Sonntagsfragen

«ESC»-Kommentator Peter Urban: „Immer nur schön neutral sein, wird langweilig“

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Es ist wieder Zeit für den «Eurovision Song Contest». Mit dabei ist auch Deutschland – nicht nur auf der Bühne, sondern auch hinter der Kamera: Die Kölner Produktionsfirma Brainpool TV, die auch Shows wie «TV total» realisiert, wird nach dem «ESC» in Düsseldorf auch in Baku für eine große Show sorgen. Das komplette technische Equipment kommt aus Deutschland, sodass die Produktionskosten deutlich höher ausfallen. Auch Regisseur Ladislaus Kiraly, der sonst Shows wie «Schlag den Raab» inszeniert, ist erneut beim «ESC» beteiligt – genau wie „die Stimme des Song Contests“, Peter Urban. Das Medienmagazin Quotenmeter.de sprach mit dem «ESC»-Kommentator über die größte Musikshow Europas, welche nicht nur an diesem Final-Samstag dank Austragungsort Aserbaidschan wie selten zuvor in der Kritik steht.

Peter Urban, was macht den Reiz des «Eurovision Song Contest» aus?
Der Reiz ist, dass 120 Millionen Leute zuschauen und damit ganz Europa verbunden ist. Man erhält einen Einblick in deren Musikgeschmack. Nun hat sich der in den letzten 20 Jahren internationalisiert, das heißt, dass sich englischsprachige Nummern von Rock bis Dance durchgesetzt haben. Daher sind die nationalen Unterschiede nicht mehr so stark wie früher ausgeprägt, aber es gibt sie noch. Das finde ich persönlich zum Beispiel sehr interessant. Aber manche der Performances sind so schrill und eigentümlich lustig, dass es Spaß macht, sich das anzugucken. Oft gibt es gerade in den beiden Halb-Finalen die richtigen Knaller zu sehen - die es dann nicht in das Finale schaffen.

Stimmt, dennoch wurden die beiden Halb-Finale lediglich in den Dritten-Programmen bzw. Digitalsendern übertragen und nicht im reichweitenstärkeren Ersten…
Andere Länder senden die erst gar nicht. Das ist auch verständlich, denn das Masseninteresse ist da nicht vorhanden. Insofern kann man das auch in ARD-Programmen zeigen, die in ganz Deutschland zu sehen sind. Dienstag wurde das erste Halb-Finale auf EinsFestival und später als Wiederholung im NDR Fernsehen gezeigt. Das zweite Halb-Finale lief dann bei Phoenix. Klar, mir wären natürlich noch mehr Zuschauer recht, aber das ist schon vertretbar. Gerade am Donnerstag war es interessant einzuschalten: Deutschland konnte beim zweiten Halb-Finale mit abstimmen und Lena trat gemeinsam mit den übrigen Gewinnern der letzten fünf Jahre auf.

Wie schätzen Sie die Einschaltquoten ein? Der „Lena-Hype“ scheint etwas abgeebbt...?
Ja, das ist natürlich nicht immer zu erreichen. Oslo und Düsseldorf waren extrem tolle Jahre. Die Akzeptanz beim «ESC» geht immer in Wellen. Im Durchschnitt 15 Millionen, in der Spitze bis zu 20 Millionen – das waren Sternstunden! Aber ich glaube, dass der «ESC» ein Kult-Ereignis ist, das viele Leute immer wieder auch auf großen Partys oder Events gucken. Insofern ist die Akzeptanz nach wie vor sehr groß. Wir freuen uns, wenn wir die Menschen erreichen. Und ich bin mir sicher: Die Zuschauer können auch bei diesem «ESC» wirklich viel Spaß haben, denn die gleichen Leute produzieren wie letztes Jahr in Düsseldorf.

Spaß scheinen Sie auch bei Ihren teils ironischen Kommentaren zu haben, die mittlerweile fast Kult sind. Gab es da nicht schon einmal Beschwerden?
Da muss man natürlich aufpassen. Man darf nicht alles zynisch sehen, sondern muss den goldenen Mittelweg gehen. Ich versuche immer das auszudrücken, was der Zuschauer sowieso schon Zuhause denkt. Wenn man das so erwischt, findet man einen gemeinsamen Nenner. Das verbindet und man kann gemeinsam lachen. Es ist immer am Schönsten, wenn ich später höre: Du, da hast Du den mit dem und dem verglichen, der sah ja aus wie Gerhard Delling – genau dasselbe habe ich auch gedacht… Wenn man das schafft, dann finde ich das einen guten Moment. Außerdem kann man natürlich nicht alles ernst nehmen, was da abläuft: Manche Kostüme oder Performances sind so schräg, dass man schon mal etwas sagen muss. Aber man muss dabei aufpassen, dass die Leute nicht negativ beeinflusst werden, denn die sollen nachher noch abstimmen. Trotzdem muss man auch mal sagen, wenn man etwas dagegen besonders gut findet. Die Leute sind selbständig genug, dass die ihr Abstimmungsverhalten nicht von mir beeinflussen lassen. Wenn es immer nur schön neutral ist, dann wird eine Sache wirklich langweilig. Man muss auch mal Spitzen setzen.

Überspitzt gefragt: Wie viel Humor braucht man für Ihren Job?
Man muss es manchmal leicht schmunzelnd nehmen – aber auch mit Respekt. Ich liebe Musik und ich freue mich, wenn da tolle Musik stattfindet. Die findet auch wirklich statt – nicht bei jedem Song, aber über eine weite Strecke des Abends. Ich gehöre nicht zu denen, die es total in die Comedy-Ecke setzen, wie es zum Beispiel jahrelang in Großbritannien gemacht wurde. Die haben sich nur noch über jede Sache lustig gemacht, sogar teils mit sehr bösen, national gefärbten Anmerkungen. Das fand ich unfair. Man muss mal ironisch eine Anmerkung machen und schmunzeln, aber auf keinen Fall so weit gehen, das Ganze lächerlich zu machen.

Sie kommentieren den «ESC» seit 1997. Was zählt zu Ihren «ESC»-Highlights?
Das ist immer ganz schwer zu sagen. Aber es ist natürlich toll, wenn die deutsche Sängerin gewinnt und man das kommentiert hat. Totale Überraschung in Oslo: Lena war zwar Mitfavoritin, aber ich hätte trotzdem nie mit gerechnet, dass sie auch gewinnt. Das war schon wirklich ein Highlight. Dann war es natürlich auch toll, die Freude der türkischen Gewinnerin 2003 in Riga mitzubekommen. Die Sängerin Sertab Erener hat mit einem Dance-Titel gewonnen, welcher in der Türkei selbst sehr angefeindet wurde, da der englischsprachige Titel dort als nicht passend für türkische Frauen angesehen wurde. Das war so eine Freude auf der Bühne, wunderbar. Dann hängt es manchmal natürlich auch vom Ort ab. Es gab zum Beispiel auch einen sehr schönen «ESC» in Jerusalem, das war sehr eindrucksvoll. Oder in einem Land zu sein, in denen der «ESC» absolut wichtig ist, wie Dänemark oder Schweden, wo es einfach zum nationalen Interesse gehört, da gut abzuschneiden.

Das stimmt. Nun kommt der «ESC» aber nach Aserbaidschan, wo es um die Pressefreiheit oder Menschenrechte bekanntlich nicht so gut bestellt ist…
Natürlich wäre es mir auch lieber, dass dort dieselben Standards gelten wie bei uns. Es ist zwar die größte Fernsehmusikshow der Welt, aber sie schwebt ja nicht im luftleeren Raum. Sie findet in einem Land statt, über deren politischen Hintergrund wir natürlich auch berichten müssen, was wir in der ARD ausführlich machen. Ich hoffe, dass die Bevölkerung davon profitiert, da diese sich auch sehr über den «ESC» freut und unheimlich stolz auf die Austragung ist. Wenn dann auch noch eine Lanze für die Meinungs- und Pressefreiheit gebrochen wird, umso besser. Ein Regime, das im Zusammenhang mit einem internationalen Ereignis die Meinungsfreiheit unterdrückt, schadet sich selbst. Das verstehen manche Regime nicht, wie beispielsweise in der Ukraine. Aber gut, manche Leute sind weise und diplomatisch - Andere nicht. Ich hoffe, dass wir in diesem Falle dem Land und den Menschen helfen können. Denn so viel Aufmerksamkeit, wie Aserbaidschan in den letzten Monaten durch den «ESC» bekommen hat, hätten die sonst nie erreicht. Trotzdem sollte man die Richtlinien der EBU eventuell nochmal überdenken.

Zurück zur Musik: Welche ESC-Beiträge zählen für Sie zu den Favoriten 2012?
Favoriten sind immer schwer zu beurteilen, denn man nennt immer Länder, die dann doch nicht so hoch dabei sind. Ich habe ein ganz starkes Gefühl, dass die Schweden nach ganz oben kommen mit einer sehr modernen Dance-Nummer. Denn so spektakulär die russischen Großmütter auch sind – es entscheidet nicht nur das Publikum zu fünfzig Prozent, sondern auch die Jury. Für Russland wird damit zwar ein ganz guter Platz rauskommen, aber kein Sieg. Auf jeden Fall auch unter den Favoriten ist Großbritannien. Zuerst dachte ich: Mein Gott, die Engländer sind ja verrückt, einen 76-Jährigen alten Schnulzensänger zu schicken. Engelbert Humperdinck war früher schon nicht wirklich hip, sondern eher etwas für die Schwiegermutter. Aber nein, der Song ist einfach großartig und Engelbert singt das gar nicht schnulzig. Eine schöne Folk-Ballade. Wenn es nur nach der Qualität des Songs geht – und das sollte es ja eigentlich beim Song Contest – dann müssten die Briten gewinnen.

Und Roman Lob?
Roman Lob ist einer der wenigen totalen Mainstream-Nummern, die auch international im Radio laufen könnte: Ein sehr solider Popsong, der von ihm gut gesungen wird. Ich glaube schon, dass der gut ankommen wird – besonders bei der Jury, denn die Performance und der Song hat Qualität. Es könnte natürlich auch sein, dass diese eher ruhige Nummer etwas untergeht bei dem ganzen Tanz der anderen Performances. Aber ich glaube, die Qualität des Songs spricht für sich.

Zum Abschluss: Wenn Sie wetten müssten, wer siegt beim Eurovision Song Contest 2012?
Ganz schwierig. Ich habe immer auf Schweden getippt – aber das muss natürlich nichts heißen. (lacht)

Vielen Dank für das sympathische Gespräch.

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