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«Wayward Pines»: Und man versprach, es werde das neue «Twin Peaks»

von

«The Sixth Sense»-Regisseur M. Night Shyamalan begibt sich mit angeknackstem Ruf ins Fernsehen - und verspricht, ein «Twin Peaks» für die aktuelle Generation zu kreieren. Ob ihm dies gelingt, verrät Antje Wessels.

Folge 1: «Das Paradies auf Erden»

  • Genre: Mystery/Drama
  • Laufzeit: 44 Min.
  • Kamera: Amy Vincent
  • Musik: Dave Porter
  • Schöpfer und Buch: Chad Hodge
  • Regisseur: M. Night Shyamalan
  • Darsteller: Matt Dillon, Melissa Leo, Carla Gugino, Terrence Howard, Toby Jones, Reed Diamond, Juliette Lewis, Tim Griffin, Shannyn Sossamon, Charlie Tahan, Malcolm Goodwin
  • OT: Where Paradise is Home (USA 2015)
Regisseur M. Night Shyamalan hat ein Imageproblem. Dies hatte er nicht von Anfang an: Mit «The Sixth Sense» gelang dem Filmemacher 1999 einer der Kultfilme des modernen Mysterykinos, der die Verwendung eines alles infrage stellenden Twists noch näher an das Mainstream-Publikum heranführte als es in den Sechzigerjahren bereits Alfred Hitchcocks «Psycho» vermochte. Es folgten mit «Unbreakable – Unzerbrechlich», «Signs – Zeichen» und allen voran «The Village – Das Dorf» weitere Produktionen, die mit demselben Prinzip aufzutrumpfen versuchten, doch während bereits diese Filme wohl vor allem deshalb nicht an den Erfolg von Shyamalans Debüt anknüpfen konnten, weil das Publikum die immer gleiche Erzählstruktur langsam aber sicher durchschaute, folgten die ersten Kollateralschäden am Ruf des Filmemachers bereits mit «Das Mädchen aus dem Wasser». Das Fantasymärchen über die Beziehung eines Mannes zu einer Nymphe bewies mit Nachdruck, dass der Regisseur ohne Zuhilfenahme seiner berühmten Schlusspointe ein auf weitem Feld verlorener Geschichtenerzähler ist, was sich mit «The Happening» und spätestens «Die Legende von Aang» bestätigte. Nach dreijähriger Schaffenspause versuchte er sich 2013 erneut an der Konzeption eines Filmes ohne doppelten Boden und ohne seinen Namen für Marketingzwecke herzugeben. Doch auch «After Earth» ging am Box-Office unter – und das, obwohl der Name Will Smith zum damaligen Zeitpunkt eigentlich noch ein Garant für internationale Kassenschlager war.

Dem Kino hat M. Night Shyamalan seither den Rücken gekehrt. Sein Weg führt ihn wie viele seiner Kollegen zurück ins Fernsehen, das, so hört man seit einigen Jahren immer wieder, momentan ohnehin stärkere Geschichten zu bieten hat als Hollywood. Der erste Trailer der Fox-Serie «Wayward Pines» ließ massig Bezüge zu wegweisenden TV-Formaten vergangener Jahrzehnte erkennen. Die mit Matt Dillon («L.A. Crash»), Juliette Lewis («Im August in Osage County»), Melissa Leo («The Fighter») und Terrence Howard («Prisoners») namhaft besetzte Serie erinnert auf den ersten Blick an eine Mischung aus Sendungen wie «Twin Peaks», «True Detective», «Eureka» und «Under the Dome» – Formate, wie sie unterschiedlicher eigentlich kaum sein könnten und doch einen gemeinsamen Dreh- und Angelpunkt besitzen: einen geheimnisvollen Ort als Urheber von Spuk und Unannehmlichkeiten.

Auch die kruden Figuren tragen ihren Großteil dazu bei, dass die von Matt Dillon gespielte Hauptfigur Ethan Burke, ein Secret Service Agent, der durch einen Unfall in der ominösen Stadt Wayward Pines in Idaho landet, schon bald nicht mehr weiß, was inmitten der dichten Pinienwälder eigentlich wirklich vor sich geht. So ist der Plot auch bereits recht simpel zusammengefasst: Polizist Ethan Burke macht sich auf die Suche nach Antworten auf solche Fragen wie „Warum gibt es in Wayward Pines keine Grillen, sodass das Gezirpe der possierlichen Insekten via Lautsprecher auf die Straßen getragen wird?“. „Weshalb bittet ihm noch am Tage seines Unfalles die charmante Kellnerin Beverly ihre Hilfe an, deren Existenz jedoch einen Tag später von Jedermann im Dorf geleugnet wird?“ „Und warum ist die gesamte Stadt von einem riesigen, undurchdringbaren Elektrozaun umgeben?“.

Die einzelnen Fragen mögen für sich genommen interessant wirken, denn M. Night Shyamalan, mit dessen Namen zwar vorab immer wieder geworben wurde, der jedoch lediglich eine einzige der ersten zehn Folgen – den Piloten – inszenierte und die Serie vornehmlich als Produzent beaufsichtigte, findet für die Kreation der vielen unterschiedlichen Ideen keine einheitliche Grunddynamik. Bereits die ersten 45 Minuten der Serie sind so vollgepackt mit merkwürdigen Charakteren, falschen Fährten und Ecken, hinter denen garantiert ein weiteres Mysterium steckt, dass bei so viel überbordender Fantasie schnell der Eindruck entsteht, um eine stringente Erzählung würde es den Machern gar nicht gehen. Stattdessen überbietet man sich im Detail mit immer absurder werdenden Szenarien und kreiert die Figuren so undurchsichtig wie nur möglich.

Das alles führt zwar zu einer enormen Kurzweil und ohne die Buchvorlage „Pines“ von Blake Crouch zu kennen, vermag es «Wayward Pines» auch tatsächlich, das Publikum über den Faktor der Neugierde bei Laune zu halten. Doch das große „Aber“ findet sich in der Atmosphäre: Anders als die eingangs erwähnten Vorbilder «Twin Peaks» oder «True Detective» mangelt es «Wayward Pines» an der notwendigen, beklemmenden Stimmung. Die Serie kratzt in jedweden Facetten ihrer Konzeptionierung lediglich an der Oberfläche; die Figuren bleiben zunächst blass und die Absurditäten haben die Eindringlichkeit einer Folge der Neunzigershow «X-Factor – Das Unfassbare».

Doch bei der Betrachtung einer Auftaktepisode gilt es vor allem, das vorhandene Potenzial zu bewerten und dieses lässt sich «Wayward Pines» tatsächlich nicht absprechen. Während die Schauspieler alles geben, den notwendigen Tiefgang in die Verkörperung ihrer Figuren zu stecken und gerade Matt Dillon in der Hauptrolle überzeugt, stimmt auch die technische Aufbereitung. Der zurückhaltende Score hängt wie ein Damoklesschwert über der bedrohlichen Szenerie, die Kameraarbeit verstärkt diesen Eindruck mit der Kreation teils surrealistischer Bilder, worin sich jedoch auch Vorbilder wie «Twin Peaks» erkennen lassen. Allen voran ist es wohl die in Ansätzen verrückt erscheinende Vorzimmerdame der örtlichen Polizeiwache, die stellvertretend diesen Eindruck aufrechterhält, doch mit der Grundidee, dass jeder Charakter in Wayward Pines eine dunkle Seite zu haben scheint, ist das Vorbild schon zur Genüge zurate gezogen worden. Wohin die Serie genau will, das vermag man nach dem Piloten jedoch noch nicht ganz zu erraten. Mit schwachen Referenzen an Bekanntes und der Zuhilfenahme eher weniger kreativer Versatzstücke des Mysterykinos, die Shyamalan aus dem Effeff beherrscht, könnte hier schlussendlich doch noch alles drin sein.

Fazit: Die zehnteilige Serie «Wayward Pines» offenbart in der ersten Folge noch wenig Potenzial für einen ähnlichen Kulthit wie es einst «Twin Peaks» zu sein vermochte. Stattdessen halten sich die Macher an einer bemühten Verneigung vor dem wegweisenden Genreformat auf und geben wenig auf eigene Ideen. Doch wie es bei Produktionen von M. Night Shyamalan nun mal so ist, steht und fällt das Projekt wohl auch hier mit der Schlusspointe – und zwischen der und dem Serienauftakt liegen noch über 400 Minuten in der unheimlichen Stadt Wayward Pines.

«Wayward Pines» ist ab dem 14. Mai jeden Donnerstag im Fox Channel zu sehen.

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