Die Kritiker

«Tatort: Propheteus»

von

Ein durchgeknallter Verschwörungsfanatiker zwingt Thiel und Boerne aufs Dach der Polizei in Münster, um sich live in die Luft zu sprengen. Bevor es jedoch zum Knall kommt, wird er von einem kleinen Hund angegriffen, stolpert und stürzt in die Tiefe. Zwei Beamtinnen des Verfassungsschutzes wollen von Thiel und Boerne wissen, wie es zu diesem Vorfall kommen konnte.

Stab

REGIE: Sven Halfar
DREHBUCH: Astrid Ströher
PRODUKTION: Jan Kruse
KAMERA: Timo Moritz
SCHNITT: Tatjana Schöps
DARSTELLER: Axel Prahl, Jan Josef Liefers, Christine Urspruch, Björn Meyer, Mechthild Grossmann, Claus Dieter Clausnitzer, Melanie Reichert, Daniela Reichert, Katharina Schmalenbert, Ismail Deniz, Mark Zak, Matthias Komm
Das möchte man als Zuschauer auch, denn die Frage steht im Raum, wer was Drehbuch durchgewunken hat. Ein Drehbuch, von dem man nicht sagen kann, ob es als Anwärter für eine Goldene Himbeere ins Rennen geschickt werden sollte, oder ob sich dieser «Tatort» auf einer Meta-Ebene bewegt, die fast schon als meisterlich bezeichnet werden darf?

Da sind etwa die Beamtinnen vom Verfassungsschutz. Frau Muster und Frau Mann. Die haben nicht nur bekloppte Namen, die tragen auch noch «Men in Black»-Gedächtnisoutfits. Geschlagene 25 Jahre nach dem Start des ersten Kinofilms. Ist das eine Hommage? Ist das lächerlich? Oder ist das mutig?

Der Mann, der vom Dach stürzt, war mal ein Metzger und als solcher offenbar auch recht wohlhabend. Mit seinem Tod scheint auf den ersten Blick ein Mordfall aufgeklärt, der sich vier Tage vor Beginn des Prologs ereignet hat. Ein Webdesigner namens Magnus Rosponi ist an diesem Tag in seinem Büro tot aufgefunden werden. Jemand hat ihm von hinten einen Schlag versetzt, beim Sturz ist er gegen eine Tischkante gestürzt. Zwei schwere Schläge gegen den Kopf haben ihn somit umgebracht. Rosponi war ein gesetzestreuer Bürger ohne Vorgeschichte. Sein Tod aber scheint bewusst herbeigeführt worden zu sein. Er war nicht einfach nur am falschen Tag am falschen Ort.

Auf jeden Fall war Rosponi ein begeisterter Bowlingspieler. Ein Besuch bei seinen Sportfreunden allerdings wirft für Thiel mehr Fragen auf als Antworten. Von den Sportfreunden kann sich niemand Rosponis Tod erklären. Allerdings fehlt bei der Befragung ein Mann: Udo Kayser. Die Zuschauer kennen ihn als jenen vollkommen durchgeknallten Typen, der sich im Prolog in die Luft sprengen wollte. Im Rückblick aber lebt er noch und ist alles andere als begeistert über Thiels Besuch. Nicht, weil er etwas zu verbergen hätte. Nein, Thiel ist für ihn ein Systembückling, ein Angehöriger eines durch und durch korrupten Systems, das von dunklen Mächten angeführt wird. Seit Kayser sein Geschäft aufgeben musste, ist er mehr und mehr in die Verschwörungsszene abgerutscht. Für ihn ist klar, dass dieses Land von finsteren Kräften unterwandert wird.

Und mit dieser Meinung steht er nicht alleine da. Kayser ist Teil einer Bla-Gruppe, in der sich über 13.000 Follower hinter einem Propheten versammelt haben, der angeblich für den Staat an einer wichtigen Schaltstelle arbeitet und seine Follower mit allerlei Beweisen füttert, dass dieses System längst von allerlei seltsamen Kräften infiltriert worden ist.

Bla steht natürlich für Telegram, wirklich subtil ist in diesem «Tatort» schließlich gar nichts. Mit einer kleinen Ausnahme. Im Hals des Toten Rosponi entdeckt Boerne – und damit wird der Fall auch für ihn interessant – einen kleinen Computer-Chip. Natürlich will er wissen, was es mit dem auf sich hat. So erfährt er rasch, dass Mitglieder der Bla-Gruppe, auch der Tote gehörte dazu, sich auf den Tag X vorbereiten. Der Chip soll ihnen helfen, sich gegenseitig zu finden, wenn es darum geht, den Widerstand zu organisieren (gegen „die da oben“). Dumm nur, dass der Chip in Wahrheit ein NFC-Chip ist, wie man ihn sich in einigen Ländern tatsächlich bereits unter die Haut implantieren lassen kann (etwa, um mit ihnen an der Kasse zu bezahlen; in Schweden gibt es gar die ernstgemeinte Idee, NFC-Chips als Impfbuchweise zu benutzen, Sciencefiction ist das alles also keinesfalls). Diese Chips lassen sich im besten Fall in einem Radius von drei Metern aufspüren und sind demnach für das, wofür sie offenbar angeschafft worden sind, vollkommen unbrauchbar.

Natürlich hält Boerne diese Informationen vor Thiel zurück, der seit einigen Tagen von einem kleinen Hund, einem Streuner, verfolgt wird, der sich offenbar in den Kopf gesetzt hat, dass Thiele seines neues Herrchen werden soll. Allerdings ist der kleine Hund etwas bissig. Auf der anderen Seite beweist er ja bereits im Prolog dieses Filmes, dass er sich durchaus schützend vor Thiel stellt, wenn es drauf ankommt. Ein bisschen schizo ist er schon. Wie der Film selbst, der sich nie entscheiden kann, ob er noch ein Kriminalfilm sein möchte, oder bereits ein dadaistisches Kunstprojekt, das sich selbst seiner Sinnhaftigkeit beraubt, um sich gar nicht mehr um Aspekte wie Spannungsaufbau oder einer Art von Erzählstruktur kümmern zu müssen?

Tatsächlich gibt es einige gute Momente, die im Gedächtnis verbleiben. Da sind etwa Thiels Zusammenstöße mit der Verschwörerszene. Diese Momente sind Axel Prahl schlichweg auf den Leib geschrieben, denn wer, wenn nicht Prahl, ist ein Durchschnittstyp von außergewöhnlicher Gewöhnlichkeit? Wenn Prahl, oder besser Thiel, mit den abstrusen Ideen von Echsenvölkern, die angeblicht an die Oberfläche drängen, konfrontiert wird, ist seine Reaktion einfach umwerfend. Für ihn ist all das ganz einfach bekloppt. Da braucht es keine Meta-Ebenen oder Erklärungsversuche! Es reicht aus, Thiel beim Anschauen eines schlecht gemachten Merkel-Fakevideos im Kreise von Reptiloiden zu zeigen, um zu wissen, was dieser Thiel über diesen ganze Mumpitz tatsächlich denkt. Da er jedoch einen Fall aufzuklären hat, macht er das: Weil es einfach sein Job ist. Punktum! Axel Prahl ist eine sichere Bank, egal, wie abstrus eine Geschichte aus sein mag. Aber auch Jan Josef Liefers hat seine Momente und immer wieder schimmert da eine Art Entschuldigung für seine Teilnahme an #allesdichtmachen durch. Als Mann der Wissenschaft will er den Fall aufklären, dennoch agiert er überraschend empathisch gleich zu Beginn gegenüber dem verhinderten Attentäter, den er mit Vernunft von seinem Vorhaben abzubringen versucht, ohne ihn lächerlich dastehen zu lassen.

Das ist alles in sich schlüssig.
Aber...

Auf der anderen Seite lässt sich Inszenierung keinen Fettnapf aus, um die Geschichte vollkommen ins Lächerliche zu ziehen. Natürlich mag man einwenden, dass Personen, die an eine reptiloide Verschwörung glauben, vielleicht für einen vernunftorientierten Diskurs nicht die geeignetsten Diskussionspartner darstellen. Aber warum nicht eine Geschichte wie diese in einem ansonsten ernsthaften Gewand erzählen, als einen Gegenpart zur Absurdität der Vorstellungswelten, in denen sich die Verdächtigen bewegen?

Nein, da muss die Inszenierung stattdessen die ganz große Klamaukkeule aus dem Requisitenkeller holen. Mit den «Men in Black»-Imitatorinnen, die jeden Moment der Ernsthaftigkeit durch ihre Anwesenheit im Keime ersticken. Es ist so nervend, es ist so unlustig und infantil: Hat denn niemand einmal das Drehbuch lektoriert?

Dabei weiß doch jeder Koch, dass ein Gericht nicht dadurch besser schmeckt, dass man von allem möglichst viel in die Pfanne wirft. Der Geschmack entsteht durch die Mischung: Die in diesem «Tatort» vollkommen aus der Spur gerät. Zum wiederholten Male: die «Men in Black»-Imitatorinnen sprengen das Geschehen. Die Münsteraner «Tatort»e sind Komödien, die «Men in Black»-Filme, die hier (schlecht) zitiert werden, sind Komödien. Eine Komödie in der Komödie zu persiflieren (oder soll es ein Hommage sein?)? Das funktioniert einfach nicht. Warum muss ausgerechnet «Men in Black» zitiert werden? Warum nicht eine Anspielung auf «Akte X»? Eine vollkommen ernstgemeinte Ermittlung, die auf eine Groteske Bezug nimmt und dann gerne mit einem Schlussgag enden kann. Überraschend. Zum Schmunzeln animierend. Vielleicht sogar intelligent?

Nach 20 gemeinsamen Jahren haben die Münsteraner «Tatort»e definitiv ihren Zenit überschritten, wenn am Ende eines Falles das Kopfschütteln überwiegt.

Am Sonntag, 6. März 2022, 20.15 Uhr, Das Erste

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