ihn an der Schwelle ins Jenseits die Geister der Vergangenheit nicht mehr loslassen, wäre das ein spannendes Untersuchungsfeld gewesen, bei dem man vermisst, dass die Autoren es nicht ausgiebiger und schärfer betrachtet haben.

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