Serientäter

«Harry Wild – Mörderjagd in Dublin»

von   |  1 Kommentar

Harry Wild ist Literaturprofessorin - und kaum im Ruhestand weiß sie mit ihrer Zeit nichts anzufangen. Ihr Sohn arbeitet derweil als Kommissar bei der Polizei in Dublin. Als Harry eher zufällig einen Blick in die Unterlagen eines Mordfalls wirft, den ihr Sohn bearbeitet, fällt ihr auf, dass der Mörder offenbar einen vergessenen Dramatiker zitiert.

Stab

DARSTELLER: :Jane Seymour, Kevin Ryan, Rohan Nedd, Rose O`Neill, Ciara O`Callaghan, Stuart Graham, Amy Huberman.
REGIE: Rob Burke, Ronan Burke
CREATED BY: David Logan
AUTOREN: David Logan, Jo Spain und andere mehr
KAMERA: David Grennan, JJ Rolfe
MUSIK: Ray Harman
Offenlegung: Diese Kritik bezieht sich ausschließlich auf die erste Episode der irischen Serie. Das heißt, vielleicht wird «Harry Wild» ab der zweiten Episode ja ganz anders. Der Rezensent weiß es nicht, denn nach der ersten Episode besteht überhaupt kein Grund dafür, in einem Zeitalter, in dem das nächste Serienevent nur einen Klick entfernt steht, eine zweite Folge ertragen zu müssen. Es gibt zwar kein Verbot für Selbstfolter, aber man muss sich ihr auch nicht aussetzen, wenn man nicht gerade Masochist ist und Schmerzen genießt.

Woran «Harry Wild» scheitert? An allem. Vor allem aber an der Hauptfigur.
Harry Wild, dargestellt von Jane Seymour, die immerhin als «Dr. Quinn – Ärztin aus Leidenschaft» über Jahre hinweg eine der erfolgreichsten TV-Serien der 1990er Jahre als Hauptdarstellerin getragen hat, ist eine derart nervende, unsympathische Figur, dass sie sich kaum als Protagonistin eignet. Dafür ist das Konzept der Serie – pensionierte Literaturwissenschaftlerin klärt Mordfälle auf – einfach nicht originell genug.

Es beginnt schon mit der Einführung: Da hält diese Wissenschaftlerin ihre Abschiedsvorlesung und beschimpft erst einmal alle Studentinnen und Studenten, die ihre Seminare nur der Scheine wegen besucht haben. Wer die heilige Literatur nicht so ehrt wie sie, erfahren wir Zuschauer, ist ein Arschloch. Das muss man nicht mit schönen Worten umschreiben. Harry selbst gebraucht Worte hart an der Grenze der Zitierfähigkeit. Sicher, es gibt Streicheleinheiten für die anständigen Studentinnen und Studenten, doch als es dann an den echten Abschied geht, findet Harry einen Weg, sich still und heimlich aus dem Staub zu machen.

Szenenwechsel: Ein Pub in Dublin. Harry ist scharf auf einen Kollegen und erklärt, dass sie ihn gerne heute Abend noch abknutschen würde, um nicht über ihre Pensionierung nachdenken zu müssen – und das tut sich dann auch. Was eigentlich erst einmal ganz sympathisch wirkt und keiner Kritik bedürfte, gäbe es nicht jene Szenen im weiteren Verlauf der Geschichte, in der Harry gezwungen ist, bei ihrem Sohn einzuziehen. Der ist, wie bereits bekannt, Polizeibeamter im gehobenen Dienst. Ein anständiger Mann mit Frau und Tochter, der der Allgemeinheit dient. Was Harry verachtet. Sie hält ihn für einen Spießer, der das Leben nicht genießen kann. Er sei, wirft sie ihm vor, wie sein Vater. Also ein anständiger Kerl? So muss man das interpretieren, denn es gibt keine Szene, die ihren Sohn Charlie nicht als einen anständigen Kerl darstellen würde. Einen anständigen Kerl, der, was bereits in dieser ersten Episode klar wird, ein schwieriges Verhältnis zu seiner Mutter pflegt. Womit der Bogen zum Rumknutschen gezogen wäre: Was anfangs sympathisch wirkt (Harry ist kein Kind von Traurigkeit), erzeugt im weiteren Verlauf Antipathie, da die Geschichte mit fortlaufender Spielzeit der Handlung keinen Zweifel daran aufkommen lässt, dass Harry immer schon genau so gewesen ist, sprich: Dass sie ihr Ding durchgezogen hat. Was nicht zu kritisieren wäre, würde nicht von Anfang an der Eindruck entstehen, dass ihr Sohn in diesem Harry-Leben für sie einen Hemmschuh dargestellt hat, auf den sie jetzt auch noch von oben herabblickt. Dieser Charlie nämlich hat sich eben nicht für ein wildes Leben, für die Liebe und die Literatur entschieden wie die Mama, sondern … für ein gewöhnliches Leben. Wie kann er nur? Es ist ein Wunder, dass Harry ihm nicht auf den Fußboden seines schicken Eigenheimes kotzt.

Die Serie ist noch keine 20 Minuten alt und die Hauptfigur ist charakterisiert als eine selbstgefällige Egoistin. Möglich, dass hier etwas viel in die Geschichte hineininterpretiert wird, aber die Beziehung von Harry zu ihrem Sohn wirkt so lieblos, so, von Harrys Seite her, von oben herab, dass man vor der Figur Charlies den Hut ziehen muss, wenn dieser seine Mutter aufnimmt. Und sei es nur aus Pflichtgefühl. Harry wird nämlich Opfer eines Überfalls, bei dem sie sich durch einen Sturz leicht verletzt, was Charlie dazu veranlasst, sie einige Tage aufzunehmen.

Nun ist der Täter der Zuschauerschaft bekannt. Sein Name lautet Fergus Reid. Er ist Schüler einer Oberschule und er ist jemand, der nicht auf den Mund gefallen ist. Eingeführt wird er im Literaturunterricht, den er verlässt – weil er ihm zu langweilig ist. Statt sich auf eine Diskussion mit seinem Lehrer einzulassen, hält er einen Monolog, in dem er im Rahmen eines Frage-Antwort-Spiels sowohl die Seite des Schülers als auch des Lehrers einnimmt. Das soll ihn als clever charakterisieren. Nur ist Fergus nicht clever, sondern ein ziemlich überheblicher, von sich selbst eingenommener Fatzke. In diesem Frage-Antwort-Spiel nämlich stellt er den Lehrer nicht nur ziemlich bloß, indem er ihm Langeweile unterstellt: Nebenbei erwähnt er natürlich auch, dass sein Lehrer sicher auch im Bett eine ziemliche Niete sein muss. Im zweiten Auftritt von Fergus erleben wir, die Zuschauerinnen und Zuschauer, dann, dass Fergus Harry überfällt.

So, und dieser Fergus wird am Ende dieser Episode Harrys sympathischer Sidekick sein.

Eine Ich-bezogene Teilzeit-Misanthropin als Titelheldin und ein überheblicher, zum gewaltsamen Diebstahl neigender Knabe als ihr Dr. Watson sind also die Hauptfiguren der Serie. Sicher, das kann man machen. Dann aber braucht es entsprechende Drehbücher, die solch eine Figurenkonstellation feiern, Bücher, die böse sind, die keine Angst vor Grenzüberschreitungen haben und die den guten Geschmack gerne auch einmal hinter sich lassen. «Harry Wild» ist jedoch «Mord ist ihr Hobby» 2.0. «Harry Wild» ist eine 08/15-Krimiserie über eine Hobby-Ermittlerin auf Mördersuche. Es ist eine irische Version von «Adelheid und ihre Mörder» mit etwas heftigeren Mordszenen – was nun aber auch keine Revolution darstellt: «Inspector Barnaby» ist schließlich auch nur Rosamunde Pilcher mit Splattereinlagen.

Warum Harry den jungen Mann nicht anzeigt, nachdem sie ihn zufällig in der Stadt entdeckt? Indes, es gibt eine Szene, die ihn mit seiner kleinen Schwester zeigt – und ihn als liebevollen, verantwortungsbewussten Bruder darstellt. Diesem Jungen gibt Harry eine Chance, ohne zu fragen, warum er sie überfallen hat (sollen wir wetten, dass zu einem späteren Zeitpunkt der Serie offenbart wird, dass dahinter eine tragische Geschichte steht und Fergus von äußeren Umständen dazu gezwungen worden ist?). Schließlich braucht sie eine helfende Hand, da ihr Sohn ihr nicht zuhören will. In seinem Haus nämlich stolpert sie (tatsächlich versehentlich) über einige Unterlagen zu dem Mordfall, den er gerade bearbeitet. Da hat ein Mörder doch recht kunstvoll eine Leiche drapiert. Gleichzeitig erhitzt ein Fall die Gemüter in Dublin, in dem eine Frau entführt worden ist. Eine Frau aus einfachen Verhältnissen, die offenbar mal einer Laienschauspielertruppe angehörte. Was Harrys Aufmerksamkeit erregt. Die Leiche nämlich wurde in einer Art hergerichtet, die sie an eine Beschreibung aus einem Theaterstück eines Zeitgenossen Shakespeares erinnert. Eines Stückes, das kaum jemand kennt. Darin hat ein Mann erst einen Mord begangen, die Leiche dann genau so wie die an Charlies Tatort hergerichtet – um im Anschluss die Frau seiner Träume zu entführen: Eine verheiratete Frau. Da Charlies Mordopfer über Kontakte ins Theatermilieu verfügte, könnte es eine unerwartete Verbindung der beiden Fälle geben. Sicher, vielleicht sind dies alles nur Zufälle, aber sollte die Polizei nicht allen möglichen Spuren nachgehen? Tatsächlich geschieht dies nicht: Da Charlie ziemlich wütend darüber ist, dass Harry die Unterlagen gelesen hat, hört er ihr nicht zu – weshalb sie selbst zu ermitteln beginnt und einen Helfer braucht!

Der Kriminalfall klingt übrigens schmissiger als er ist, denn der in der ersten Episode genannte Zeitgenosse Shakespeares ist eine Erfindung der Autorenschaft, sprich: Der vermeintlich unbekannte Klassiker bietet genau die Vorlagen, die die Geschichte braucht. Es hat sich also niemand die Mühe gemacht, einen echten Klassiker daraufhin abzuklopfen, ob er das Potenzial hätte, als Vorlage für einen Mord und eine Entführung zu dienen, was natürlich für eine Serie ziemlich schwach ist, deren Hauptfigur explizit als Literaturwissenschaftlerin in die Story eingeführt wird! Es ist ihr literarisches Wissen, das ihren Ermittlungsinstinkt weckt – und dann ist die Vorlage, auf der der erste Fall aufbaut, nur eine Fantasie des Writer's Rooms? Also bitte.

Noch einmal zurück zur Offenlegung: Ja, der durchweg miese Eindruck der Serie basiert auf einer einzigen Episode. Diese eine Episode aber präsentiert eine unleidliche Egoistin als Heldin, einen zu gewalttätigen Überfällen neigenden Jüngling als ihre helfende Hand und einen sympathischen Charakter (Charlie) als Dummerjan, der erst einmal etwas Hilfe von Mama braucht, um seinen Job richtig erledigen zu können.
Was für ein depperter Schwachsinn.

Einzig Staunen lässt die Tatsache, dass Jane Seymour bei den Dreharbeiten genauso alt gewesen ist, nämlich 70, wie Margaret Rutherford bei den Dreharbeiten zum ersten (legendären) Miss Marple-Film 1962 – und rund zehn Jahre älter als Angela Lansbury zum Start von «Mord ist ihr Hobby» 1984.

Am Sonntag, 24. April, 22.15 Uhr, ZDF

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Quotermain
21.04.2022 15:40 Uhr 1
Zitat: "Einzig Staunen lässt die Tatsache, dass Jane Seymour bei den Dreharbeiten genauso alt gewesen ist, nämlich 70, wie Margaret Rutherford bei den Dreharbeiten zum ersten (legendären) Miss Marple-Film 1962 – und rund zehn Jahre älter als Angela Lansbury zum Start von «Mord ist ihr Hobby» 1984."

Naja, inwiefern erstaunlich? Mode ändert sich.

Wirkung, wie alt jemand ist, sieht man auch erst im Alter.

Man schaue, Gus Grissom war erst 40...ohne "Zeitgenössische Kleidung" wirkte er wie alt?



Thema Harry Wild.

Ich habe keine Info gefunden, wie lange diese Idee in production hell lag, bevor sie endlich greenlighted wurde.

Aber das muß schon lange vor modernem Datenschutz gewesen sein. Die Iren haben kein Brexit. Also gilt die Dsgvo, Polizei hat Datenschutz, "Ermittlungen" dieser Art waren schon bei Miss Marple "geduldet".

Wo es witzig war, war Miss Fishers Murder Mysteries. Da hat sie aber nicht einfach in die Akten gespannt...wie Adelheit und ihre Mörder...vor 30 Jahren.

Eine alte Idee, sehr spät aufgewärmt.
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