Debatte

'Fragen Sie mich doch bitte, was ich gefragt werden will'

von

Wann ist ein Interview noch ein Interview? Dieser Frage geht Gastautor Mario Thunert nach.

Eigentlich hätte Max Eberl, Manager von RB Leipzig, am Samstagabend zu Gast im «aktuellen sportstudio» sein sollen, um Moderator und Journalist Jochen Breyer Rede und Antwort zu stehen. Eine Woche nach dem Spiel gegen seinen ehemaligen Verein Borussia Mönchengladbach, den er im Januar des vergangenen Jahres aufgrund eines gesundheitlichen Erschöpfungssyndroms verließ, und den (zum Teil unsäglichen) Anfeindungen von Gladbacher Fans gegen ihn, nachdem er einige Monate später beim verhassten Retorten-Konkurrenten des Red-Bull-Konzerns anfing. Die Partie und die über sie hinausgehenden Ereignisse waren damit von einer gehörigen Brisanz und damit von einer (sport-)journalistisch medialen Relevanz geprägt, über die auch der «sportstudio»-Moderator mit Eberl sprechen wollte. Doch dazu kommt es nicht. Denn wie am Donnerstag bekannt wurde, lud das ZDF ihn wieder aus – oder er sich? Wie Quotenmeter bereits berichtete und kommentierte (Link), entfaltet sich daran ein Widerspruch zwischen Sender (ZDF/Sportstudioredaktion) und Eberl. Laut ZDF wollte der Manager den ganzen Themenkomplex rund um seine Gladbacher Vergangenheit aus dem Interview ausklammern. Eine Ausklammerung, die man in Mainz nicht mittragen wollte, und ihn daraufhin auslud. Eberl erweckte den Eindruck, von sich aus auf das Interview verzichten zu wollen, um das Thema nicht weiter anzuheizen, nachdem er aus seiner Sicht bereits alles dazu gesagt hätte. Aus journalistischer Sicht darüber hinaus interessant: Wie der ‘Spiegel’ nach ‘dpa’-Informationen weiter berichtet, sei zwischen der «sportstudio»-Redaktion und Eberl hingegen bereits lange vor besagtem Spiel die Absprache getroffen worden, das Interview zukunftsperspektivisch auszurichten. Die aktuellen Geschehnisse rund um die Partie hätten beim ZDF aber zum Umdenken geführt, mit dem Bedürfnis, eben auch darüber sprechen zu wollen.

Soweit also der Status Quo – Wie Veit-Luca Roth bereits kommentierte, ein Widerspruch mit Aussage gegen Aussage, der sich wohl nicht mehr auflösen lassen wird. Man mag sich nichts weiter dabei denken, darüber hinweggehen und sagen: 'Geht er halt nicht hin'. Zwei Seiten hatten da unterschiedliche Vorstellungen und sind nicht zusammengekommen, ist doch in Ordnung, wer da jetzt recht hatte, bleibt unerheblich. Doch ist die Sache wirklich so in Ordnung? Ist sie wirklich so einfach? Nein ist sie nicht: Denn noch spannender als die Frage danach, wer hier Recht hat, ist die Frage, wer hier welche Rechte, oder gar die Oberhand hat, bzw. wer sie eben nicht hat, und zwar in Bezug auf die Führung eines Interviews. Hiermit führt der Fall über sich selbst hinaus, als Symptom in Form eines (journalistischen) Ungleichgewichts innerhalb einer diskussionswürdigen Interviewkultur, über die schon seit Jahren zu Recht gestritten wird. Und damit zu der Frage: Wann ist ein Interview noch ein Interview? Wie man es auch dreht und wendet: In diesem Falle hatte Max Eberl die Oberhand über das (sein?) Interview. Wie so oft inzwischen, war der Interviewte der letztendliche Abnehmer, Absegner bzw. die Autorisierungsperson des Gesprächs, und zwar schon bevor es geführt wurde! Er war letztlich die Person, die den größten Einfluss auf das Interview nehmen konnte, und nicht der Journalist, der es führt bzw. führen wollte (hier Jochen Breyer). Eben weil er es verhindert, wenn es ihm inhaltlich thematisch nicht passt, einfach weil er schon vorher wusste, über was gesprochen werden soll. Ist nicht genau diese Verteilung die Umkehr des eigentlichen journalistischen Anspruches? Sollte das Interview nicht eigentlich dem Journalisten, der es führt, gehören? In einer Situation und Konstellation, in der man von außen den Fragenschwerpunkt und Informationsgesuch unvoreingenommen an den Interviewpartner herantragen kann, damit dieser situativ darauf reagieren kann? Ist ein Interview noch ein Interview, wenn Themenspektren und Fragebereiche vorher abgesteckt, abgesprochen, ja gar 'abgenommen' werden? Oder ist es dann nicht vielmehr schon eine möglichst vorgeplante Erzählung (unter den Bedingungen des Interviewten), die mit dem am Anfang postulieren 'Rede und Antwort stehen' nicht mehr viel gemein hat? Wenn die Informationen aus dem ‘Spiegel’-Artikel stimmen, wäre zu hinterfragen, inwieweit dies auf das geplante «sportstudio»-Interview, auch unabhängig seines (Nicht-)Zustandekommens zutreffen könnte bzw. zugetroffen wäre. Denn es stellt sich die Frage, wie umfangreich und detailliert die bereits erwähnten Ausrichtungsabsprachen zwischen Redaktion und Eberl denn waren, wie weitreichend und tiefgehend die inhaltlich thematischen Vorausplanungen. Auch, wer welche Stoßrichtungen und Impulse (zuerst) gesetzt, wer die Entscheidung zum Fokus auf Eberls zukünftige sportliche Perspektive gelegt hat, unter welchen Bedingungen inhaltliche Entscheidungen getroffen und kommuniziert wurden, und wer welche Bedingungen unter welchem Kenntnisstand gestellt hat bzw. stellen durfte. Im Klartext also, wie groß Eberls grundsätzliche thematische Einflussmacht auf das Interview gewesen ist/wäre. Abgesehen vom Umfang eines Absprachencharakters nochmal die große übergeordnete Frage: Verliert ein Interview nicht eine seiner wichtigsten Grundprämissen und charakterlichen Eigenschaften, wenn es solche Vorabausrichtungen auch nur im Ansatz trifft? Sich festlegt? Wenn es in seinem Rahmen nicht erst situativ interaktiv hervorgebracht wird, verkommt es dann nicht zu einem berechneten Erzählungsrahmen (der vom Interviewpartner mit-gesetzt wurde), dessen Narrativ vorab schon durch zeitliche, räumliche, thematische Selektionen und Ausschlüsse vorausgedacht wird? Darin scheint doch ein Casus knacksus gegenwärtiger Interviewkultur zu liegen: Dass diese soweit vorausgedacht, man könnte eher noch sagen, vorweggedacht werden (vor allem auch im Hinblick auf Wirkungsintentionen), dass es schon normal erscheint, ein Interview im Voraus 'entscheiden' zu wollen, und wie sich in diesem Fall zeigt, auch zu können. Insgesamt soll nicht unterstellt werden, dass einzelne Interviewfragen vorgegeben werden, die zu stellen wären. Doch wann/wo fängt die Narrativbildung, eine beeinflussende Mit-Ausrichtung eines Interviews durch Vorgaben/ Vorabsprachen/ Einschränkungen an, und wann/wo hört sie auf?

Es soll betont werden, dass es weder die Absicht dieses Kommentars ist, das ZDF als manipulierte Lügenpresse oder Max Eberl als manipulierenden Despoten zu destillieren. So ist zum einen wichtig zu erwähnen, dass sich die «sportstudio»-Redaktion, voraussichtlich unter starker Einbeziehung des vorgesehenen Interviewers Jochen Breyer, möglicherweise (wie selbst argumentiert wurde) gerade gegen das Führen des Gesprächs entschieden hat, weil sie relevante und signifikante Interview-Kriterien und Werte, auf die eben rekurriert wurde, in nicht mehr ausreichendem Maße erfüllt sah und die Selektion seitens des Gesprächspartners als zu weitreichend bewertet hat. Auf der anderen Seite muss auch in den Raum gestellt werden, dass Eberl ein Recht hat, sich selbst zu schützen, Wirkungsüberlegungen abzuschätzen und zu kalkulieren sowie als freier Mensch zu entscheiden, über was er sprechen möchte und über was nicht. Gewissermaßen muss man hier schon ein gewisses Dilemma anerkennen. Die Frage ist, kann und sollte man als Interviewter wünschen oder beeinflussen wollen, (nicht) nach etwas gefragt zu werden? Was für bestimmte Themen sicher ethisch legitim sein kann, hätte in diesem Falle aber in den Ermessensbereich des Journalisten (Jochen Breyer) und der Redaktion gehört. Genau hier greift der scharfe Unterschied zwischen Eberls Darstellung und der des ZDF. Ein Interview auszulassen, um keine Angriffsfläche zu bieten, oder vom Interview zu wollen, dass es etwas auslässt, ist ein relevanter interviewkultureller Unterschied, der diesen Fall so betrachtenswert macht.

Vor diesem Hintergrund muss es erlaubt sein, all diese Fragen zu stellen, ohne eine Antwort darauf geben zu können, zu welcher Seite sie in Wirklichkeit ausschlagen. Es soll auch nicht suggeriert werden, dass alle in den Raum gestellten Punkte auf das geplante Interview und Max Eberl zutreffen müssen, dafür sind die Hintergrundfakten nicht klar genug. Aber es wirft diese Fragen exemplarisch auf und es lassen sich daran aktuelle zum Teil zweifelhafte Verständnisse von dem, was ein Interview sein soll und zu sein hat, hinterfragen, und zwar sowohl von journalistischer Seite, als auch von Seiten der Befragten. So oder so, hätte Max Eberl wohl einen souveräneren Eindruck gemacht, wenn er all das, was er über das Interview gegenüber der dpa und BILD gesagt hat, in dem Interview selbst gesagt und begründet hätte. Selbst, wenn er gesagt hätte, dass er dazu in Zukunft nichts mehr sagen möchte – als Antwort auf die Frage von Jochen Breyer.

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