Die Kino-Kritiker

«The Witch»

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Das Horrordrama «The Witch» wird rund um den Globus frenetisch gefeiert. Quotenmeter.de hinterfragt den Hype und kommt zu dem Schluss: So ganz gerechtfertigt ist der nicht.

FIlmfacts: «The Witch»

  • Kinostart: 19. Mai 2016
  • Genre: Horror/Drama
  • FSK: 16
  • Laufzeit: 92 Min.
  • Kamera: Jarin Blaschke
  • Musik: Mark Korven
  • Buch und Regie: Robert Eggers
  • Darsteller: Anya Taylor-Joy, Ralph Ineson, Kate Dickie, Harvey Scrimshaw, Ellie Grainger
  • OT: The VVitch: A New-England Folktale (USA/UK/CAN/BRA 2016)
Der Regisseur Robert Eggers kann nichts dafür, auch wenn er der Hauptverantwortliche für sein Filmprojekt ist. Doch wenn sich die Zuständigen für Public Relations wie im Falle von «The Witch» solch unübersehbare Patzer erlauben, dann kann man gar nicht anders, als schon vor der Filmsichtung Skepsis walten zu lassen. Der deutsche Haupttrailer des im Original «The Witch: A New England Folktale» betitelten Horrorfilms enthält sage und schreibe drei mehr oder weniger große Rechtschreibfehler – eine Sache, die auf den fertigen Film keinerlei Einfluss hat, doch sie zeigt auch: Es reicht nicht aus, sich darauf auszuruhen, beim Sundance Film Festival mehrmals nominiert und einmal ausgezeichnet worden zu sein (was für einen Genrefilm durchaus einem Ritterschlag gleich kommt). Man muss hinterher auch abliefern. Und genau das tut «The Witch» nicht, wenngleich das Horrordrama rund um den Globus so frenetisch gefeiert wird, wie seit dem österreichischen Genrebeitrag «Ich seh, ich seh» keiner mehr.

Es ist schon ein interessantes Phänomen, dass Horrorfilme immer dann ganz plötzlich zum Meisterwerk auserkoren werden, einfach nur, weil sie sich nicht auf Jumpscares und Effekthascherei verlassen. Doch es genügt eben nicht, sich einfach nur von inszenatorischen Standards in diesem Segment loszusagen, um zu überzeugen. Es geht um Atmosphäre, Story und Ausführung: Und in sämtlichen Bereichen hakt es bei «The Witch» ganz gewaltig, denn all das, was dieser Film eine Spur langsamer darbietet als gewöhnlich, hat man so und ähnlich schon hundertfach unter die Nase gerieben bekommen – und das wesentlich besser.

Neuengland, 1630


Farmer William (Ralph Ineson) findet, gemeinsam mit Frau Katherine (Kate Dickie) und den fünf Kindern, ein neues Zuhause auf einem abgelegenen Stück Land, nahe eines düsteren Waldes. Bald kommt es zu beunruhigenden Vorfällen: Tiere verhalten sich aggressiv, eines der Kinder verschwindet, während ein anderes von einer dunklen Macht besessen zu sein scheint. Misstrauen und Paranoia wachsen und die älteste Tochter Thomasin (Anya Taylor-Joy) wird der Hexerei beschuldigt. Als sich die Lage immer weiter zuspitzt, werden Glaube, Loyalität und Liebe jedes einzelnen Familienmitgliedes auf eine schreckliche Probe gestellt…

Die Genrebezeichnung „Horrorfilm“ reicht im Falle von «The Witch» gar nicht so sehr an das heran, was das Langfilmdebüt von Robert Eggers tatsächlich ist. Grusel, Ekel, Schockeffekte: All das findet in der düsteren Hexenerzählung so in der Form gar nicht statt. Stattdessen versucht Eggers allein durch die Prämisse, Gänsehaut zu erzeugen. Ganz zu Beginn funktioniert das auch. Wenn William und seine Familie in eine ungewisse Zukunft ins Nirgendwo aufbrechen, ist es insbesondere die in ihrer Düsternis so malerisch fotografierte Kulisse (Jarin Blaschke), die im Zuschauer das Gefühl von Beklemmung aufkommen lässt. Eine streng gläubige Großfamilie, irgendwo am Rande eines Waldrandes vollkommen auf sich allein gestellt – ja, das hat tatsächlich Potenzial für eine gruselige Erzählung. Vorausgesetzt, die Inszenatoren verlassen sich nicht allein auf diesen Umstand. Doch genau das passiert. So atmosphärisch die Szenerie, so austauschbar ist schlussendlich das, was inhaltlich mit dieser angestellt wird. Tiere als Todesboten, der Wald als Schauplatz grässlicher Vorkommnisse, Exorzismen, gruselige Kinder und Missverständnisse innerhalb der Familie, hervorgerufen durch einen Mangel an Kommunikation – all das fügt sich in seiner Durchschnittlichkeit zwar durchaus stimmig zusammen, doch für den Innovationswert, der «The Witch» immer wieder nachgesagt wird, sorgen die ewig gleichen Elemente und Schemata nicht.

Damit sich in einem Film so etwas wie eine unheimliche Atmosphäre überhaupt erst aufbauen kann, braucht es einige Faktoren; allen voran die Identifikationsmöglichkeiten mit den Figuren. Nicht jedes Genre benötigt diese, doch gerade im Falle eines Filmes wie «The Witch», der sich auf kleine Gesten und Ereignissen zwischen den Zeilen verlässt, sind auch nur im Ansatz interessante Charaktere unablässig. Um diese kümmert sich das Skript von Robert Eggers, der hier als Regisseur und Autor in Personalunion auftritt, aber zu keiner Sekunde. Eggers ruht sich darauf aus, dass die Szenerie selbst schon erschreckend genug ist und macht seine Figuren zu Spielbällen der Handlung. Sich mit den schrecklichen Vorkommnissen auseinander setzen? Fehlanzeige! Sich wie Erwachsene über die Ereignisse unterhalten? Mitnichten!

Ein realistischer Austausch über das, was über mehrere Tage passiert, findet deshalb nicht statt, weil die Figuren nach logischen Grundsätzen betrachtet ganz einfach das Weite suchen könnten, um den Ort der Bedrohung so schnell wie möglich zu verlassen. Das Problem: Würden sich die Erwachsenen hier wie Erwachsene verhalten, wäre der Film nach einer halben Stunde vorbei. So inszeniert sich Eggers mit dem Umstand aus der Affäre, dass er den unbedingten Glauben der Familie bei jeder Gelegenheit als Ausrede dafür nutzt, entgegen jeder Vernunft zu handeln. Kurzum: Die Figuren handeln nur deshalb so, weil sie Teil eines Films sind – ein Todesurteil für authentisches Feeling.

Fauler Zauber


Ebenfalls nicht von der Hand weisen, lässt sich die Tatsache, dass Robert Eggers immer nur so lange auf das inszenatorischen handelsübliche Repertoire moderner Horrorfilmer verzichtet, bis sich die Atmosphäre nicht mehr alleine trägt. Je weiter die Handlung voran schreitet, desto konventioneller wird sein Film. Fällt in dieser Hinsicht nur zu Beginn der sehr aufdringlich eingesetzte Score (Mark Korven) negativ auf, wird die bedächtige Stimmung mit der Zeit immer öfter von schnellen Schnitten und Jumpscares auf schockierend getrimmt. Und hat man sich damit erst einmal arrangiert, endet «The Witch» nach eineinhalb Stunden schließlich in einem Moment, der sich selten so sehr als Absprungpunkt für ein Sequel aufgedrängt hat. Die vielen Dramaeinflüsse vom Beginn des Films werden spätestens mit dem finalen Shot vollständig zunichte gemacht, ohne dabei allerdings den Eindruck zu erwecken, so etwas wie eine Antwort auf die Ereignisse bieten zu wollen. In «The Witch» regiert der Gedanke, sich zu jeder Zeit unbedingt von den Sehgewohnheiten des Horrorliebhabers lossagen zu wollen, doch dem Regisseur fehlt der Mut, das dann auch tatsächlich bis zum bitteren Ende durchzuziehen. Das alleine würde «The Witch» mitnichten zu einem unterklassigen Film machen. Doch mit der durchscheinenden Überlegtheit, mit der sich die Produktion dem Zuschauer präsentiert, macht der Kinobesuch angesichts des nicht eingehaltenen Versprechens der Innovation wenig Spaß.

Fazit


«The Witch» beginnt atmosphärisch, doch als Regisseur Robert Eggers merkt, dass die Stimmung allein seinen Film nicht besonders macht, verliert sich seine Produktion in handelsüblichem Genre-Gewäsch, dem Figuren zum Opfer fallen, die ohne jedes Profil auskommen. Potenzial verschenkt!

«The Witch» ist ab dem 19. Mai in den deutschen Kinos zu sehen.

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Nr27
18.05.2016 18:07 Uhr 1
Erstmal: Nein, "The Witch" ist kein Meisterwerk. Ein guter Film ist er trotzdem, allerdings einer, der von seinem Publikum einiges einfordert: allem voran die Bereitschaft, sich auf eine archaische Welt einzulassen mit Figuren, die eben nicht - wie in so vielen in der Vergangenheit spielenden Filmen - wie heutige Menschen reden und denken, sondern die komplett in ihrer tiefreligiösen Weltsicht verwurzelt sind. Einer Weltsicht, die aus heutiger Sicht (weißgott nicht nur für Atheisten) eher haarsträubender, mitunter lachhafter Aberglaube ist als Religion, wie wir sie verstehen. Und die gerade deshalb so authentisch ist für eine Zeit, in der Hexen und der Teufel keine Spukgestalten waren, mit denen man kleine Kinder erschreckt, sondern eine vermeintlich sehr reale Bedrohung (nicht umsonst besteht das Gesprochene zum Großteil aus Gebeten und ist ansonsten aus historischen Dokumenten aus der Zeit der Hexenverfolgung übernommen). Wenn man willens und fähig ist, sich in diese - übrigens unter Vermeidung der meisten Klischees sehr feinfühlig und ambivalent gezeichneten - Figuren und ihr Weltbild einzufinden, dann erkennt man, daß sie sich aus ihrer Perspektive sehr wohl glaubwürdig, ja sogar vernünftig verhalten.



Bereits als ich den Film sah, war mir klar, daß diese in der Tat außerordentlich originelle Vorgehensweise bei vielen Zuschauern verschenkt sein würde - wer "The Witch" mit dem vergleicht, was sonst heutzutage im Kino läuft (und das ist keineswegs abwerten gemeint), der gerät natürlich leicht in Versuchung, den Film langweilig oder einfach nur absurd zu finden, zumal er eben sehr wenig mit einem Horrorfilm zu tun hat. Und das ist ja auch nicht schlimm. Trotzdem hoffe ich, daß sich genügend Leute finden, die das Außergewöhnliche an "The Witch" erkennen und sich auf ein Filmerlebnis einlassen, das man so konsequent sehr selten präsentiert bekommt. Daß das Frau Wessels nicht gelang, liegt meines Erachtens vor allem darin begründet, daß sie offensichtlich schon die Intention des Regisseurs und Drehbuch-Autors mißverstanden hat (wie speziell der Abschnitt "Fauler Zauber" nachdrücklich beweist - das Ende als Absprungpunkt für eine Fortsetzung? Echt jetzt? Puh ...).



P.S.: Mich würde ja wirklich mal interessieren, wo es in "The Witch" einen Jumpscare geben soll ...
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