360 Grad

Only in America?

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Die «Daily Show» hat mal wieder einen Politiker sich vor laufender Kamera demontieren lassen. Wenn das in Deutschland passiert, sind die Reaktionen aber ganz andere als in Übersee. Ein Kommentar.

Ein paar Basics vorne weg: Der amerikanische Voting Rights Act hat einen entscheidenden Teil dazu beigetragen, das Freedom-Rights-Movement gelingen zu lassen. Als das Gesetz jedoch vor einigen Monaten vor dem Supreme Court auf den Prüfstand kam, wurde so mancher Passus als verfassungswidrig eingestuft und gestrichen. Diese Entscheidung, so zumindest eine Vielzahl amerikanischer Journalisten und Politanalysten, kann nun systematisch von der republikanischen Partei missbraucht werden, um traditionell demokratischen Wählern den Gang zur Urne zu erschweren.

Natürlich ist aber kein Republikaner so blöd, das offen zuzugeben. Nein, nein, hinter all den neuen Wahlgesetzen in den betroffenen Bundesstaaten steckt nur der Gedanke, Wahlbetrug zu verhindern.

Moment: Habe ich da gerade „kein Republikaner“ gesagt? Doch, einen gibt’s da schon. Don Yelton aus North Carolina, einem dieser betroffenen Bundesstaaten. Yelton ist da Wahlkreisvorsitzender. Oder besser: war.

Dieses entscheidende Geständnis, samt so manch anderen gänzlich inakzeptablen Äußerungen, fiel jedoch nicht beim Establishment. Weder Wolf Blitzer noch Brian Williams war Yeltons Gesprächspartner, als der sich so unaufhaltsam in den Abgrund redete. Es war Aasif Mandvi von der «Daily Show», einem der Vorbilder der deutschen «heute-show».

Eine solche Geschichte wird in Amerika natürlich dankbar aufgenommen. Die sichtlich fröhliche Rachel Maddow übernahm gleich mal die politische Einordnung. Wer den Schaden hat, brauch für den Spott nicht zu sorgen. Für den Verlust seines Postens erst recht nicht.

Das ist nicht der erste große politische Offenbarungseid, den die «Daily Show» herbeiführen konnte. Er wird jedoch so richtig interessant, wenn man sich daran zurückerinnert, was bei der «heute-show» vor drei Jahren passiert ist. Martin Sonneborn führte damals ein Interview mit einem Pharmalobbyisten und die «heute-show» sendete schließlich die interessantesten Statements; nämlich die, die fielen, als der Lobbyist gerade mit Sonneborn laut überlegte, wie er sich am besten ausdrückt, um den Interessen der von ihm vertretenen Unternehmen nicht zu schaden. Dass das Ergebnis für ihn peinlich ausfiel, ist eine Untertreibung. Es war ein handfester Skandal.

“Das war eine echte Schweinerei“, sagte der Lobbyist später. Aber nein, so hat er sich nicht über sich selbst geäußert, sondern über das ZDF. Man habe ihm gesagt, das Interview hätte „in einer der «heute»-Sendungen, bevorzugt im «heute-journal»“ gesendet werden sollen. Worauf Thomas Bellut es den «heute-show»-Autoren untersagte, mit der Marke „heute“ Interviews zu akquirieren. Ein in der Essenz ja durchaus verständlicher Schritt, um die Integrität des soliden Nachrichtenjournalismus nicht zu beschädigen. Aber letztlich doch auch eine Entscheidung für den Unternehmenssprech, der auch die entfernteste Ecke des Wahrheitsbegriffes ausnutzt, um dem Zuschauer/Konsumenten nichts sagen zu müssen, das dem Unternehmen unangenehm sein könnte.

Interessant ist dabei jedoch vor allem eines: nämlich die unterschiedlichen Reaktionen, die es hervorruft, wenn eine Satireshow einmal echten Nachrichtenwert produziert. In den USA herrscht – mit Ausnahme der Betroffenen – kollektiver Beifall, während man in Deutschland immer noch die latente Angst hat, die Machtmenschen könnten vom Stühlchen aufstehen.

Wäre es nicht dem Informationsgehalt und der politischen Streitkultur förderlich, wenn Journalismus sich auch hierzulande das trauen würde, was er sich in Amerika traut, und Satire nicht nur die verspielte Randkategorie bleibt, die vom seriösen Politjournalismus getrennt bleiben muss?

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