Die Kritiker

«Tatort – Es lebe der König»

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Der Leichenfund im Wassergraben einer alten Ritterburg vor den Toren von Münster lässt sogar die Herren Thiel und Boerne staunen. Der Mann, der in dem Graben den Tod gefunden hat, trägt eine Ritterrüstung. Als wäre dies nicht schon bizarr genug steht auch noch die Frage im Raum, ob sich im Schatten des geschichtsträchtigen Bauwerks überhaupt ein Verbrechen ereignet hat.

Stab

REGIE: Buket Alakuş
DREHBUCH: Benjamin Hessler
PRODUKTION: Iris Kiefer, Anne Glöckner
KAMERA: Andreas Höfer
MUSIK: Christoph Blaser
DARSTELLER: Axel Prahl, Jan Josef Liefers, ChrisTine Urspruch, Mechthild Grossmann, Claus Dieter Clausnitzer, Björn Meyer, Sandra Borgmann, Marek Harloss, Violetta Schuralowlow, Mai Duong Kieu, Justine Hauer
Wenn in einem «Tatort» ein Toter in einer Ritterrüstung auftaucht, weiß der «Tatort»-Fan, dass es sich im Grunde nur um einen Film aus Münster handeln kann. Dabei kommt die Geschichte weitaus bodenständiger daher als der letzte «Tatort» aus der Westfalenmetropole, der den allzu vorwitzigen Professor Boerne in den Limbus geschickt hat – direkt in die Vorhölle. Nach dieser Extravaganz inklusive eines Teufels in Gestalt von Thiel, findet die Geschichte des im Juni und Juli 2020 unter Corona-Bedingungen inszenierten Spielfilmes wieder im Hier und Jetzt statt. Und war der Fokus des großartigen «Limbus» ganz und gar auf Jan Josef Liefers und seinen Professor Boerne gerichtet, steht nun – ganz paritätisch – Axel Prahls Kommissar Thiel im Mittelpunkt des Geschehens.

Der Fall des Toten in der Ritterrüstung mag im ersten Augenblick bizarr erscheinen. Was fehlt, das sind jedoch konkrete Anhaltspunkte für ein vorliegendes Verbrechen. Thiel hat zwar ein Bauchgefühl, doch die Fakten sprechen eine andere Sprache. Sie sind sogar in der Lage, das seltsame Outfit des Ertrunkenen zu erklären. Der Tote ist Manfred Radtke, ein ehemaliger Schaustellerkönig, der vor einiger Zeit diese Burg erstanden hat und dessen Tochter Claudia eine Art Vergnügungspark aus dem Gelände machen will. Die Burg hat während des Täuferreiches eine Rolle in der Geschichte der Stadt Münster gespielt. Von diesem Glanz will sie profitieren und das Anwesen entsprechend herrichten. Unter anderem, wie sie im Gespräch mit Thiel zugibt, um das Anwesen halten zu können.

Die Familie Radtke ist im Grunde genommen wegen einer Fehlkalkulation pleite. So laufen auf dem Anwesen die Vorbereitungen zu einer Theateraufführung, deren Handlung im Zeitalter der Täufer angesiedelt ist. Mit dieser Aufführung, in deren Rahmen gleichzeitig der siebzigste Geburtstag des Vaters hätten gefeiert werden sollen, sollen Investoren für das Konzept begeistert werden. Da das Geld knapp ist, müssen die Familienmitglieder, da wären noch ihr Bruder Tobias und Manfred Radtkes junge Ehefrau Farnaz, selbst in historische Gewänder – wie eben auch eine Rüstung - schlüpfen. Und sogar für das nächtliche Flanieren in einer Ritterrüstung – findet sich eine Erklärung. Im Rahmen seiner Autopsie diagnostiziert Boerne eine seltene Form von Demenz, an der der Verstorbene erkrankt war. Bei Frontotemporaler Demenz verändert sich die Persönlichkeit eines Menschen. Das kann durchaus soweit gehen, dass ein erkrankter Mensch Traum und Realität nicht mehr auseinanderhalten kann. Es ist demnach nicht ausgeschlossen, dass der Verstorbene sich tatsächlich selbst als Ritter oder König betrachtet hat.

Er zog seine Rüstung über, flanierte umher und stürzte in den Teich. Hinweise auf eine äußere Gewalteinwirkung liegen nicht vor. Jedoch gibt es eine Kleinigkeit zu bemerken: An der Rüstung wurden Scharniere geschlossen, die er kaum alleine hätte schließen können. Er muss beim Anlegen der Rüstung Hilfe bekommen haben. Wenn also seine Kinder und seine Frau behaupten, ihm nicht beim Anlegen der Rüstung geholfen zu haben, muss eine der drei Personen lügen. Aber selbst wenn ihm jemand geholfen haben sollte, die Rüstung anzulegen – wäre dies kein Verbrechen. Oder ist es verboten, eine Ritterrüstung zu tragen?
Eben!

Dann aber entdeckt Thiels neuer Kollege, Kriminalassistent Mirko Schrader, einen über 40 Jahre alten Zeitungsartikel über den jungen Manfred Radtke. Die Story an sich ist harmlos und fällt in die Kategorie „Bunte Seiten“, sie erzählt von zwei jungen Männern aus Münster, die mit frischen Ideen die Branche der Schausteller aufgemischt haben. Dass Radtke zu Beginn seiner Karriere einen Partner hatte, wäre weniger interessant, wäre dieser Partner nach seinem Ausstieg aus dem gemeinsamen Geschäft nicht in seine niederländische Heimat zurückgekehrt – wo er in den nächsten Jahren zu einem der größten Drogenbarone Europas aufsteigen sollte.

Das kann doch kein Zufall sein! Jedoch gibt es nicht einen einzigen Hinweis darauf, dass die beiden nach dem Ende ihrer Geschäftspartnerschaft jemals wieder Kontakt gehabt hätten.

Thiels Problem: Egal, was er über Radtke auch ans Tageslicht zerren mag, für alles, was der Mann je getan hat, findet sich eine plausible, simple Erklärung. Radtke hat keine kriminelle Vergangenheit, aufgrund seiner Erkrankung konnte er offenbar Traum und Realität nicht mehr auseinanderhalten... Kann es sein, dass sich Thiel in einen Fall verbeißt, der gar kein Fall ist?

Brave Kriminalkomödie
Im Grunde genommen passiert all das, was immer in «Tatort»en aus Münster passiert. Es gibt ein bisschen Humor hier, eine groteske Situation da. Da im Schatten von Corona gedreht werden musste, gibt es nur wenige Szenen, in denen mehr als zwei Darsteller miteinander agieren. Das nutzt Regisseurin Buket Alakuş, um jedem Ensemblemitglied eine nette Szene zu gönnen. Thiels Vater bekommt seinen amüsanten Auftritt beim Angeln (Joint inklusive), Staatsanwältin Klemm darf ihre Nikotinsucht zelebrieren, Silke „Alberich“ Haller zeigt überraschende Qualitäten als Fotografin, allein der neue im Team, Kriminalassistent Mirko Schrader, bekommt auch in diesem Film keine vernünftige Einführung. In «Limbus] wurde er Thiel kommentarlos zur Seite gestellt, in seinem zweiten [[Tatort» besteht seine Hauptaufgabe im Grunde darin, Thiel mit Informationen zu füttern. Nach dem Ausstieg von Friederike Kempter in der Rolle der Nadeshda Krusenstern ist an der Seite Thiels eine Lücke entstanden, die dieser Film nicht füllen kann. Nadeshda Krusenstern war stets ein ruhender Pol, klaglos ergänzte sie Thiels intellektuell hin und wieder übersichtlichen Fähigkeiten. Schrader-Darsteller Björn Meyer lässt zwar ein komödiantisches Talent erkennen, bleibt aber doch unterfordert – wie auch Jan Josef Liefers, für dessen Professor Boerne dieser Fall wenig hergibt.



Als Münsteraner darf er sich darüber ärgern, dass man aus dem Schloss einen Eventpark zum Thema Täuferreich machen will (ein Thema, das für Münster viel zu wichtig ist als dass man es derart ausschlachten darf!); einmal darf er sich auch selbst in die Ritterrüstung zwängen und sich in coolen Posen fotografieren lassen. Aber in den Ermittlungen steckt er tatsächlich kaum drin. Im Grunde hätte ein Gaststar-Auftritt im Rahmen der Autopsie in dieser Episode ausgereicht, denn wirklich viel zur Geschichte beizutragen hat die Figur des Professor Boerne tatsächlich nicht. Zwar sind die Wortgefechte zwischen Thiel und Boerne amüsant, wenn man ein Fan ihrer gegenseitigen Animositäten ist. Für die Handlung als solche aber sind die Wortgefechte, die sich die beiden in dieser Episode liefern, kaum von Relevanz.

Unterm Strich bietet der «Tatort» von Regisseurin Buket Alakuş einen amüsanten Kriminalfilm mit vielen bekannten Versatzstücken, einem glänzend aufspielenden Axel Prahl und einem bizarren Fall, von dem lange Zeit niemand weiß, ob er wirklich ein Fall ist – oder eben auch nicht! Einen Nachhall erzeugt «Es lebe der König!» nicht. Routiniert in Szene gesetzt, bietet der «Tatort» Münster-Fans einen leckeren Happen für zwischendurch, von einem Drei-Gänge-Menü ist er jedoch weit entfernt.

Der «Tatort» ist am Sonntag, den 13. Dezember, um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.

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