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25 Jahre MTV Europe – ein Grund zum Feiern?

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Stell dir vor, du hast Geburtstag – und keiner guckt hin! In der vergangenen Woche feierte MTV Europe sein 25-jähriges Bestehen. Doch MTVs goldige Zeiten sind schon lange vorbei. Ein ganz kurzer Rückblick auf die Geschichte des Musikfernsehens…

„Ist das Musikfernsehen gestorben?“ Diese Frage haben sich unsere Forenuser schon 2008 gestellt – und sie kann spätestens seit 2011 bejaht werden. Als MTV ins Pay-TV gegangen ist, sind auch viele Zuschauer gegangen. Zuschauer, die vermutlich noch mit MTV Europe aufgewachsen sind. Am 1. August 1987 startete das europäische Musikfernsehen, genau sechs Jahre nachdem MTV in den USA das Licht der Welt erblickte. Musikclips waren damals noch das A und O, Formate wie «MTV's Greatest Hits», «MTV's Most Wanted», «Beavis and Butt-Head» und großartige Moderationstalente wie beispielsweise Ray Cokes dürften den Zuschauern noch heute ein Begriff sein.

In den 90er-Jahren änderte sich vieles. 1993 bekam MTV Konkurrenz durch VIVA, das im Gegensatz zu MTV auf ein komplett deutschsprachiges Programm setzte. 1997 zog man daraus die Konsequenzen – und startete mit MTV Germany durch. Das Programm bestand nunmehr aber auch aus Realityshows und zahlreichen anderen Formaten, die nur am Rande etwas mit Musik zu tun hatten. Die Moderatoren machten das Programm interessanter: Hier wären zum Beispiel Sendungen wie «MTV Select» oder das «MTV News Mag» zu nennen – beides Formate, die aus dem Nachmittag nicht wegzudenken waren und ohne die sogenannten Video-Jockeys (Kurzform: VJs) nicht funktioniert hätten. Erstere Sendung legte ihren Fokus auf die Interaktivität der Zuschauer; ähnlich wie es VIVA mit «Interaktiv» getan hatte. Zuschauer konnten sich Musikclips wünschen, im Studio anrufen und ihren Stars somit ein wenig näher kommen.

Heute gibt es eine solche Sendung nicht mehr. Letztes Überbleibsel war zuletzt «Total Request Live» bzw. «TRL», das seinerzeit (1998-2008) täglich vom New Yorker Times Square gesendet wurde. Pop-Sternchen wie Justin Timberlake oder Eminem gaben sich hier die Klinke in die Hand; alles vor kreischendem Livepublikum. Nach zehn Jahren und 2.247 Ausgaben war in den USA Schluss – zu niedrige Quoten. Gegen Ende schalteten weniger als 400.000 Zuschauer ein. Mit «The Seven» starteten die Amerikaner im September 2010 zwar einen inoffiziellen Nachfolger der Live-Show, jedoch wurde dieser schon im Sommer des darauffolgenden Jahres abgesetzt. Hierzulande löste «MTV Home» das einstige Flaggschiff des Senders ab, diese Sendung war 2011 aber ebenfalls Geschichte.

Die VJs wurden zunehmend unwichtiger, heutzutage gibt es kaum noch Formate, die auf sie aufbauen. Zahlreiche VJs haben jedoch längst den Sprung geschafft und konnten sich einen Namen machen. Stefan Raab («Vivasion», «Ma' kuck'n») ist heute einer der erfolgreichsten TV-Entertainer, Heike Makatsch («Interaktiv», «Heikes Hausbesuche») eine auch international anerkannte Schauspielerin. Viele, viele weitere VJs von MTV und VIVA können eine ähnliche Karriere vorweisen. Klaas Heufer-Umlauf, Joko Winterscheidt, Markus Kavka, Daisy Dee, Gülcan Kamps, Oliver Pocher, Nela Panghy-Lee, Sarah Kuttner, Nils Bokelberg, Christian Ulmen – zweifelsohne alles Namen, die man sofort einordnen kann.

Dennoch war der Quotendruck groß, schließlich sprachen beide Sender die gleiche Zielgruppe an. Immer wieder lieferten sich MTV und VIVA enge Quotenduelle, die meist MTV entscheiden konnte. 2004 gelang MTV dann ein Coup: die Übernahme von VIVA. Aus heutiger Sicht sicherlich ein Verlustgeschäft, befand sich das Musikfernsehen doch schon zu diesem Zeitpunkt am Scheideweg.

In diesem Atemzug zog VIVA recht zügig von Köln nach Berlin um. Damit einher ging eine Neuausrichtung: Während MTV eher die männlichen Zuschauer auffangen sollte, sollte sich VIVA um die weiblichen Zuschauer kümmern. Für eine Zeit lang hielt man sich an dieses Konzept, später fing man jedoch an zu experimentieren, indem man die Viacom-Formate munter hin- und her schob. Mal bei MTV, mal bei Comedy Central, mal bei VIVA – hauptsache, es brachte die gewünschten Ergebnisse. (Bestes Beispiel ist hierfür «Drawn Together», von denen die insgesamt nur 36 Episoden inzwischen auf allen Viacom-Sendern außer Nickelodeon zu sehen waren; bis heute wird der Comedy-Central-Cartoon in Dauerschleife gesendet, erzielt aber dennoch weiterhin ansehnliche Zahlen.) Zahlreiche Sparmaßnahmen, dank derer dann auch sämtliche Eigenproduktionen verschwanden, verschlimmerte die Situation noch.

Bis 2011 konnten beide Sender koexistieren. Doch zum 1. Januar 2011 zog Viacom einen Schlussstrich. Drei Sender im Free-TV – MTV, VIVA, Nickelodeon/Comedy Central – waren einer zu viel, so wohl die Bilanz. Die Folge: MTV gibt es fortan nur noch gegen Geld, VIVA hingegen darf weiterhin frei empfangen werden und fungiert jetzt als „Schaufenster für die Welt von MTV Networks“. VIVA ist heute also so etwas wie ein Gemischtwarenladen, auf dem alles zu sehen ist. Freilich eine komfortable Lage für den Sender: Wofür teure Lizenz-Formate einkaufen, wenn man auf den Viacom-Pool zurückgreifen kann?

Natürlich bestätigen auch hier Ausnahmen die Regel, doch inzwischen ist VIVA in der Primetime hauptsächlich mit Viacom-Formaten bestückt. «Punk’d», «Jersey Shore», «SpongeBob Schwammkopf» und «Drawn Together» hätte es früher nicht gegeben. Musik in der Primetime erlaubt sich VIVA nur noch um 20.15 Uhr – und selbst das bloß an Werktagen. Angesichts der gestiegenen Quoten besteht auch kein Grund zu Änderungen: 2011 kam der Sender auf einen durchschnittlichen Marktanteil von 2,4 Prozent bei den 14- bis 29-Jährigen. Zum Vergleich: 1,8 Prozent waren es im Vorjahr. Die Strategie geht auf.

Und weil das funktioniert, gibt es VIVA inzwischen auch in anderen Ländern – mit derselben Ausrichtung. VIVA sendet in fünf weiteren Ländern, darunter seit Oktober 2009 in England. In Polen, Ungarn, Irland und Österreich gibt es VIVA ebenfalls, teils sogar mit identischem Design.

Klassische Musiksender sucht man bei Viacom also vergebens – es sei denn, man wirft einen Blick ins Pay-TV, wo es neben MTV eben auch noch Sender wie MTV Live HD oder MTV Music gibt. Diese haben allerdings eine sehr kleine Playlist, was dazu führt, dass die Musikclips viel zu oft wiederholt werden. Der etwas qualitätsbewusstere Zuschauer wird hier also keinen Spaß haben. Vermutlich wird dieser ohnehin längst auf das Internet ausgewichen sein.

Im Gegensatz zum linearen Fernsehprogramm bietet das Web viel mehr Freiheiten. Und dort scheint das Musikfernsehen noch nicht tot zu sein, im Gegenteil: tape.tv zeigt, dass es sogar noch für Qualität stehen kann. Neben einem 24-Stunden-Programm hat man dort auch jederzeit Zugriff auf ein riesiges Videoarchiv. Livekonzerte runden den Internetsender ab. MTV Networks/Viacom haben mittlerweile zwar ihre eigenen Videodienste, jedoch kamen diese zu spät. MTV Overdrive, so hieß die erste Videoplattform von MTV, auf denen man Musikclips und Shows kostenlos ansehen konnte, startete erst 2006. Damals war der Zug allerdings schon abgefahren, denn mit Portalen wie YouTube taten sich schon früher Alternativen auf.

Um auf die obige Frage zurückzukommen: Ja, das Musikfernsehen mag schon lange tot sein – aber nur im klassischen Fernsehen. MTV Europe, MTV oder VIVA mögen keine Rolle mehr spielen, das Internet schon. Oder um es mit Robbie Williams Worten zu sagen: „Reality Killed The Video Star.“

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