«Citizen Kane» gilt als einer der bedeutendsten US-Filme, die je gedreht wurden - und das auch noch nach fast 80 Jahren. Regisseur und Hauptdarsteller Orson Welles (†70) wurde damals mit gerade mal 26 Jahren als neues Wunderkind gefeiert, weil er zuvor mit seinem Hörspiel nach H.G. Wells‘ «Der Krieg der Welten», das er wie eine echt wirkende Live-Reportage aufzog, eine Massenpanik an der amerikanischen Ostküste auslöste. Die Menschen glaubten wirklich, dass eine UFO-Invasion bevorstünde. Wer so etwas schafft, der kann auch Filme drehen. Orson Welles wurde nach Hollywood gelockt, mit dem Versprechen, dass er seinen ersten Film völlig frei nach eigenen Vorstellungen inszenieren dürfte. Zunächst wollte er Joseph Conrads «Herz der Finsternis» inszenieren.
Als das nicht klappte, entschied er sich, einen fiktiven Medienmogul in den Mittelpunkt eines Films zu setzen, und als Vorlage diente ihm der echte Verleger William Randolph Hearst (†88). Welles entwickelte die Grundidee und verpflichtete Herman J. Mankiewicz (†55) für die erste Drehbuchfassung. Herausgekommen ist der Film «Citizen Kane» mit Orson Welles als Hauptdarsteller, Regisseur, Produzent und Drehbuchautor, wobei er sich diesen Credit dann doch mit Mankiewicz teilen musste. Seitdem wird immer wieder spekuliert, wie viel Anteil Welles tatsächlich an der Erarbeitung des Drehbuchs hatte oder ob Mankiewicz nicht alles allein geschrieben hat. Davon handelt auch der von Netflix produzierte Film «Mank» von David Fincher, der nach Thrillern wie «Sieben» (1995) und «Fight Club» (1999) einst ebenfalls als Hollywoods Wunderkind gefeiert wurde.
Ein gefallener Autor und ein aufsteigender Regisseur
Der Film beginnt mit einer Autofahrt durch die Mojave-Wüste, 85 Meilen nordöstlich von Los Angeles. Es geht zu einer abgelegenen Ranch, wo sich der gefallene Autor Herman J. Mankiewicz (Gary Oldman) zurückziehen soll, um in 60 Tagen ein Skript zu schreiben. Gefallen ist Mank, wie er in Hollywood von allen gerufen wird, gleich im doppelten Sinne. Zum einen ist er ein schwerer Alkoholiker, den die Filmbranche eigentlich abgeschrieben hat, zum anderen hatte er einen heftigen Autounfall und ist seitdem mit gebrochenem Bein ans Bett gefesselt. Vielleicht verspricht sich Orson Welles (Tom Burke) genau von diesen Umständen Vorteile als er Mank den Auftrag gibt, eine erste Fassung seines Films «Citizen Kane» zu schreiben.
Welles steht unter immensen Druck. In Hollywood werden schon Wetten abgeschlossen, ob der mit Vorab-Lorbeeren bedachte Frischling den Film überhaupt jemals realisieren zu können. Mank wird abgeschottet, nur seine Sekretärin Rita Alexander (Lily Collins) und die Pflegerin Freda (Monika Gossmann) stehen ihm zur Seite. Der geschwächte Autor legt los, stibitzt sich hin und wieder eine Flasche Whiskey und erinnert sich an seine erfolgreichen Tage im Filmgeschäft, als er mit der Schauspielerin Marion Davies (Amanda Seyfried) befreundet war und beim Zeitungsverleger William Randolph Hearst (Charles Dance) ein- und ausging. Doch die konservativen Strebungen und Manipulationen der Mächtigen aus Hollywood sind Mank bald ein Dorn im Auge, bieten ihm aber genügend Inspirationen fürs Drehbuch. „Citizen Kane“ wird für ihn zu einer persönlichen Abrechnung und letztendlich ist er von seiner Arbeit so angetan, dass er plötzlich als Drehbuchautor genannt werden will. Das war aber nie im Interesse von Orson Welles, der daraufhin völlig austickt.
Ein Mythos nährt den nächsten
Mit «Mank» möchte David Fincher einen Teil der Entstehungsgeschichte von «Citizen Kane» nacherzählen. Als Grundlage diente ihm ein Drehbuch, das einst sein 2003 verstorbener Vater Jack Fincher (†72) verfasste. Für den Sohn war es daher eine Herzensangelegenheit, dieses nun endlich umzusetzen. Netflix gab ihm die nötige Freiheit wie sie etwa 1941 Orson Welles vom damaligen Filmstudio RKO bekam. Mit Spannung erwartete man, was Fincher sechs Jahre nach seinem letzten Spielfilm «Gone Girl» nun daraus machen würde. Denn Hintergründe eines sagenumwobenen Klassikers wie «Citizen Kane», in dem es auch noch selbst um ein Mysterium geht, lüften zu wollen, klingt erst mal verdammt vielversprechend - und das nicht nur für Filmhistoriker. Ein Mythos nährt den nächsten.
Was Fincher mit «Mank» aber nun abliefert, ist dann doch sehr ernüchternd. Fast möchte man meinen, Fincher hätte das Thema verfehlt. Ehrlicherweise sagt es aber schon der Titel. Hier geht es weder um Orson Welles, noch um «Citizen Kane», sondern um den nie wirklich berühmt gewordenen Autor Herman J. Mankiewicz. Gary Oldman, zuletzt für sein eindrucksvolle Darstellung von Winston Churchill in «Die dunkelste Stunde» mit dem Oscar ausgezeichnet, müht sich sichtlich ab, diesem Mann einen nicht immer sympathischen Charakter zu geben. Etliche Nebenfiguren werden zudem eingeführt, Charles Dance als Hearst und Tom Burke als Welles haben sogar jeweils einen richtig großen Auftritt, aber im Grunde genommen bleiben alle blass. Fincher scheint sich nicht wirklich für sie zu interessieren.
Finchers persönlichster Film?
Darüber hinaus fehlt es auch an erzählerischer Stringenz. Fincher baut Rückblenden ein, um seine Hauptfigur zu psychologisieren, aber wirklich fassbarer wird sie dadurch nicht. Davon abgesehen, gilt es heute als bewiesen, dass Orson Welles auf jeden Fall einen erheblichen Anteil an der Fertigung des Drehbuchs zu «Citizen Kane» hatte. Egal, erzählerische Freiheit muss erlaubt sein. Was man Fincher in technischer Hinsicht aber so gar nicht verzeihen möchte, ist seine Entscheidung, uns einen Schwarzweißfilm vorzusetzen. Atmosphärisch sollen die 1940er-Jahre wiederaufleben – und das gelingt wie schon 2011 mit «The Artist» vor allem durch die Ausstattung, in diesem Fall aber nicht durch die Schwarzweißbilder. Diese wirken oft so, als hätte man mit dem Smartphone aufgenommen, um anschließend die Farbe herauszufiltern. Mit analoger Schwarzweißfotografie haben diese oft leicht verschwommenen Bilder jedenfalls nichts zu tun. Was bleibt ist das Gefühl, als hätte David Fincher diesen Film eigentlich nur für sich gedreht und dabei niemals an ein größeres Publikum gedacht. Irgendwie schade!
Fazit: Pluspunkte gibt es für die Ausstattung und Gary Oldmans Bemühen, Minuspunkte hingegen für eine spannungslose Handlung und misslungenen Schwarzweißbildern. Ein David Fincher hat seinen bisher schwächsten Film abgeliefert.
«Hank» ist bei Netflix streambar.
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