Die Kino-Kritiker

«Der große Crash - Margin Call»

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Der brisante Finanzkrisenthriller «Der große Crash - Margin Call» ist das, was Oliver Stones «Wall Street 2» hätte werden sollen.

Dass die großen und in einigen Fällen noch immer allgegenwärtigen Tragödien des realen Weltgeschehens auch stets ihre filmische Verarbeitung erfahren, ist wohl kein großes Geheimnis. So ist es auch wenig verwunderlich, dass sich Filmemacher, an so ein komplexes Thema wie die vor allem durch die US-Immobilienkrise des Jahres 2007 ausgelöste und nach wie vor aktuelle Finanzkrise wagen, welche die Weltwirtschaft maßgeblich erschütterte und insbesondere auch in Europa in Form einer Währungskrise spürbar wurde. Bereits im letzten Jahr erhoffte man sich durch Oliver Stones «Wall Street: Geld schläft nicht» den bissigen filmischen Kommentar zu dieser prekären Situation.

Doch in jener Hinsicht enttäuschte die späte und allzu brave Fortsetzung des viel beachteten Klassikers aus dem Jahr 1987 auf ganzer Linie. Der einst so mutige und kontrovers diskutierte Oliver Stone («JFK - Tatort Dallas», «Natural Born Killers») wurde jedoch schon mit seinen beiden Vorgängerfilmen «World Trade Center» (2006) und «W.» (2008) seinem früheren Ruf keineswegs mehr gerecht. So hat nun erst in diesem Jahr der amerikanische Regieneuling J.C. Chandor mit seinem starbesetzten Langfilmdebüt «Der große Crash - Margin Call», das vollbracht, woran Altmeister Stone gescheitert ist. Mit seinem großartig geschriebenen Finanzdrama, das bei der diesjährigen Berlinale für den Goldenen Bären nominiert war, zeichnet er ein authentisches Bild der wirren Mechanismen des US-Finanzmarktes, bei dem die mit diesem Bereich nicht allzu vertrauten Zuschauer jedoch zeitweise auf der Strecke bleiben.

Im Mittelpunkt des Films steht eine große Investmentbank an der New Yorker Wall Street. Wie bereits mehrfach in der Firmengeschichte, sieht sich diese mit erheblichen personellen Einschnitten konfrontiert. Ganze 80 Prozent der Risikoanalyse-Abteilung werden entlassen. Auch die Karriere des seit fast zwei Jahrzehnten für das Unternehmen tätigen Abteilungsleiters (Stanley Tucci, «Der Teufel trägt Prada») findet so ein jähes Ende. Bevor dieser sein Büro allerdings endgültig räumt, entschließt er sich dem Neuling Peter Sullivan (Zachary Quinto, «Heroes») das Projekt zu übergeben, mit dem er aktuell beschäftigt war. Als sich der ehrgeizige Peter den entsprechenden Daten widmet, stößt er allerdings schon bald auf Erschreckendes.

Bis dato unbemerkt, übersteigen die Verluste, die sich aus zahlreichen wertlosen Papieren, welche die Bank besitzt und in Umlauf gebracht hat, ergeben, bei weitem den Wert des Unternehmens. Doch kann dies nicht nur die Existenz der gesamten Firma gefährden, sondern gar den weltweiten Finanzmarkt in ein Chaos stürzen. Schnell wendet sich Peter an seine beiden direkten Chefs (Paul Bettany, «The Tourist»; Kevin Spacey, «American Beauty»), die nicht minder schockiert reagieren. So dauert es nicht lange bis die Suche nach einer Lösung für das Problem auch den skrupellosen Vorstandsvorsitzenden der Investmentbank (Jeremy Irons, «Das Geisterhaus») auf den Plan ruft. Doch zu jenem Zeitpunkt scheint eine Krise schon nicht mehr abwendbar.

«Der große Crash - Margin Call» gibt sich dabei im Grunde als Kammerspiel, beschränkt sich das mit einem Budget von gerade einmal 3,5 Millionen US-Dollar realisierte Independent-Drama doch nur auf wenige Schauplätze und Figuren sowie einen Haupthandlungszeitraum von lediglich 24 Stunden. Dieser Minimalismus tut der Atmosphäre sichtlich gut. In fast jeder Szene ist die Anspannung der Protagonisten zu spüren. Auf sehr subtile Art und Weise werden ihre Verzweiflung und die weitestgehende Hilflosigkeit vor Augen geführt, obwohl sie beim Agieren in ihrer nach außen fast schon unwirklich anmutenden und täglich mit Millionen-, wenn nicht gar Milliardenbeträgen jonglierenden Finanzwelt bewusst sehr kalt und distanziert bleiben. Dabei werden das bisweilen zweifelhafte Moralverständnis und die ausschließlich auf größtmöglichen Profit orientierte Vorgehensweise der jederzeit so zerbrechlichen Branche schonungslos offen gelegt, ohne jedoch bereits ein abschließendes und allzu plumpes Urteil darüber vorzugeben.

Zum Funktionieren dieser Betrachtungen trägt zweifellos in erster Linie das überaus gelungene Drehbuch bei, das mit Dialogen aufwarten kann, die trotz der grundsätzlich trockenen Thematik oft zu fesseln wissen. Das haben sie jedoch in besonderem Maße der großartigen Darstellerriege zu verdanken, die sie zum Leben erweckt, allen voran Kevin Spacey als von moralischen Zweifeln geplagter Unternehmensveteran. Bei den geringen Produktionskosten ist es beachtlich, wie viel prominente Talente Regisseur und Autor J.C. Chandor um sich versammeln konnte. Seinem Film ist dies auf jeden Fall sehr zuträglich, ist es doch nicht zuletzt das Spiel der Darsteller, das die Zuschauer bei der Stange hält. Denn ungeachtet der geschliffenen Dialoge, hat die Handlung des Dramas mit einem eklatanten Problem zu kämpfen, das keinesfalls zu vernachlässigen ist.

Um einen möglichst akkuraten Eindruck des US-Finanzwesens zu vermitteln, hat Chandor nämlich fleißig aus dem Insiderwissen seines Vaters geschöpft, der jahrelang als Banker tätig war. Dies fördert zwar unbestritten die enorme Authentizität des Geschehens und sorgt somit für ein sehr stimmiges Gesamtbild, macht es den mit der Materie nicht allzu vertrauten Zuschauern aber mitunter schwer, dem Gesehenen zu folgen und die gesamte verheerende Tragweite der ernstzunehmenden Problematik nachzuvollziehen. Wenn der Regisseur mit dem Fachjargon der Branche und den Arbeitsabläufen im Finanzwesen nur so um sich wirft, setzt er hin und wieder bereits zu viel Wissen voraus und riskiert so, dass Rezipienten ohne grundlegendes Interesse für die Thematik ebenjenes auch am Film verlieren.

Somit ist «Der große Crash - Margin Call» minimalistisches und trotzdem großes Darstellerkino, das ob seiner wohl ausgearbeiteten Dialoge, der spannungsgeladenen Atmosphäre und der unterschwelligen Tragik immer wieder zu fesseln weiß, einen Großteil der potentiellen Zuschauer aufgrund des tiefgehenden Manövrierens in den für Außenstehende mitunter schwer nachvollziehbaren Abläufen der Finanzwelt jedoch hin und wieder aus der Geschichte wirft oder im schlimmsten Fall gar gänzlich kalt lässt. Vor allem Kinobesuchern, die der Thematik grundsätzlich nicht abgeneigt sind und auch gerne mal den Wirtschafts- oder Finanzteil ihrer Tageszeitung durchstöbern, bietet sich daher ein sehr sehenswertes und aufschlussreiches, teils auch erschreckendes Porträt über den Ausbruch der derzeitigen Finanzkrise. Kein neuer «Wall Street», unterm Strich aber um ein Vielfaches sehenswerter als «Wall Street 2».

«Der große Crash - Margin Call» ist seit dem 29. September in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

Kurz-URL: qmde.de/52352
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