Interview

Oliver Masucci: ‚Anfangs hatte ich Angst von Fassbinder‘

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Die Kinos dürfen wieder öffnen – bekommt Masucci und «Enfant Terrible» eine zweite Chance? Quotenmeter sprach mit dem Schauspieler über sein jüngstes cineastisches Werk.

Zu einem Schauspieler gehört es, sich in andere Persönlichkeiten hineinzugeben, die auch real existiert haben können. Einer, der das immer wieder unter Beweis stellt ist Oliver Masucci (52) - ob mit seiner Hitler-Parodie in «Er ist wieder da» oder als Joseph-Beuys-Verschnitt in «Werk ohne Autor». Unter der Regie von Oskar Roehler, mit dem er zuvor schon die Gesellschaftssatire «HERRliche Zeiten» drehte, verkörperte der gebürtige Stuttgarter zuletzt den Ausnahmeregisseur Rainer Werner Fassbinder (†37), der den deutschen Film mit Klassikern wie «Angst essen Seele auf» oder «Die Ehe der Maria Braun» wie kein anderer prägte. «Enfant Terrible» startete am 1. Oktober 2020 in den deutschen Kinos, konnte sich aber aufgrund des zweiten Lockdowns nicht mehr entfalten. In den kommenden Wochen könnte er wieder in die Lichtspielhäuser kommen. Zudem steht der Film bei mehreren Streaming-Plattformen zur Verfügung, u.a. bei Kino on Demand, Sky, Amazon, Cineplex Home und iTunes. Im Interview erzählt Oliver Masucci, wie er sich der Fassbinder äußerlich, aber vor allem innerlich genähert hat.

In «Enfant Terrible» kommt ganz klar zum Vorschein, dass Rainer Werner Fassbinder kein einfacher Zeitgenosse gewesen sein muss…
Wir haben uns mit diesem Film einem Extremisten genähert. Was hat die Menschen an ihm fasziniert, warum sind sie ihm gefolgt? Sie haben sich nackig gemacht, sich ausbeuten lassen und fanden es trotzdem geil. Bezeichnend für Fassbinder ist, dass er ein Traumfänger war, dafür hat er gelebt, dafür wurde er geliebt. 43 Film in 13 Jahren – er war ein Wahnsinniger.

Glauben Sie, Sie wären ihm damals auch verfallen?
Ich komme aus keiner bildungsbürgerlichen Familie, ich musste mir das alles antrainieren und anlesen. Jemand wie Fassbinder, der auch noch so produktiv war, kann total ansteckend sein. Am Theater bin ich solchen Leuten gefolgt. Mit denen gehst du durch dick und dünn, springst ständig in Abgründe und erzählst dir in Proben intime Dinge. Für mich ist aber dann irgendwann der Punkt gekommen, dass ich diesen Leuten nicht mehr folgen wollte und vom Theater weggegangen bin.

Hat Ihnen das geholfen, sich Fassbinder zu nähern?
Anfangs hatte ich Angst vor der Figur, aber es ist ein wahnsinnig schöner Film geworden, auf den ich sehr stolz bin. Es war sicherlich eine Annäherung - allerdings in der kompletten Überforderung. Ich kannte Leute, die mit Fassbinder gearbeitet haben. Aber in der Vorbereitung wollte ich mit niemanden reden, der mir sein Bild von Fassbinder erzählt hätte. Letztlich war Fassbinder für Oskar Roehler und mich die Käsereibe, an der wir uns in der kompletten Überforderung gerieben haben.

Wie meinen Sie das?
Bis auf die Film- und Medien Stiftung NRW haben es unsere großen Filmförderer abgelehnt, Geld für die Realisierung zu geben. Der Film war budgetiert für 8,5 Mio. Euro und 55 Drehtage. Gedreht haben wir dann in 24 Tagen für 2,9 Mio. Euro. Mit dem wenigen Geld wurden Bühnenbilder eben gemalt, gesprayt oder selbst gebaut. Das ist das Geniale an Roehler, der dann einfach macht.

Allein der Name Fassbinder hätte aber doch Türen öffnen müssen…
Als Cineast denkt man so, aber letztendendes hat sich auch Deutschland immer an Fassbinder gerieben und ihn nie richtig gewürdigt. Mit «Liebe ist kälter als der Tod» wurde er auf der Berlinale 1970 ausgelacht. Das spielen wir auch im Film nach, und ich finde es wunderbar, wie sich die anderen Darsteller fast schämen, während er es sich gibt. Er stellt sich diesem Buh-Manöver und lacht noch. Er hat sich halt größer gesehen.

Hat sich das auch auf Ihr Spiel übertragen?
Manchmal kam ich mir schon vor wie ein Medium. Wie haben diesen Geist beschworen, und auf einmal ist er in diesem Studio eingefahren. Ich hatte 25 Kilo mehr drauf. Drei Weizenbier vor jedem Drehtag, damit der Bauch noch dicker war und dann nackig vor der Kamera stehen. Ich hatte noch nie so viele Sex- und Nacktszenen wie in diesem Film.

Sie wollten sich aber auch voll und ganz auf diese Rolle einlassen, oder?
Das musste ich, anders kann ich meinen Beruf nicht ausüben. So einen Typen kann ich nicht als Spargel-Tarzan mit angeklebtem Bauch spielen. Das würde ich mir selbst nicht glauben. Um körperlich reinzukommen, habe ich auch mit Suspensorien gespielt und mir einen Eierbecher angeklebt, weil ich gesehen habe, dass er immer so eine ausgestopfte Hose trug. Ich glaube, er benutzte selber ein Suspensorium. Dann kam noch diese Schwulenästhetik dazu. Ich glaube, er kam sich vor wie der junge Marlon Brando - geil, sexy und gut verrückt. Genauso habe ich versucht, das zu spielen.

Mal ehrlich, muss man als Regisseur, Schauspieler, Künstler nicht generell eine gewisse Verrücktheit haben?
Um den normativen Weg zu beschreiben, musst du die Perspektive verrücken. Allein das Wort Verrückung heißt, ich verlasse die allgemeine Perspektive und schaue aus anderen auf diesen schmalen Grad, auf den man sich geeinigt hat, dass er der angeblich normal ist.

Wie rücken Sie sich nach einer Rolle wie dieser wieder zurecht?
Ich habe drei Kinder, die mich dann zurückbringen. Durch Corona bin ich ganz nah bei ihnen gewesen, weil ich sieben Monate nicht arbeiten konnte. Ich koche auch gern, gehe ich die Berge, fahre mit dem Rad. Eigentlich bin ich ein Landmensch, weshalb ich auch nicht mehr in Berlin lebe.

Was hat Sie in der Großstadt gestört?
Auf die Dauer halte ich das im Kopf nicht aus. Stadt verbinde ich mit Arbeit, und das durchlebe ich dann, aber danach freue ich, wenn es wieder vorbei ist und ich zurück zu meinem Mondsee in den Salzburger Bergen kann. In der Stadt schaust du aus dem Fenster und guckst auf Fassaden. Das macht mich total depressiv. Ich brauche den weiten Blick auf Wiesen und Berge, damit ich mir im Kopf etwas vorstellen kann.

Hat sich durch «Enfant Terrible» ein anderes Bild über Fassbinder in Ihrem Kopf verfestigt?
Für die Person Fassbinder habe ich eine Empathie bekommen und ich habe verstanden, warum ihn Leute so toll fanden. Ich spürte dabei viel Schmerz, denn er hat viel angezündet und hat aber auch wahnsinnig viel angesteckt. Man kann ihm aber keinen Vorwurf machen. Der Mann hat sich nicht geschont, sondern sich wirklich verbrannt. ‚Der Mensch muss sich verschleißen‘, sagte schon Joseph Beuys. Traurig ist nur die Unerfülltheit seiner Sehnsucht nach Liebe. Liebe hatte für ihn aber auch immer etwas mit Geld, Macht und Gewalt zu tun. Wenn man so denkt, ist es natürlich schwierig zu lieben.

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