First Look

«Mr. Robot» Staffel zwei: Change the world, jetzt erst recht

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fsociety hat die Welt ins Chaos gestürzt, und Elliot weiß, wer der mysteriöse Mr. Robot ist: Selten veränderte sich die Ausgangslage einer TV-Serie so stark wie hier. Kann Staffel zwei trotzdem – oder gerade deshalb – an die grandiose erste «Mr. Robot»-Season anknüpfen?

Achtung: In diesem Text befinden sich Spoiler zur Handlung der ersten Staffel.

Cast & Crew

  • Produktion: Universal Cable Productions, Anonymous Content, Esmail Corp
  • Schöpfer: Sam Esmail
  • Darsteller: Rami Malek, Carly Chaikin, Portia Doubleday, Martin Wallström, Christian Slater u.a.
  • Executive Producer: Sam Esmail, Steve Golin, Chad Hamilton
Die ganz großen Geschichten, sie erscheinen oft aus dem Nichts. «Breaking Bad» beachtete kaum jemand, als es startete, später verfolgten fünf Millionen das Finale. «Mad Men» war ebenfalls eine dieser Serien, hatte anfangs kaum Publikum – weil sie auf AMC ausgestrahlt wurde, einem Sender, der sonst nur für alte Hollywood-Filme und Dokumentationen bekannt war. Und im letzten Jahr gab es «Mr. Robot»: Von vielen Serienfans anfangs verschmäht, weil der Sender USA Network heißt. Ein Sender, der vor allem bekannt ist für formalisierte Feelgood-Produktionen wie «Monk», «Royal Pains» oder «White Collar». Und der nichts darauf hindeuten ließ, dass er aus der eigenen comfort zone der seriellen Unterhaltung ausbrechen würde.

Zum Glück hat sich schnell rumgesprochen, wie gut «Mr. Robot» ist und wie unterschiedlich gegenüber dem Rest, der sonst im Fernsehen zu sehen ist. Selten zuvor schien eine Story so durchdacht und – im positiven Sinne – chaotisch vorausgeplant wie hier. «Breaking Bad» kann als das große Vorbild gelten: als eine Serie, bei der man in jeder Sekunde erlebte, wie grandios die Handlung aufeinander aufbaut und alle Story-Fäden später zusammengeführt werden. Wie großartig der Creator Vince Gilligan seine Geschichte von Anfang bis Ende gesponnen hat, noch bevor die erste Episode lief. Dieses Gefühl hat man bei «Mr. Robot» und seinem Erfinder und Drehbuchautor Sam Esmail wieder.

Diese Erkenntnis des minutiös geplanten Ablaufs ist umso erstaunlicher, da es eigentlich kaum auffällt: Chaos ist das zentrale inhaltliche Motiv, das «Mr. Robot» vermittelt. Chaos in der Welt, die von der mysteriösen fsociety an ihre Grenzen geführt wird: Das Hacker-Kollektiv legt die Server von E-Corp lahm, dem globalen Konzern, über den gebündelt alle digitalen Aktivitäten aller Menschen abgewickelt werden. E-Corp ist ein fiktives Konglomerat aus Google, Facebook und anderen Internet-Giganten zusammengenommen. Das Ziel von fsociety: eine bessere, fairere Gesellschaft, in der jeder wieder bei Null startet. Gleiche Chancen für alle. Dies will man erreichen, indem man alle Daten bei E-Corp löscht – und somit alle Kredite und Geldkonten auf der ganzen Welt plötzlich verschwinden. Ihr Anführer ist Mr. Robot, ein genialer Hacker, der eine Gruppe hochbegabter Programmierer zusammenstellt, um die Welt umzukehren. Einer in dieser Gruppe ist Elliot, der zur Tarnung bei einer digitalen Sicherheitsfirma arbeitet und von Mr. Robot angeworben wird.

Das Ziel von fsociety scheint gegen Ende der ersten Staffel erreicht; die Gesellschaft stürzt ins Chaos. Und ein weiterer einschneidender Moment offenbart sich dem Zuschauer später: Elliot ist Mr. Robot selbst, der großartige Hacker. Elliot besitzt eine multiple Persönlichkeit. Die Andeutungen, die ganz am Anfang der Serie gemacht wurden, bewahrheiten sich. Immer wieder aber fragten sich die Zuschauer im Laufe der ersten Staffel, ob Mr. Robot wirklich ein Hirngespinst des Hauptcharakters ist – oder vielleicht doch real. Die Serie führte uns selbst immer wieder in Zweifel, um diese letztendlich doch zu zerstreuen. Eine narrative Meisterleistung.

Staffel zwei ist nicht weniger brillant. Erneut können die klassischen Gesetze serieller Unterhaltung nicht angewendet werden, erneut überrascht uns «Mr. Robot» mit unvorhergesehenen Entwicklungen, die – im Nachhinein betrachtet – Teil eines großen narrativen Plans zu sein scheinen. Wie einst bei «Breaking Bad». Statt direkt aufzugreifen, was gegen Ende der ersten Staffel geschah und den Wissenshunger der Fans zu bedienen, streut Serienautor Sam Esmail eine – so auch titulierte – „Intermission“ ein. Diese ersten beiden Episoden wirken manchmal wie ein in sich geschlossenes Kunstwerk. Wir lernen einen veränderten Elliot kennen, der wieder bei seiner Mutter wohnt und versucht, Mr. Robot aus seinem Kopf zu löschen. Seine Lösung dazu: Routine. Der Kreislauf des alltäglichen, langweiligen Lebens soll zur inneren Ruhe führen, zur geistigen Lähmung. Und so beobachten wir Elliot, wie er Teller wäscht, mit einem Freund über «Seinfeld» redet, schläft; immer und immer wieder.

Nur ganz punktuell nimmt die eigentliche Story wieder Fahrt auf, mehr aber wirkt der Start von Staffel zwei wie eine Ansammlung kleiner Geschichten der (Selbst)zerstörung. Die Fäden der verschiedenen Charaktere laufen nicht zusammen, jeder spielt für sich. Und niemand weiß, wo es hingeht; das einzige, was hervorsticht, sind aufwühlende Symbolbilder: brennende Geldhaufen mitten in New York zum Beispiel. Sein Ziel hat fsociety zwar erreicht. „Aber warum fühlt es sich nicht so an, als ob wir gewinnen?“, fragt Darlene, die neue Anführerin des Hackerkollektivs einmal. E-Corp ist noch nicht tot, der digitale Krieg wird weitergehen.

Sie alle sind nun mit sich selbst beschäftigt, um ihr eigenes inneres Chaos aufzulösen: Elliot, der eigentliche Hauptcharakter, kann sich nicht über das erreichte große Ziel freuen; er ist besessen davon, Mr. Robot loszuwerden. Darlene, die neue fsociety-Chefin, plagen Selbstzweifel: Ist das, was wir hier tun, richtig? Oder sind meine Schachzüge vorhersehbar? Und Angela, eine Freundin Elliots aus der Kindheit, klettert bei E-Corp auf der Karriereleiter – immer schneller und immer höher, angesichts der chaotischen Umstände bei der Firma. Irgendwann fragt sich Angela, ob sie ihr Leben wirklich dem bösen Konzern widmen will. Was zeigen uns diese kleinen Geschichten aus «Mr. Robot»? Aus dem Chaos folgt der Egoismus; das ist es, was uns die eineinhalbstündige Intermission lehrt. Und Egoismus ist eigentlich das Gegenteil von dem, was fsociety erreichen will. Change the world or change yourself?

Legt man die klassischen Maßstäbe dramatischer Erzählungen an, sind wir über den narrativen Höhepunkt – den Hack und die Enttarnung von Mr. Robot als Imagination – hinaus. Eigentlich kann es nur noch bergab gehen. Genau das Gegenteil aber scheint der Fall; es braut sich ein neues Gewitter zusammen. «Mr. Robot» spielt eben nicht nach den klassischen Regeln. Dazu gehört auch, dass sich diese Staffel zwangsweise komplett anders anfühlt als die erste – eben aufgrund der veränderten Ausgangslage um den globalen Hack und Mr. Robots Identität. Es sieht so aus, als habe Sam Esmail diese riesige Herausforderung gemeistert. Damit bleibt «Mr. Robot» eine der sehenswertesten Serien derzeit. Vielleicht wird sie sogar noch bedeutsamer.

Die zweite Staffel von Mr. Robot ist auf Amazon Prime abrufbar, ab September auch auf deutsch.

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